Gründungsurkunde der Allrussländischen Obersten Macht

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Gründungsurkunde der Allrussländischen Obersten Macht
26. August 1918 JL
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Die „Gründungsakte“ der Allrussländischen Provisorischen Regierung vom 23. September 1918 gehört zu den bemerkenswertesten Zeugnissen der politischen Geschichte des Russischen Bürgerkriegs. Sie war das Ergebnis einer „Staatskonferenz“ in der Stadt Ufa, die sich zum Ziel gesetzt hatte, alle antibolschewistischen Kräfte zu vereinigen und einer anerkannten Regierung zu unterstellen. Zugleich sollte die bestehende Rivalität zwischen der sozialrevolutionären Gegenregierung in Samara, die sich auf das Komitee der Mitglieder der Konstituierenden Versammlung (Komuč) stützte, und der nationalkonservativen Provisorischen Regierung Sibiriens in Omsk beendet werden.



von: Nikolaus Katzer, 2011 (aktualisiert 2024)


Im Sommer 1918 hatte die Tschechoslowakische Legion] wichtige Städte an der Mittleren Wolga von der Roten Armee zurückerobert. Vor diesem Hintergrund sollten etwa 170 Delegierte in Ufa ein gemeinsames politisches und militärisches Programm ausarbeiten und verabschieden. Nominell repräsentierten sie über zwanzig Regionalregierungen auf dem Territorium des ehemaligen Zarenreiches sowie die wichtigsten nichtbolschewistischen Parteien, Wirtschaftsvereinigungen, Selbstverwaltungsorgane und Kosakenverbände. Am stärksten vertreten waren jedoch die Regierungen von Samara und Omsk, deren kontroverse Standpunkte deshalb auch die Konferenz beherrschten.

Wichtigstes Ergebnis der gut zweiwöchigen Verhandlungen dieser „Staatskonferenz“ war die Bildung einer „gesamtrussischen“ Regierung. Dieses Direktorium umfasste fünf Mitglieder. Allerdings waren die Vertreter der Südregierung in Ekaterinodar bzw. der Nordregierung in Archangel‘sk, der Konstitutionelle Demokrat (Kadett) N. I. Astrov und der gemäßigte Volkssozialist N. V. Čajkovskij, in Abwesenheit gewählt worden und lehnten später eine Mitwirkung im Direktorium ab. Da überdies der als Stellvertreter vorgesehene populäre General M. V. Alekseev am 8. Oktober 1918 im Kampf fiel, fehlte der „Koalition“ von Beginn an eine personelle Verankerung in zwei wichtigen Zentren der sehr brüchigen Front gegen Sowjetrussland. So bestand die Regierung unter dem Vorsitz des gemäßigten Sozialrevolutionärs N. D. Avksent’ev aus dem Konstitutionellen Demokraten V. A. Vinogradov, dem ehemaligen Sozialrevolutionär und späteren Parteigänger der Kadetten P. V. Vologodskij, dem Sozialrevolutionär V. M. Zenzinov sowie dem parteilosen General V. G. Boldyrev.

Formal hatten sich damit die Befürworter einer kollektiven Führung gegenüber den Anhängern einer Diktatur durchgesetzt. Einem wirklichen Konsens stand jedoch entgegen, dass die Sozialisten (Sozialrevolutionäre, Vertreter der Regionalduma Sibiriens, des Bundes der Städte und ländlichen Selbstverwaltungsorgane sowie einzelne Menschewiki) darauf beharrten, dass die Anfang 1918 von den Bolschewiki aufgelöste Konstituierende Versammlung (Konstituante) die einzige Legitimationsbasis einer Regierung für ganz Russland sei. Dies sollte allerdings nur gelten, wenn bis zum 1. Januar 1919 ein Quorum von 250 Mitgliedern der Konstituante (d. h. etwa ein Drittel der tatsächlich gewählten Abgeordneten, deren Gesamtzahl aufgrund unvollständiger Listen mit 767 bis 786 angegeben wurde) erreicht werden konnte. Doch auch im anderen Fall blieb die Möglichkeit, bis zum 1. Februar 1919 wenigstens 170 Abgeordnete (weniger als ein Viertel) zu versammeln, um dieser umstrittenen Lösung zum Durchbruch zu verhelfen.

