Tischreden Helmut Kohls und Erich Honeckers zum Besuch Honeckers in der Bundesrepublik Deutschland

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Tischreden Helmut Kohls und Erich Honeckers zum Besuch Honeckers in der Bundesrepublik DeutschlandВыступления Гельмута Коля и Эриха Хонеккера во время визита Хонеккера в ФРГ
7. September 1987
сентябрь 7, 1987
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Vom 7. bis 11. September 1987 besuchte der Staatsratsvorsitzende der DDR und Generalsekretär der SED, Erich Honecker, die Bundesrepublik. Für jeden sichtbar wurde die Zweistaatlichkeit demonstriert. Für Bundeskanzler Helmut Kohl war entscheidend, dass beide Tischreden beim offiziellen Abendempfang live im Fernsehen der Bundesrepublik und der DDR ausgestrahlt wurden. Die Menschen in beiden Teilen Deutschlands konnten zuschauen. Kohls Tischrede gehört nach eigener Aussage zu einer seiner wichtigsten Reden überhaupt. Es war eine Bestandsaufnahme der geteilten Nation, gepaart mit einer Perspektive zukünftiger Politik mit für Erich Honecker unerfreulichen Wahrheiten.


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von: Rolf Steininger, 2011 (aktualisiert 2024)


1987 war ein wichtiges Jahr in der Geschichte der deutsch-deutschen Beziehungen. Vom 7. bis 11. September besuchte der Staatsratsvorsitzende der DDR und SED-Chef Erich Honecker die Bundesrepublik. Dieser offizielle Besuch war der symbolische Höhepunkt der gegenseitigen Anerkennung der beiden deutschen Staaten. Es war auch der Höhepunkt der persönlichen Bemühungen Honeckers um politische Agitation in der Bundesrepublik. Noch im April 1986 hatte Michail Gorbačev Einwände gegen den Besuch gehabt. Laut SED-Politbüromitglied Egon Krenz hatte der neue Kremlchef das SED-Politbüro gefragt, wie er es dem sowjetischen Volk erklären könne, dass „Erich vor mir nach Bonn geht?“

Als Bundeskanzler Helmut Kohl dann im Oktober 1986 in einem Gespräch mit Journalisten des amerikanischen Nachrichtenmagazins Newsweek kurz vor einer Reise in die USA Gorbačevs Public Relations-Fähigkeiten mit denen von Joseph Goebbels verglich, beschloss das Politbüro in Moskau, alle politischen Kontakte mit der Bundesrepublik für einige Zeit einzufrieren. Nach dem erneuten Wahlsieg der CDU/CSU-FDP-Koalition am 25. Januar 1987 war allerdings auch dem Kreml klar, dass man wohl mit Kohl als Bundeskanzler weiter vorliebnehmen musste.

Im Sommer 1987 versuchte die DDR-Führung daher erneut, vom Kreml grünes Licht für den Besuch Honeckers zu bekommen. Sowjetischen Aufforderungen zu größerer Wachsamkeit gegenüber den subversiven Einflüssen der Bundesrepublik entgegnete SED-Politbüromitglied Hermann Axen dialektisch gekonnt mit dem Argument: „Der Besuch werde einer der stärksten Schläge gegen den Revanchismus in der Geschichte sein. Die Gründung der DDR im Jahr 1949 war der erste schwere Schlag, der Schutzwall 1961 der zweite Schlag, der Grundlagenvertrag 1972 und die Aufnahme der DDR in die UNO 1973 der dritte Schlag. Im September 1987 werde dann ein vierter schwerer Schlag erfolgen.“

Diesmal gab Moskau grünes Licht. Für Helmut Kohl war dieser Besuch, wie er 2009 sagte, „eine sehr schmerzliche Angelegenheit. Aber es musste sein.“ Die Einladung hatte bekanntlich sein Vorgänger Helmut Schmidt ausgesprochen, Kohl hatte sie mehrfach erneuert, was ihm zwar schwergefallen war, „aber es war einfach zwingend und richtig, weil wir miteinander leben mussten, wenigstens auf dieser sehr schmalen Ebene der Notwendigkeit zwischen den – wie man damals sagte – beiden deutschen Staaten“, wie Kohl später schilderte.

Am Morgen des 7. Septembers 1987, als Honecker am Flughafen Köln-Wahn eintraf, hatte es Kanzleramtsminister Wolfgang Schäuble übernommen, ihn abzuholen. Vorher war Schäuble noch einmal mit Kohl in dessen Büro gewesen. Und da meinte Kohl, das werde wohl einer der schlimmsten Tage seiner ganzen Laufbahn sein. Schäubles Antwort: „Ja, Herr Bundeskanzler, Sie haben völlig Recht. Es geht mir auch so. Schauen Sie, ich habe meinen ältesten Anzug angezogen. Aber ich sage Ihnen, ich bin ganz sicher, was wir machen, ist richtig. Es ist richtig. Deswegen lassen Sie es uns tun in der Überzeugung, dass es sich lohnt.“