Ungeachtet dieser Vereinbarung trafen sich jedoch parallel zur Staatskonferenz in Ufa etwa 100 sozialrevolutionäre Mitglieder der Konstituante in Ekaterinburg und erklärten gemeinsam mit dem Großteil der Führung des „Komitees der Mitglieder der Konstituierenden Versammlung“ (Komuč), das sich als legitime Repräsentanz der Konstituante ausgab, dass sie alle Beschlüsse der Staatskonferenz und des Direktoriums nicht anerkennen würden. Dieser innere Bruch schwächte das sozialistische Lager gegenüber den erstarkenden Nationalkonservativen, um die sich in Omsk militärische Kräfte scharten. Dadurch gelang es der noch nicht aufgelösten Provisorischen Regierung Sibiriens, dem Direktorium den Zugriff auf beträchtliche Finanzmittel zu verwehren, die nicht zuletzt für den Aufbau einer funktionsfähigen Verwaltungsstruktur benötigt wurden.

Die Gruppen des rechten Flügels, die sich aus Vertretern der Provisorischen Regierung Sibiriens, der Konstitutionellen Demokraten (Kadetten), der Kosaken und der sozialdemokratischen Gruppe „Edinstvo“ zusammensetzten, hatten in Ufa zwar die Rückbindung an die „alte“ Konstituante nicht verhindern können, betrachteten diese aber weiterhin als nicht mehr repräsentativ. Als das Direktorium wenig später vor der Roten Armee nach Omsk, der Hauptstadt der Konservativen und der radikalen Rechten Sibiriens, ausweichen musste, verengte sich sein Handlungsspielraum weiter. Mit seinen programmatischen Leitsätzen identifizierte sich kein Lager vorbehaltlos, weil sie nicht als Kompromiss ausgehandelt worden waren und deshalb trotz des erkennbaren Bemühens um eine Ausbalancierung der Interessen und eine Mäßigung radikaler Forderungen letztlich niemanden zufrieden stellten. Die Autoren hatten schwer vereinbare Forderungen der beiden Hauptflügel nur lose aneinandergereiht. Beispielsweise sollte es einer „entpolitisierten“ Armee unter der Führung von – meist antisozialistisch eingestellten Offizieren – obliegen, für „Demokratie“, bürgerliche Freiheiten, Recht und Ordnung, regionale Autonomie und „national-kulturelle Selbstbestimmung“ zu kämpfen. Die einen befürchteten eine Neuauflage des wenig entschlussfreudigen Kerenskij-Regimes von 1917. Andere verglichen die Staatskonferenz von Ufa mit der äußerlich prunkvolleren, im Ergebnis aber folgenlosen Moskauer Staatskonferenz vom August 1917.

In der Wirtschaftspolitik standen sozialrevolutionäre Positionen neben Bekenntnissen zum privaten Unternehmertum und zu ausländischen Investitionen. Der Staat sollte auf das Getreidemonopol mit Fixpreisen verzichten, die Kontrolle über Industrie und Handel sowie über die Verteilung von Mangelprodukten aber beibehalten. Die Bauern erhielten das Nutzungsrecht für das von ihnen bestellte Land, wurden aber zugleich auf eine endgültige Lösung der Bodenfrage durch die Konstituierende Versammlung vertröstet. Die Passagen zur Arbeiterpolitik spiegeln einerseits unverhohlene Kritik an den ruinösen Zuständen in den Fabriken bzw. an den Folgen der revolutionären Selbstverwaltung der Betriebe durch die Beschäftigten wider. Andererseits ist der Versuch erkennbar, zwischen Unternehmer- und Arbeiterinteressen zu vermitteln.

Das Direktorium von Ufa war eine kurzlebige, aber wegweisende Etappe der antibolschewistischen Herrschaftsbildung im Bürgerkrieg. Mit ihm erreichte der Einfluss der Mehrheitspartei der Sozialrevolutionäre einen letzten Höhepunkt, bevor sie im Herbst 1918 vollends aus den Machtzentren verdrängt wurde. Das Ziel des im Frühjahr 1918 im Moskauer Untergrund entstandenen Bundes für die Wiedergeburt Russlands, unter Führung der Sozialisten eine breite Einigungsbewegung aller nichtbolschewistischen Kräfte und mit ihr einen Ring von Gegenregierungen um das von den Bolschewiki gehaltene Kerngebiet Russlands zu schaffen, fand in den Regionen nicht die erhoffte Unterstützung. Im Süden blieb das Echo sogar gänzlich aus. Doch auch die im Sommer 1918 noch möglich erscheinende militärische Frontlinie vom Weißen Meer im Norden über die Wolga-Ural-Region bis nach Sibirien konnte nicht geschlossen werden. So blieben den Sozialrevolutionären nur wenige Wochen, um ihr Konzept einer „russischen revolutionären Demokratie“ auf einem begrenzten Territorium an der Mittleren Wolga zu erproben, bevor die Rote Armee das Gebiet wieder unter ihre Kontrolle brachte.

Bereits zwei Tage nach Beginn der Staatskonferenz fiel Kazan’ wieder in die Hände der Bolschewiki. Simbirsk folgte wenig später. Die Flucht des Direktoriums nach Omsk in Westsibirien war bereits ein Zugeständnis an die Konservativen. Doch wäre auch ein Umzug nach Ekaterinburg prekär gewesen, weil dort der bereits erwähnte Kongress der Mitglieder der Konstituante und die mit den Sozialrevolutionären sympathisierende Tschechoslowakische Legion dem Kompromiss von Ufa ablehnend gegenüberstanden. In Omsk bereitete ein Putsch unter Admiral A. V. Kolčak am 18. November 1918 dem Direktorium ein Ende. Führende Mitglieder der sozialistischen Parteien wurde nach der Inhaftierung ins Exil getrieben, während die Organisationen fortan kaum weniger entschieden bekämpft wurden als die Bolschewiki. Die Diktatur des Admirals wurde von den alliierten Interventionsmächten, wenn auch mit Vorbehalten, stärker unterstützt als andere Gegenregierungen. Auch die Südregierung unter General A. I. Denikin sah sich schließlich zu einer formellen Anerkennung Kolčaks als Obersten Regenten gedrängt. Omsk war nun zum Zentrum des Kampfes gegen die Bolschewiki geworden.

Damit war das Komuč mit seinem Versuch, die „alte“ Konstituante wiederzubeleben und eine legitime Nachfolgebehörde für die im Oktober 1917 gestürzte Provisorische Regierung zu schaffen, endgültig gescheitert. Das Konzept der Sozialrevolutionäre von einer genuin russischen demokratischen Alternative zu den Bolschewiki hatte sich unter den Bedingungen des eskalierenden Bürgerkriegs als illusorisch erwiesen. Zum einen zeigte sich die Partei der militärischen Entschlossenheit und dem Rigorismus sowohl der Bolschewiki auf der Linken als auch der staatsorientierten Kräfte auf der Rechten organisatorisch unterlegen. Zum anderen mangelte es ihrer Strategie eines „dritten Weges“ zwischen „roter“ und „weißer“ Diktatur an einer kritischen Einschätzung der Gegebenheiten. Selbst in den Hochburgen an der Mittleren Wolga verweigerten ihnen die Bauern die Gefolgschaft, wenn sie für ein abstraktes Ziel wie die Wiedereinberufung der Konstituierenden Versammlung mobilisiert werden sollten oder wenn die sozialistische Regierung von Samara eine Revision der „wilden“ Landaneignungen ankündigte, um die Anarchie in der Landwirtschaft und die sinkende Produktivität zu bekämpfen. Ohne aktive bäuerliche Massenbasis besaßen die Sozialrevolutionäre aber keine Startvorteile gegenüber den vielen konkurrierenden Kräften um die Vorherrschaft im Kampf gegen die Bolschewiki. Sie mussten sich schließlich dem militärischen Übergewicht der in Sibirien entstandenen Regionalmacht beugen.