Schäuble erinnerte sich an die Fahrt vom Flughafen zum Bundeskanzleramt: „Ich habe dann versucht, ein bisschen Smalltalk zu machen und ein bisschen zu erklären. Als wir dann auf der Höhe des Kanzleramtes auf der anderen Rheinseite waren, sah man, wenn man über den Rhein überblickte, den Mercedesstern auf dem Steigenbergerzentrum. Da habe ich gesagt: ‚Schauen Sie, da drüben sehen Sie den Mercedesstern. Da ist gleich das Kanzleramt. Jetzt sind wir gleich da. Jetzt geht's noch über die Brücke rüber, dann kommt die Kurve, dann sind wir da.‘ Dann endete die Unterhaltung. Da wurde Honecker plötzlich ganz starr. Er hat sich offenbar auf seinen Auftritt konzentriert. Und irgendwo war es dann wahrscheinlich für ihn auch die Erfüllung vieler Träume in seinem politischen Leben in den letzten Jahren gewesen, dieser Moment, der gerade bei der offiziellen Begrüßung im Kanzleramt in Bonn kulminierte. Aber im Leben ist es immer so: wenn solche Momente da sind, sind sie auch gleich vorüber. Das habe ich schon empfunden. Ich habe ihn dann auch in Ruhe gelassen. Ich habe mich dann, als wir aus dem Auto gestiegen waren, schnell verdrückt und habe mich in die Reihe der Kabinettsmitglieder gestellt, und der Bundeskanzler hat ihn begrüßt.“

Helmut Kohl schilderte die Situation später so: „Die ganze Sache war mir zutiefst zuwider. Ich kann gar nicht schildern, wie unglücklich ich war, als zur Begrüßung Honeckers die DDR-Hymne vor dem Kanzleramt gespielt wurde. Es war schon ein ungewöhnliches, ein mehr als eigenartiges Gefühl, da zu stehen vor der Truppe, mit rotem Teppich, Abschreiten der Ehrenkompanie, dazu Wachbataillon und Stabsmusikkorps der Bundeswehr, Beflaggung, Hymne der DDR und deutsche Nationalhymne. Das war schon eine große Überwindung, für mich jedenfalls. Man sieht es ja auch auf den Fotos und Fernsehaufnahmen der Begrüßungszeremonie sehr deutlich in meinem Gesicht.“

Für jeden sichtbar wurde die Zweistaatlichkeit demonstriert: 2400 Journalisten, 1700 aus dem Ausland, begleiteten Honecker und seine Delegation auf Schritt und Tritt durch Bonn und die Bundesländer. Einen „Trost“ hatte Kohl, wie er es formulierte: Die Tischreden beim offiziellen Abendempfang würden live im Fernsehen der Bundesrepublik und der DDR ausgestrahlt. Das war seine Bedingung für den Besuch Honeckers gewesen. Die Tischrede, die er dann hielt, gehört nach eigener Aussage zu seinen wichtigsten Reden. Es war eine Bestandsaufnahme der geteilten Nation, gepaart mit einer Perspektive zukünftiger Politik. Die wichtigsten Sätze bleiben unvergessen:

„Die Menschen in Deutschland leiden unter der Trennung. Sie leiden an einer Mauer, die ihnen buchstäblich im Wege steht und die sie abstößt. Wenn wir abbauen, was Menschen trennt, tragen wir dem unüberhörbaren Verlangen der Deutschen Rechnung: Sie wollen zueinander kommen können, weil sie zusammengehören. Daher müssen Hindernisse jeder Art abgebaut werden. Die Menschen in Deutschland erwarten, dass nicht Barrieren aufgetürmt werden. Sie wollen, dass wir – gerade auch in diesen Tagen – neue Brücken bauen. Auch deswegen sollten wir uns noch intensiver darum bemühen, für die Deutschen ein Maximum an Miteinander und Begegnungen, an Reisen und Austausch zu ermöglichen.“

Kohl 2009: „Den entscheidenden Punkt dieses Besuches haben viele gar nicht begriffen, dass die DDR in diesem Moment eine Öffnung vollziehen musste und dass die Menschen aus der DDR in großer Zahl dann die Bundesrepublik besuchen konnten. Ich bleibe bei meiner These: das war aus Honeckers Sicht der entscheidende Fehler im Blick auf das System und die Machtverhältnisse, weil diese Machtverhältnisse durch den hohen Kenntnisstand von zusätzlichen Millionen Deutschen in der DDR über die wirklichen Verhältnisse in der Bundesrepublik am Ende ausgehöhlt worden sind. Die Fernsehübertragung unserer Tischreden war unter diesen Gesichtspunkten sicherlich eine der wichtigsten Fernsehsendungen, die es je gab. Wichtig in dem Sinne, dass die Menschen in beiden Teilen Deutschlands zuschauten.“

Der damalige Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher sah das in der Rückschau so: „Ich habe mich gewundert, dass Honecker diesen Besuch machte. Es war ja klar, wenn Honecker in die Bundesrepublik kommt, werden sich viele in der DDR fragen, warum darf der reisen und ich nicht. Und auch das Feindbild Bundesrepublik, das immer wieder gebraucht wurde, um in der DDR die Leute bei der Stange zu halten, dieses Feindbild war nicht mehr aufrechtzuerhalten. Es gab in Bonn Besprechungen darüber, ob man einen solchen Besuch will oder nicht. Ich habe gesagt: ‚Der Gedanke der Einheit wird doch nicht gefördert, indem Honecker nicht kommt. Sondern, wenn er zu uns kommt, wird er den Gedanken der Einheit unterstützen, egal was er sagt.‘ Und so war es dann ja auch. Auch die Art, wie der Besuch ablief, dass er seine Heimat, das Saarland, besucht hat, das alles hat doch sehr für starke Gefühle der Zusammengehörigkeit in der Öffentlichkeit gesorgt, in Sonderheit natürlich in der damaligen DDR. Honecker hat das meiner Ansicht nach nicht richtig eingeschätzt. Genauso wie er das nicht richtig eingeschätzt hat, haben die Kritiker an dem Besuch auf westlicher Seite es auch nicht richtig eingeschätzt, indem sie dachten, das spaltet Deutschland. In Wahrheit hat es natürlich Deutschland emotional vereinigt.“