Die Gründungsakte von Ufa spiegelt den komplexen Prozess der politischen Machtbildung und der programmatischen Orientierung nach dem revolutionären Zerfall des Zarenreiches in einer der wichtigsten Regionen des russischen antibolschewistischen Widerstandes wider. Da keine Einigung auf einen Minimalkatalog aktueller Aufgaben erreicht worden war, lasen die zerstrittenen Gruppen nur das aus dem Dokument heraus, was ihren eigenen Interessen entsprach. Die Auflösung der alten Parteibindungen beschleunigte sich. Die Partei der Sozialrevolutionäre, die sich bereits im November 1917 in einen kleineren linken und in einen mehrheitlichen rechten Flügel gespalten hatte, stürzte in weitere Fraktionskämpfe. War schon die sozialrevolutionäre Regierung, die am 24. September 1918 von der Roten Armee aus Samara vertrieben wurde, den Radikalen in den eigenen Reihen zu wenig revolutionär und den Gemäßigten zu radikal erschienen, so geriet das Direktorium von Ufa erst recht zwischen alle Fronten.

Ein führender Sozialrevolutionär, A. A. Argunov, beschrieb die fortschreitende Radikalisierung des Bürgerkriegs vereinfachend mit den Worten, die Sozialisten hätten sich in einem Abwehrkampf gegen „zwei Bolschewismen“ befunden, nämlich gegen die linke Tyrannei der Bolschewiki und gegen die rechte Militärdiktatur der „staatlichen Kräfte“. Den Sozialrevolutionären sei es jedoch nicht gelungen, die Mitte zwischen diesen Polen programmatisch zu füllen und organisatorisch zu stabilisieren.


Gründungsurkunde der Allrussländischen Obersten Macht, 26. August - 10. September 1918 (8. - 23. September) 1918

Die Staatskonferenz, bestehend aus dem Kongress der Mitglieder der Allrussländischen Konstituierenden Versammlung und den dafür bevollmächtigten Vertretern des Komitees der Mitglieder der Allrussländischen Konstituierenden Versammlung, der Provisorischen Regierung Sibiriens, der Regionalregierung des Urals, der Kosakenheere von Orenburg, des Urals, Sibiriens, von Irkutsk, von Semirečensk, vom Enisej und von Astrachan', den Vertretern der Regierungen Baškiriens, der Alaš [Orda] und Turkestans, der Nationalverwaltung der Turk-Tataren Innenrusslands und Sibiriens, der Provisorischen Regierung Estlands, den Vertretern des Kongresses der Städte und Zemstva Sibiriens, des Urals und des Wolgagebiets, den Vertretern politischer Parteien und Organisationen – der Partei der Sozialrevolutionäre, der Russländischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, der Partei der Volkssozialisten, der Partei der Volksfreiheit, der Allrussländischen Sozialdemokratischen Organisation „Einheit“ und des Bundes für die Wiedergeburt Russlands, hat in einmütigem Bestreben zur Rettung des Landes, zur Wiederherstellung seiner Einheit und zur Sicherung seiner Unabhängigkeit beschlossen:

die gesamte Fülle der Obersten Macht auf dem gesamten Territorium des Russländischen Staates der Allrussländischen Provisorischen Regierung, bestehend aus den fünf Personen Nikolaj Dmitrievič Avksent’ev, Nikolaj Ivanovič Astrov, Generalleutnant Vasilij Georgievič Boldyrev, Petr Vasil’evič Vologodskij und Nikolaj Vasil’evič Čajkovskij, zu übertragen.

Die Allrussländische Provisorische Regierung lässt sich bei ihrer Tätigkeit von den folgenden, durch die vorliegende Urkunde festgelegten Grundsätze leiten:

Allgemeine Grundsätze

  1. Die Allrussländische Provisorische Regierung ist bis zur Einberufung der Allrussländischen Konstituierenden Versammlung die einzige Trägerin der Obersten Macht auf dem gesamten Territorium des Russländischen Staates.
  2. Alle Funktionen der Obersten Macht, die angesichts der entstandenen Bedingungen zeitweise durch die Regionalregierungen ausgeübt werden, sollen an die Allrussländische Provisorische Regierung übergeben werden, sobald sie dies fordert.
  3. Die Festlegung der Zuständigkeitsbereiche für die Regionalregierungen nach den Prinzipien breiter Gebietsautonomie und auf der Grundlage des unten erläuterten Aktionsprogramms der Regierung wird dem Ratschluss der Allrussländischen Provisorischen Regierung überlassen.