Der damalige SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel erinnert sich an den Besuch. Beim Abendessen saß er neben DDR-Außenminister Oskar Fischer, der ihn immer mit „Genosse“ anredete, bis Vogel zu ihm sagte: „Herr Kollege, ich glaube, die Bezeichnung drängt sich nicht auf in meinem Fall.“ Vogel: „Dann hatte er das auch gelassen. Honecker war damals schon in einem Zustand zunehmenden Realitätsverlusts. Er hat den Besuch als Höhepunkt all seiner politischen Anschauungen empfunden, und das war zwei Jahre vor dem Ende.“

Honecker beschäftigte sich in seiner Antwortrede auf Kohl erwartungsgemäß mit Fragen der internationalen Friedenssicherung und Abrüstung. Auch die Gespräche unter vier Augen brachten keine Überraschungen. Im gemeinsamen Kommuniqué wurde dann der schon allseits bekannte Satz: „Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg, von deutschem Boden muss Frieden ausgehen“ zum x-ten Mal wiederholt. Das Verhältnis beider Staaten zueinander müsse „ein stabilisierender Faktor für konstruktive West-Ost-Beziehungen bleiben“.

Aus Sicht der DDR war das wichtigste, dass der Besuch überhaupt stattfand, wie SED-Politbüromitglied Günter Mittag später meinte. In seinem Bericht für das Politbüro bezeichnete Honecker seinen Besuch als das „wichtigste Ereignis in den Beziehungen zwischen der DDR und der BRD seit Abschluss des Grundlagenvertrages. Er ist von weitreichender Wirkung und historischer Bedeutung.“

Mancher von den direkt betroffenen Bürgern der DDR war da ganz anderer Meinung. Wolfgang Thierse, damals parteilos und später Bundestagspräsident, fand den Besuch als solches zwar positiv, aber „dann hat man so ein bisschen grimmig gelacht, als der kleine Honecker neben dem großen dicken Kohl dahermarschierte über den roten Teppich, in all seiner Tapsigkeit. Das hatte etwas so Rührendes. Und zugleich war es ein Bild für dieses innerdeutsche Verhältnis: Da die kleine, popelige, schwächliche, kaum noch gerade stehende DDR, hier die kraftstrotzende Bundesrepublik. Zugleich hatte ich auch gegenüber Kohl so ein eigentümliches grimmiges Lächeln und sagte: ‚Jetzt muss er etwas tun, was ihm vielleicht nicht sonderlich gefällt, er muss den Honecker als einen Staatsmann behandeln und feine Reden halten.‘ Auch das hat mir ein gewisses grimmiges Lächeln entlockt. Dann seine Rede beim Abendempfang. Das fand ich auch in Ordnung, dass er nicht nur liebedienerisch daherschwafelt, sondern dass er auch zur Sache redet. Das fand ich sehr in Ordnung.“

Friedrich Schorlemmer, damals Studentenpfarrer in Merseburg, fand Kohls Tischrede „ziemlich schroff. Damals dachte ich: ‚Mensch, das ist jetzt vielleicht doch nicht günstig.‘ Nachträglich muss ich sagen: ‚Völlig richtig, dass er so geredet hat.‘ Zweitens habe ich den Eindruck gehabt: ‚Ihr habt Euch aber was vormachen lassen über die DDR und deren inneren Zustand.‘ Das größte Desinformationsergebnis war die Desinformation der westdeutschen Politiker über den wirtschaftlichen Zustand der DDR. Dass aber Honecker nach Bonn kam, mit allen Ehren empfangen wurde, hatte schon Züge des Lächerlichen. Aber dem Honecker war das ja so unglaublich wichtig.“

Joachim Gauck, damals Pfarrer in Rostock und später Bundespräsident (2012-2018), empfand damals „deutlichen Widerwillen“, den Kanzler jenes Teils Deutschlands, das auf Freiheit und Demokratie setzte, neben dieser „Figur zu sehen, die sich nur halten konnte, weil eine andere Macht ihn als Satrapen duldete, ihn als Gefolgsmann hielt. Ich habe an dem Tag Mitgefühl mit Helmut Kohl gehabt. Ich habe gedacht, ich möchte jetzt kein Politiker sein. Das tut der Mann nicht gerne. Vielleicht dient er seinem Land jetzt, aber ich möchte da nicht stehen. Ich habe die Sachzwänge, die inzwischen entstanden waren, um die Entspannung weiter voranzutreiben, durchaus gesehen. Und ich gebe gerne zu, dass ich, wenn ich ausübender Politiker im Westen gewesen wäre, ganz sicher nicht anders gehandelt hätte. Der politische Verstand schien hier etwas zu gebieten, dem ich auch gefolgt wäre.“

Und Günter Schabowski, seit 1984 Mitglied des SED-Politbüros und seit 1986 Erster Sekretär der SED-Bezirksleitung von Ost-Berlin – berühmt geworden durch seine Pressekonferenz am Abend des 9. November 1989 –, meinte 2008: „Ich denke, wie grotesk und täuschend die Optik solcher Ereignisse sein kann. Denn ich glaube sagen zu können: weder die Bundesregierung und schon gar nicht die DDR-Spitze würden daraus den Schluss gezogen haben, dass das auch ein Stück der Endphase, der Endzeit der DDR gewesen ist. Im Grunde sah es so aus: Bei Honecker spielten natürlich auch emotionale Dinge eine Rolle. Der besucht als Staats- und Parteichef der DDR die Bundesrepublik. Er ist der Erste dieser Größenordnung, der die Bundesrepublik besucht. Er kommt in seine Heimat. Die Bild-Zeitung hat gesprochen: Lafontaine klopft ihm auf die Schulter. Auch Kohl muss ihn als Gesprächspartner akzeptieren, wenn auch bei Kohl bestimmte Einschränkungen laut werden. Es schien ein Triumph zu sein für die DDR im Allgemeinen und für Honecker im Besonderen.“

Zwei Jahre später fiel die Mauer, die DDR war am Ende.

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Tischreden Helmut Kohls und Erich Honeckers zum Besuch Erich Honeckers in Bonn, 7. September 1987[ ]

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl, hielt bei einem Abendessen zu Ehren von Generalsekretär Erich Honecker am 7. September 1987 in der Redoute in Bonn-Bad Godesberg folgende Ansprache:

Ich heiße Sie, Herr Generalsekretär, hier in Bonn willkommen. Es ist richtig, daß wir zusammenkommen und miteinander sprechen.

Auf Ihren Besuch in der Bundesrepublik Deutschland und auf unsere Begegnung richten sich die Blicke von Millionen Deutschen zwischen Stralsund und Konstanz, zwischen Flensburg und Dresden – und in Berlin. Viele befinden sich in einem Zwiespalt widerstreitender Gefühle: Die Menschen in Deutschland wissen, daß hier zwei Staaten bestehen, die viele praktische Fragen miteinander regeln müssen. Aber sie wissen auch: Dieser Besuch hat eine besondere menschliche und politische Dimension. Er unterscheidet sich von den üblichen Begegnungen in Ost und West.

Das Bewußtsein für die Einheit der Nation ist wach wie eh und je, und ungebrochen ist der Wille, sie zu bewahren. Diese Einheit findet Ausdruck in gemeinsamer Sprache, im gemeinsamen kulturellen Erbe, in einer langen, fortdauernden gemeinsamen Geschichte. So tut sich heute mancher schwer mit seinen Empfindungen und mit der Überlegung, wie sich dieses Treffen in die Kontinuität deutscher Geschichte einfüge. Unser Zusammentreffen in Bonn ist aber weder Schlußstrich noch Neubeginn. Es ist ein Schritt auf dem Weg einer schon lange währenden Entwicklung. Sie ist gekennzeichnet durch das Bemühen um ein geregeltes Miteinander.

Vor fast fünfzehn Jahren haben die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik den Vertrag über die Grundlagen ihrer Beziehungen unterzeichnet. Dieser Vertrag zeigt Grenzen und Möglichkeiten auf. Möglichkeiten eröffnen sich dort, wo praktische Fragen zum Wohle der Menschen in beiden Staaten gelöst werden können, damit es zu einem Verhältnis guter Nachbarschaft kommt.

Im Rahmen dieses Vertrages steht auch Ihr Besuch, Herr Generalsekretär. Vor fast sechs Jahren, im Dezember 1981, sind Sie mit meinem Amtsvorgänger Bundeskanzler Helmut Schmidt am Werbellinsee zusammengekommen. Damals haben Sie seine Einladung in die Bundesrepublik Deutschland angenommen. Ich habe diese Einladung nach meiner Amtsübernahme aufrechterhalten und bekräftigt. In der Zwischenzeit haben wir bei mehreren Gelegenheiten lange miteinander gesprochen. So wissen wir beide, wo die Chancen dieses Besuchs liegen und bei welchen Fragen wir uns nicht näherkommen werden. Dazu gibt es ja auch im Grundlagenvertrag deutliche Hinweise.

An den unterschiedlichen Auffassungen der beiden Staaten zu grundsätzlichen Fragen, darunter zur nationalen Frage, kann und wird dieser Besuch nichts ändern. Für die Bundesregierung wiederhole ich: Die Präambel unseres Grundgesetzes steht nicht zur Disposition, weil sie unserer Überzeugung entspricht. Sie will das vereinte Europa, und sie fordert das gesamte deutsche Volk auf, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.

Das ist unser Ziel. Wir stehen zu diesem Verfassungsauftrag, und wir haben keinen Zweifel, daß dies dem Wunsch und Willen, ja der Sehnsucht der Menschen in Deutschland entspricht.

Dieses Bestreben steht im Einklang mit dem Grundlagenvertrag und dem Brief zur deutschen Einheit. Wir haben dort auch den Gewaltverzicht bekräftigt. Auch dieser ist nicht allein Verfassungsgebot, sondern zentraler Bestandteil der Politik der Bundesrepublik Deutschland von Anfang an. Krieg und Gewalt dürfen nie wieder Mittel deutscher Politik sein. Wir achten die bestehenden Grenzen, doch die Teilung wollen wir überwinden: auf dem Weg friedlicher Verständigung und in Freiheit. Die deutsche Frage bleibt offen, doch ihre Lösung steht zur Zeit nicht auf der Tagesordnung der Weltgeschichte, und wir werden dazu auch das Einverständnis unserer Nachbarn brauchen.

Wie im Zusammenhang mit dem Abschluß des Grundlagenvertrages ausdrücklich festgestellt worden ist, bestehen die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte für Deutschland als Ganzes und für Berlin unverändert fort. Gerade in Berlin kommt das deutlich zum Ausdruck, wo die Berliner in diesem Jahr den 750. Geburtstag ihrer Stadt feiern.

Die Erfahrung lehrt, daß die gegensätzlichen Positionen in Grundsatzfragen die praktische Zusammenarbeit zwischen den beiden Staaten in Deutschland nicht behindern müssen. So ist in den vergangenen Jahren vieles gut geregelt worden, manches wird verhandelt, anderes läßt noch auf sich warten. Doch die Tendenz ist insgesamt positiv – und soweit es an der Bundesrepublik Deutschland liegt, soll es dabei bleiben.