Die Verpflichtungen der Regierung gegenüber der Allrussländischen Konstituierenden Versammlung

Es wird zur unerlässlichen Verpflichtung der Allrussländischen Provisorischen Regierung gemacht:

  1. Dem als staatsrechtliches Organ wirkenden Kongress der Mitglieder der Konstituierenden Versammlung bei seiner eigenständigen Arbeit zur Sicherstellung der Anreise von Mitgliedern der Allrussländischen Konstituierenden Versammlung und zur Beschleunigung und Vorbereitung einer erneuten Tätigkeit der Konstituierenden Versammlung in der gegenwärtigen Zusammensetzung die größtmögliche Unterstützung zu gewähren.
  2. Sich unablässig von den unbestreitbaren obersten Rechten der Konstituierenden Versammlung leiten zu lassen und unermüdlich darüber zu wachen, damit in der Tätigkeit aller der Provisorischen Regierung untergeordneten Organe nichts zugelassen werde, das zu einer Minderung der Rechte der Konstituierenden Versammlung oder zu einer Verzögerung bei der Wiederherstellung ihrer Arbeit führen könnte.
  3. Der Konstituierenden Versammlung über ihre Tätigkeit Bericht zu erstatten, sobald die Konstituierende Versammlung ihre Arbeiten für wiederaufgenommen erklärt, und sich bedingungslos der Konstituierenden Versammlung als der einzigen Obersten Macht im Lande unterzuordnen.

Anmerkung: Dazu wird ein Beschluss des Kongresses der Mitglieder der Allrussländischen Konstituierenden Versammlung vom 16. September 1918 beigefügt.

Aktionsprogramm der Provisorischen Regierung

Bei ihrer Tätigkeit zur Wiederherstellung der staatlichen Einheit und Unabhängigkeit Russlands soll die Allrussländische Provisorische Regierung die folgenden unaufschiebbaren Aufgaben an die erste Stelle rücken:

  1. Den Kampf für die Befreiung Russlands von der Sowjetmacht;
  2. Die Wiedervereinigung der entrissenen, abgefallenen und voneinander getrennten Gebiete Russlands;
  3. Die Nichtanerkennung des Vertrages von Brest-Litovsk und aller weiteren Verträge internationalen Charakters, die sowohl im Namen Russlands als auch von einzelnen seiner Teile nach der Februarrevolution von welcher Macht auch immer geschlossen worden sind, ausgenommen die der Allrussländischen Provisorischen Regierung, und die Wiederherstellung der Wirkungsmächtigkeit der vertraglichen Beziehungen zu den Mächten der Entente;
  4. Die Fortsetzung des Krieges gegen die deutsche Koalition.

Im Bereich der Innenpolitik soll die Provisorische Regierung die nachfolgenden Ziele verfolgen:

I. Im Militärbereich

  1. Die Wiederherstellung einer starken, kampffähigen und einheitlichen Russländischen Armee, die außerhalb des Einflusses politischer Parteien zu stellen und in Gestalt ihres Oberkommandos der Allrussländischen Provisorischen Regierung unterzuordnen ist;
  2. Die vollständige Nichteinmischung der Militärbehörden in den Bereich der Zivilverwaltung, mit Ausnahme der Örtlichkeiten, die Schauplatz von Militärhandlungen sind oder durch Verordnungen der Regierung in den Kriegszustand versetzt worden sind, wenn dies eine extreme staatliche Notwendigkeit erfordert;
  3. Die Herstellung fester Militärdisziplin nach den Prinzipien der Gesetzlichkeit und der Achtung der Persönlichkeit;
  4. Die Nichtzulassung politischer Organisationen von Militärbediensteten und das Fernhalten der Armee von der Politik.

II. Im Zivilbereich

  1. Das sich befreiende Russland nach den Prinzipien der Anerkennung breiter Autonomierechte für seine einzelnen Regionen auf der Grundlage von geographischen, wirtschaftlichen und ethnischen Merkmalen zu organisieren, mit der Absicht, den Staatsaufbau durch die unumschränkt herrschende Konstituierende Versammlung nach föderativen Prinzipien endgültig zu gestalten;
  2. Die Anerkennung der Rechte nationaler Minderheiten, welche kein gesondertes Territorium einnehmen, auf kulturell-nationale Selbstbestimmung;
  3. Die Wiederherstellung der demokratischen städtischen und ländlichen Selbstverwaltung in den von der Sowjetmacht befreiten Teilen Russlands und die Festlegung von Neuwahlen in kürzester Frist;
  4. Die Herstellung aller bürgerlichen Freiheiten;
  5. Das Ergreifen von Maßnahmen zum wirksamen Schutz der öffentlichen Sicherheit und der staatlichen Ordnung.

III. Im Bereich der Volkswirtschaft

  1. Der Kampf gegen die wirtschaftliche Zerrüttung;
  2. Unterstützung der Entwicklung der Produktivkräfte des Landes. Heranziehung von russischem und ausländischem Privatkapital zur Förderung der Produktion und die Ermunterung von Privatinitiative und Unternehmergeist;
  3. staatliche Regulierung von Industrie und Handel;
  4. Ergreifen von Maßnahmen zur Erhöhung der Arbeitsproduktivität und Kürzung des unproduktiven Verbrauchs von Nationaleinkommen;
  5. Entwicklung der Arbeitsgesetzgebung auf der Grundlage eines wirksamen Arbeitsschutzes sowie die gesetzliche Regelung der Bedingungen für die Einstellung und für die Entlassung von Arbeitern;
  6. Anerkennung vollständiger Koalitionsfreiheit;
  7. Abkehr vom Getreidemonopol und von Festpreisen im Bereich der Lebensmittelpolitik unter Beibehaltung der normierten Verteilung derjenigen Produkte, die nicht in ausreichender Menge vorhanden sind. Verfolgung einer staatlichen Beschaffungspolitik unter Beteiligung von Privathandel und Kooperativen;
  8. im Finanzbereich Kampf gegen die Entwertung des Papiergeldes, Wiederherstellung des Steuerapparats und Verstärkung der direkten Einkommensbesteuerung sowie der indirekten Besteuerung;
  9. Im Bereich der Bodenpolitik belässt die Provisorische Allrussländische Regierung das Land in den Händen seiner faktischen Nutzer, ohne solche Veränderungen in den bestehenden Bodenbeziehungen zuzulassen, welche eine Lösung der Bodenfrage in vollem Umfang durch die Konstituierende Versammlung behindern würden. Des Weiteren ergreift sie, unter Berücksichtigung der Gewohnheiten und wirtschaftlichen Besonderheiten der einzelnen Regionen und Gebiete, Maßnahmen zur umgehenden Wiederaufnahme der Bemühungen um eine Regelung der Bodennutzung nach den Prinzipien einer maximalen Vergrößerung des kultivierbaren Landes und der Erweiterung werktätiger Bodennutzung.

Ordnung für eine Änderung der Regierungszusammensetzung

  1. Die Provisorische Allrussländische Regierung handelt als Kollegialorgan, indem sie die Oberste Macht nach den genannten Grundsätzen ausübt. Ihre Mitglieder sind bis zum Zusammentritt der Konstituierenden Versammlung niemandem verantwortlich und nicht absetzbar.
  2. Für den Fall des Ausscheidens des einen oder anderen Mitglieds aus dem Bestand der Provisorischen Regierung werden als Stellvertreter gewählt: Andrej Aleksandrovič Argunov, Vladimir Aleksandrovič Vinogradov, Infanteriegeneral Michail Vasil’evič Alekseev, Vasilij Vasil’evič Sapožnikov und Vladimir Michajlovič Zenzinov.
  3. Im Fall des Ausscheidens irgendeines Mitglieds der Provisorischen Allrussländischen Regierung ersetzt der Stellvertreter den Ausgeschiedenen. Stellvertreter N. D. Avksent’evs ist A. A. Argunov, N. I. Astrovs V. A. Vinogradov, V. G. Boldyrevs M. V. Alekseev, P. V. Vologodskijs V. V. Sapožnikov und N. V. Čajkovskijs V. M. Zenzinov.
  4. Da es für die Provisorische Allrussländische Regierung notwendig ist, umgehend in ihrer vollständigen Zusammensetzung zur Ausübung der Macht und zur Verwaltung des Staates überzugehen, sollen vor der Ankunft der derzeit abwesenden Mitglieder umgehend deren persönliche Stellvertreter in ihren Bestand eintreten.
  5. Die Mitglieder der Provisorischen Allrussländischen Regierung leisten bei ihrem Eintritt das feierliche Versprechen gemäß dem hier beigefügten Text.