Bei unserer Begegnung in Moskau vor zweieinhalb Jahren haben wir uns eingehend darüber unterhalten, inwieweit besonders jüngere Menschen in der DDR mehr Reisemöglichkeiten erhalten könnten. Bis Anfang der achtziger Jahre kamen jährlich – neben Rentnern – nur einige zehntausend Besucher. 1986 dagegen konnten wir hier in der Bundesrepublik Deutschland etwa eine Million Rentner und über 550 000 Besucher unterhalb des Rentenalters begrüßen.

Ich wünsche sehr, daß 1987 tatsächlich – wie es den Anschein hat – sowohl bei den Rentnern als auch bei den Besuchern unterhalb des Rentenalters jeweils die Millionengrenze überschritten wird. Das wären rund zwei Millionen Besucher allein in diesem Jahr. Und nach unserem heutigen Gespräch, nach den von Ihnen vorgelegten Zahlen, ist diese Zahl zum heutigen Datum bereits weit überschritten.

Aus zahlreichen Gesprächen weiß ich, wie viel das für die Menschen in Deutschland bedeutet. Gerade dieses Beispiel unterstreicht, daß sich die Beziehungen zwischen den beiden Staaten in Deutschland in den letzten Jahren insgesamt günstig entwickelt haben.

Konzentrieren wir uns in diesen Tagen auf das Machbare, und bleiben wir uns auch einig, die zur Zeit unlösbaren Fragen nicht in den Vordergrund zu stellen. Mit unserer praktischen Zusammenarbeit trotz aller Gegensätze haben wir ein Beispiel gegeben – zum Wohle der Menschen, und im Interesse des Friedens. Auch die übrigen Völker Europas wünschen, daß sich die Deutschen in Ost und West vertragen und im gegenseitigen Umgang jene Humanität erkennen lassen, die dem Volk Lessings, Schillers und Goethes wohl ansteht.

Zu Werken des Friedens sind wir um so mehr verpflichtet, als in diesem Jahrhundert von deutschem Boden entsetzliches Unheil und Leid ausgegangen ist. Auch daher ist es Aufgabe beider Staaten in Deutschland, durch den Ausbau ihrer Zusammenarbeit zur Verbesserung des politischen Klimas und zur Vertrauensbildung in den West-Ost-Beziehungen beizutragen.

Das unsere Regierungen Rüstungskontrolle und Abrüstung im Rahmen der übergreifenden Ost-West-Verhandlungen jeweils zu fördern haben, scheint mir selbstverständlich. Friedenssicherung und Gewaltverzicht sind zwingende Erfordernisse der Vernunft und der Moral.

Dabei wissen wir sehr wohl, daß die Hauptverantwortung für einen ertragreichen Ost-West-Dialog auf diesem Gebiet bei den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion liegt.

Die Deutschen haben gelernt, ihre Möglichkeiten und deren Grenzen realistisch einzuschätzen. Diese werden durch die Unvereinbarkeit der politischen Ordnungen beider Staaten und die verschiedene Bündniszugehörigkeit bestimmt. Für die Bundesrepublik Deutschland bleibt die Werte- und Sicherheitsgemeinschaft in der Atlantischen Allianz unverzichtbares und unveränderliches Fundament ihrer Politik, die den Frieden in Freiheit festigen will.

Wir wollen überall weniger Waffenarsenale und überall mehr Sicherheit - gerade auch für die Deutschen im Herzen Europas. Erste konkrete Vereinbarungen erscheinen jetzt greifbar nahe. Die von mir geführte Bundesregierung hat ihren Beitrag dazu geleistet.

Ein sicherer und gerechter Friede wird aber nie allein das Werk von Rüstungskontrolle und Abrüstung sein. Wir sind aufgerufen, an einer großen Aufgabe mitzuwirken: der Aufgabe, eine europäische Friedensordnung zu gestalten, die die Spaltung Europas überwindet, Völker und Staaten zusammenführt und für die Menschen die Grenzen öffnet.

Die gemeinsame Geschichte, die uns Deutsche im Guten wie im Bösen unentrinnbar miteinander verbindet, hat uns eine weitere zentrale Lehre vermittelt: Niemals wieder darf der Mensch als bloßes Mittel für politische Zwecke mißbraucht werden. Friede beginnt mit der Achtung der unbedingten und absoluten Würde des einzelnen Menschen in allen Bereichen seines Lebens. Jeder Mensch muß über und für sich selbst bestimmen können.

Deshalb wurde in der Schlußakte der KSZE ausdrücklich anerkannt: Die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten ist „ein wesentlicher Faktor für den Frieden, die Gerechtigkeit und das Wohlergehen“.

Wir wollen Friede in Deutschland, und dazu gehört auch, daß an der Grenze Waffen auf Dauer zum Schweigen gebracht werden. Gerade Gewalt, die den Wehrlosen trifft, schädigt den Frieden.

Versäumen wir es nicht, Maßnahmen zu treffen, die auch von Mensch zu Mensch ein Stück Frieden stiften, indem sie mehr Nähe, Miteinander und Freiheit schaffen.

Die Menschen in Deutschland leiden unter der Trennung. Sie leiden an einer Mauer, die ihnen buchstäblich im Wege steht und die sie abstößt. Wenn wir abbauen, was Menschen trennt, tragen wir dem unüberhörbaren Verlangen der Deutschen Rechnung: Sie wollen zueinander kommen können, weil sie zusammengehören.

Daher müssen Hindernisse jedweder Art abgeräumt werden. Die Menschen in Deutschland erwarten, daß nicht Barrieren aufgetürmt werden. Sie wollen, daß wir – gerade auch in diesen Tagen – neue Brücken bauen.

Auch deswegen sollten wir uns noch intensiver darum bemühen, für die Deutschen ein Maximum an Miteinander und Begegnungen, an Reisen und Austausch zu ermöglichen. Wir wünschen das vor allem für die jüngere Generation. Ich befürworte auch mehr Städtepartnerschaften – füge allerdings hinzu: Die neuen Möglichkeiten, die sie für persönliche, sportliche und kulturelle Begegnungen bieten, sollten nicht vorwiegend Funktionsträgern zugute kommen.

Zu einem freieren Austausch müssen Bücher gehören, Zeitungen, Filme, auch das Wort des Wissenschaftlers und das Werk des Künstlers. Dafür wollen wir das Kulturabkommen mit Leben erfüllen.

Das Abkommen über wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit, das morgen unterzeichnet werden wird, kann weitere gute Impulse auslösen. In diese Vereinbarungen ist selbstverständlich auch Berlin voll einbezogen. Berlin ist ein zentraler Punkt in unseren Beziehungen. Wenn wir sie konstruktiv weiterentwickeln wollen, darf dieser Prozeß keinen Bogen um Berlin schlagen. Berlin muß in vollem Umfang an der Zusammenarbeit teilhaben.

Ich begrüße es, daß wir uns auf einen Informations- und Erfahrungsaustausch beim Strahlenschutz verständigt haben. Ein besonders wichtiger Fortschritt ist die Umweltschutz-Vereinbarung. Denn wir haben eine gemeinsame Verantwortung für die natürlichen Lebensgrundlagen der nachwachsenden Generationen in Deutschland.

Wie so viele Orte in Deutschland erinnert auch die Redoute in Bad Godesberg, wo wir jetzt zusammen sind, an die Kontinuität der deutschen Geschichte. Hier in diesem Haus traf Ludwig van Beethoven im Jahr 1792 erstmals mit Joseph Haydn zusammen. Beethoven ist dann nach Wien gezogen; seine Musik gehört nicht diesem oder jenem Staat, sondern allen Deutschen und der ganzen Welt.

Wir dürfen uns auch an einem Abend wie dem heutigen daran erinnern, daß Deutschland und die Deutschen der Welt auf den Feldern der Kunst, der Literatur, der Philosophie, der Technik, der Naturwissenschaften Werke geschenkt haben, auf die wir gemeinsam stolz sein können.

So möchte ich dazu ermuntern, unsere Fragen auch in den weiteren Zusammenhängen der wechselvollen deutschen Geschichte zu sehen. Niemand von uns weiß, was der beständige Wandel der Zeit und der Umstände uns und den nachfolgenden Generationen bringen wird. Aber eines ist sicher: Solchen Wandel wird es auch in Deutschland weiter geben.

Künftige Generationen der Deutschen werden uns danach beurteilen, wie wir unter schwierigen Gegebenheiten mit den praktischen und den moralischen Aufgaben fertiggeworden sind, die uns die Teilung und die Sorge um den Frieden stellen.

Gewiß, der Handlungsspielraum des Politikers ist beschränkt. Wer kennt besser die Sachzwänge unserer Zeit als wir Deutsche! Dennoch: Guter Wille, dies glaube ich, kann viel Gutes bewirken – im Dienst an den Deutschen und für den Frieden in Europa und in der Welt. Darauf, und auf Ihr persönliches Wohl, Herr Generalsekretär, erhebe ich mein Glas.


Der Generalsekretär des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und Vorsitzender des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik, Erich Honecker, erwiderte mit der nachstehenden Ansprache:

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,

meine Damen und Herren, werte Freunde und Genossen!

Ich danke Ihnen, Herr Bundeskanzler, für die Einladung in die Bundesrepublik Deutschland und für den freundschaftlichen Empfang. Die Gespräche, die wir begonnen haben, bestätigen den positiven Einfluß unserer unmittelbaren Kontakte auf die Entwicklung der Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten, die nicht zufällig große internationale Beachtung findet. Angesichts der Lage der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland im Zentrum Europas und der Lehren der Geschichte reicht die Bedeutung ihres Verhältnisses weit über ihre Grenzen hinaus. Die Entwicklung unserer Beziehungen, der Beziehungen zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland, dessen sind wir uns bewußt, ist von den Realitäten dieser Welt gekennzeichnet, und sie bedeuten, daß Sozialismus und Kapitalismus sich ebensowenig vereinigen lassen wie Feuer und Wasser.

Bei alledem gehen wir davon aus, daß beiden deutschen Staaten, fest eingefügt in die mächtigsten Militärkoalitionen dieser Zeit, die Verpflichtung zukommt, besonders aktiv zu Frieden, Abrüstung und Entspannung beizutragen. Wir stimmen, trotz aller Unterschiede in der Bewertung aktueller politischer Fragen, darin überein, daß es in einem nuklearen Krieg weder Sieger noch Besiegte geben würde. In unserer Gemeinsamen Erklärung vom 12. März 1985 haben wir festgestellt und jetzt erneut bekräftigt, daß alles getan werden muß, damit von deutschem Boden nie wieder Krieg, sondern stets nur Frieden ausgeht.

Die Deutsche Demokratische Republik wünscht nichts dringlicher, als den Frieden. Frieden ist das höchste Gut der Menschheit. Im Zeitalter schrecklicher nuklearer Massenvernichtungswaffen darf niemand mit dem Gedanken spielen, die Weltprobleme, auch die der Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Kapitalismus, mit militärischen Mitteln lösen zu wollen. Heute gibt es nichts Wichtigeres, als über alle Gegensätze von Weltanschauungen, Ideologien und politischen Zielen hinweg den Frieden zu bewahren.

Weithin in der Welt hat die Erkenntnis an Boden gewonnen, daß zur friedlichen Koexistenz von Staaten unterschiedlicher sozialer Ordnung keine vertretbare Alternative besteht. Die Lösung strittiger Fragen in den internationalen Beziehungen mit friedlichen Mitteln bleibt die Grundlage menschlichen Überlebens. Die Welt steht an einem Wendepunkt, was von allen, die politische Verantwortung tragen, neues Denken und Handeln verlangt. Ideologische und soziale Gegensätze dürfen nicht auf die zwischenstaatlichen Beziehungen übertragen und schon gar nicht mit militärischen Mitteln ausgetragen werden. Wir tun am meisten für die Menschen, wenn wir den Frieden sicherer machen und ihnen die Angst vor einem Krieg nehmen.

Angesichts der unverändert komplizierten internationalen Lage ist die Deutsche Demokratische Republik bestrebt, dazu beizutragen, daß Vernunft und guter Wille zu bestimmenden Faktoren der Weltpolitik werden, Kooperation an die Stelle von Konfrontation tritt und mehr Vertrauen in den internationalen Beziehungen geschaffen wird. Es geht um die Rückkehr auf den Weg der Entspannung, der in den siebziger Jahren zu guten Ergebnissen für die Staaten, für die Menschen geführt hat, nicht zuletzt für die beiden deutschen Staaten und ihre Bürger.

Alle, die den Frieden aufrichtig wollen, sind aufgerufen, entsprechend zu handeln. In diesem Sinne erstrebt die Deutsche Demokratische Republik eine breite Koalition der Vernunft und des Realismus und mißt dem politischen Dialog großen Wert bei. Er ist durch nichts zu ersetzen. Auch davon ließen wir uns leiten, als wir Ihrer Einladung, Herr Bundeskanzler, zum Besuch der Bundesrepublik Deutschland folgten.

Die Bewahrung des militärischen Gleichgewichts hat selbstverständlich weiterhin entscheidende Bedeutung für die Erhaltung des Friedens. Dabei sind wir keine Verfechter eines Gleichgewichtes des Schreckens und damit der Anhäufung immer neuer Vernichtungswaffen, im Gegenteil, wir wollen, daß das militärische Gleichgewicht auf immer niedrigerer Stufe gewahrt wird. Wir sind dafür, die These „Frieden schaffen mit immer weniger Waffen“ zu verwirklichen. Deswegen setzen wir uns für die radikalste Abrüstung entsprechend dem Grundsatz der Gleichheit und der gleichen Sicherheit auf nuklearem wie auf konventionellem Gebiet ein, eine effektive Kontrolle selbstverständlich inbegriffen. Der Menschheit kann es nur zum Wohle gereichen, wenn das Wettrüsten auf der Erde beendet und nicht in den Weltraum ausgedehnt wird. Die Welt braucht Frieden auf Erden und keinen Krieg der Sterne, sondern Frieden der Sterne.

Gegenwärtig erweist sich das Abkommen über die Beseitigung aller Mittelstreckenraketen als die Schlüsselfrage, um einen ersten tatsächlichen Schritt zur Abrüstung, zur Reduzierung der Kernwaffen zu tun. Wir haben erneut mit Befriedigung Übereinstimmung hierin bei unseren heutigen Gesprächen festgestellt. In der Tat bietet ein solches Abkommen eine große Chance, die genutzt werden muß. Beide deutsche Staaten stehen in der Verantwortung, seinen Abschluß zu beschleunigen, ihn nicht zu verzögern. Die Sprengköpfe der Pershing I a dürfen unseres Erachtens kein Hindernis sein, zu einer Vereinbarung zu gelangen.

Überdies ist die Deutsche Demokratische Republik der Auffassung, daß regionale Lösungen, wie die Schaffung eines atomwaffenfreien Korridors oder einer chemiewaffenfreien Zone, weitergehende Regelungen erleichtern und begünstigen. Sie hält es für wichtig, daß in der Suche nach Übereinkünften zu einer substantiellen Verringerung und schließlichen Beseitigung der strategischen Rüstungen nicht nachgelassen wird und jegliche Waffenstationierung im Weltraum unterbleibt. Dafür ist auch die strikte Einhaltung des ABM-Vertrages sehr wesentlich.

In diesem Zusammenhang sehen wir auch das Gewicht der Wiener KSZE-Konferenz, die zugleich ein geeignetes Forum bietet, um mehr Vertrauen zu schaffen. Politische Vernunft und Erfahrungen führen zu dem Schluß, daß es keinen anderen Weg gibt als die Entwicklung friedlicher, stabiler politischer und wirtschaftlicher Beziehungen zwischen den Staaten.

Dabei messen wir den humanitären Fragen und den Menschenrechten, die in ihrer Gesamtheit von politischen, zivilen, ökonomischen und sozialen Rechten in der Deutschen Demokratischen Republik im praktischen Leben ihre tägliche Verwirklichung finden, keine geringe Bedeutung bei.

Damit die internationale Lage gesundet, muß auch friedensgefährdenden Entwicklungen im Nahen Osten, im Süden Afrikas und in Mittelamerika Einhalt geboten werden. Dazu gehört. daß Einmischungen von außen unterbleiben, alle internationalen Streitfragen mit friedlichen Mitteln gelöst und Konfliktherde beseitigt werden.

Herr Bundeskanzler, meine sehr verehrten Damen und Herren, bilaterale Fragen haben in unseren Gesprächen natürlich keinen geringen Raum eingenommen. Wir hoffen und erwarten, daß sie die Normalisierung der Beziehungen zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland voranbringen werden. Die Deutsche Demokratische Republik hält an den bekannten Grundlagen einschließlich der Vertragspolitik mit der Bundesrepublik Deutschland fest. In diesem Sinne begrüße ich mit Genugtuung, daß im Verlauf meines Besuches eine Reihe von Vereinbarungen unterzeichnet und damit die vertraglichen Grundlagen der Beziehungen erweitert werden. Ohne Zweifel ist dies zugleich ein Beitrag, den beide Staaten zur Belebung des Entspannungsprozesses und zur Gesundung der internationalen Lage leisten können.

Entsprechend unserer Gemeinsamen Erklärung vorn 12. März 1985 geht die Deutsche Demokratische Republik unverändert davon aus, daß die Unverletzlichkeit der Grenzen und die Achtung der territorialen Integrität und Souveränität aller Staaten in Europa in ihren gegenwärtigen Grenzen eine grundlegende Bedingung für den Frieden sind. Ausgangspunkt für eine konstruktive, nicht nur beiden Staaten nützliche Politik können nur die Realitäten sein, die Existenz von zwei voneinander unabhängigen souveränen deutschen Staaten mit unterschiedlicher sozialer Ordnung und Bündniszugehörigkeit. Ausgehend vom abgeschlossenen Vertragswerk wollen wir nichts unversucht lassen, um weitere Schritte in den Beziehungen zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland zu tun, die den Interessen des Friedens, der Entspannung, einer gegenseitig vorteilhaften Zusammenarbeit und damit der Menschheit dienen.

Meine verehrten Damen und Herren, werte Freunde und Genossen, ich bitte Sie, mit mir das Glas zu erheben und zu trinken auf eine gedeihliche Entwicklung der Beziehungen zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland, auf eine Zukunft in gesichertem Frieden, auf das Wohl und die Gesundheit des Herrn Bundeskanzlers, auf das Wohl aller hier Anwesenden.

Hier nach: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 83, 10. September 1987, S. 705–708.


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Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 83, 10. September 1987, S. 705–708.

Бюллетень Управления печати и информации федерального правительства, № 83, 10 сентября 1987 г., с. 705-708.

Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (Hrsg.), Der Besuch von Generalsekretär Honecker in der Bundesrepublik Deutschland: Dokumentation zum Arbeitsbesuch des Generalsekretärs der SED und Staatsratsvorsitzenden der DDR, Erich Honecker, in der Bundesrepublik Deutschland im September 1987. Gesamtdt. Inst., Bonn 1988.

Timothy Garton Ash, Im Namen Europas: Deutschland und der geteilte Kontinent. Hanser, München 1993.

Hans-Hermann Hertle/Rainer Weinert u. a., Der Staatsbesuch: Honecker in Bonn. Dokumente zur deutsch-deutschen Konstellation des Jahres 1987 (=Informationen aus Lehre und Forschung 2/1991). Presse- und Informationsstelle der Freien Universität Berlin, Berlin 1991.

Helmut Kohl, Erinnerungen. Droemer, München 2005.

Karl-Rudolf Korte, Deutschlandpolitik in Helmut Kohls Kanzlerschaft: Regierungsstil und Entscheidungen 1982–1989 (=Geschichte der deutschen Einheit 1). DVA, Stuttgart 1998.

Heinrich Potthoff, Die „Koalition der Vernunft“: Deutschlandpolitik in den 80er Jahren. dtv, München 1995.

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Der Besuch von Generalsekretär Honecker in der Bundesrepublik Deutschland: Dokumentation zum Arbeitsbesuch des Generalsekretärs der SED und Staatsratsvorsitzenden der DDR, Erich Honecker, in der Bundesrepublik Deutschland im September 1987 [Визит Генерального секретаря Хонеккера в Федеративную Республику Германия: Документация о рабочем визите Генерального секретаря СЕПГ и Председателя Государственного Совета ГДР Эриха Хонеккера в Федеративную Республику Германия в сентябре 1987 года] / под ред. Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen. Bonn: Gesamtdt. Inst., 1988.

Garton Ash, T. In Europe’s Name: Germany and the Divided Continent. New York: Random House, 1993.

Hertle, H.-H., Weinert, R., и др. Der Staatsbesuch: Honecker in Bonn. Dokumente zur deutsch-deutschen Konstellation des Jahres 1987 [Государственный визит: Хонеккер в Бонне. Документы о германо-германском созвездии в 1987 году]. Berlin: Presse- und Informationsstelle der Freien Universität Berlin, 1991 (=Informationen aus Lehre und Forschung 2/1991).

Kohl, H. Erinnerungen [Воспоминания]. München: Droemer, 2005.

Korte, K.-R. Deutschlandpolitik in Helmut Kohls Kanzlerschaft: Regierungsstil und Entscheidungen 1982–1989 [Политика Германии в период канцлерства Гельмута Коля: стиль правления и решения 1982-1989 гг.]. Stuttgart: DVA, 1998 (=Geschichte der deutschen Einheit 1).

Potthoff, H. Die «Koalition der Vernunft»: Deutschlandpolitik in den 80er Jahren [«Коалиция разума»: политика по отношению к Германии в 1980-е годы]. München: dtv, 1995.

Schwan, H., Steininger, R. Die Bonner Republik, 1949–1998 [Боннская республика, 1949-1998 гг.]. Berlin: Propyläen, 2009.

Schwan, H., Steininger, R. Helmut Kohl: Virtuose der Macht [Гельмут Коль: виртуоз власти]. Mannheim: Artemis & Winkler, 2010.