Für den Vorsitzenden Staatskonferenz:

Der stellvertretende Vorsitzende Evgenij Francevič Rogovskij,

Mitglied der Allrussländischen Konstituierenden Versammlung.

Der stellvertretende Vorsitzende der Staatskonferenz, Versorgungsminister der Provisorischen Regierung Sibiriens, I. I. Serebrjannikov.

Der Sekretär der Staatskonferenz und Mitglied der Konstituierenden Versammlung, Boris Moiseenko.

Der Sekretär der Staatskonferenz und Mitglied der Regionalregierung des Urals,

Petr Murašev.

Die Mitglieder der Allrussländischen Konstituierenden Versammlung:

K. Burevoj, Michail Gendel’man, Apol. Nik. Kruglikov, V. Podvickij, O. S. Minor, N. Ivanov, D. Rozenbljum, G. Teregulov, V. Pavlov, V. Pankratov, N. Zdobnov, G. Titov, S. Šendrikov, Barancev, N. Oganovskij, K. Šumakov, S. Volodin, Moisej Krol’, A. Vlasov, V. Ch. Tanačev, S. Lotošnikov, N. Fomin, M. Vozmitel’, B. Archangel’skij, A. Šapošnikov, D. Šnyrev, A. Minin, N. Levčenko, M. Slonin, V. Mamonov, V. L. Utgov, B. Sokolov, F. Tuchvatullin, N. Ljubimov, Iv. Vasil’ev, V. Lomšakov, M. Achmerov, D. Petrov, Vissarion Gurevič, V. Vladykin, Koz’ma Gurov, A. Devizorov, B. Černenkov, P. Suchanov, Ach. Bajtursunov, A. Beremžanov, G. A. Alimbekov, S. Doščanov, Ipmagomet, A. Zisman, L. Efremov, M. Lindberg, V. Alekseevskij, L. Krol’, V. Matuškin, M. F. Tuchtarov, Breškovskaja, E. Lazarev, V. Vol’skij, M. Svjatickij.

Die Vertreter des Komitees der Mitglieder der Allrussländischen Konstituierenden Versammlung:

M. Vedenjapin

Die Vertreter der Provisorischen Regierung Sibiriens:

Generalmajor Ivanov-Rinov, der geschäftsführende Innenminister S. Starynkevič, für die Sibirische Regierung und die Sibirischen Kosaken Generalleutnant G. Katanaev, Oberst Bobrik, der Kommissar des Uralgebiets Professor Petr Maslov.

Die Vertreter der Provisorischen Regionalregierung des Urals:

Koščeev, Ip. Vojtov.

Die Vertreter der Heeresregierungen der Kosakenheere:

Des Heeres der Uralkosaken, General M. Chorošchin.

Der Vertreter des Sibirischen Kosakenheeres und Vertreter des Heeresatamans, der Kosakenoberstleutnant E. Berezlovskij.

Der Stellvertreter des Semirečensk-Kosakenheeres Il’ja Šendrikov.

Der Stellvertreter des Enisej-Heeres Prokopij Šuvaev.

Des Astrachan-Kosakenheeres G. Astachov.

Des Irkutsk-Kosakenheeres I. Peženskij.

Der Vertreter der Regierung Baškiriens:

Das Mitglied der Regierung Baškiriens Iskander Bek-Muchametiarovič Sultanov.

Die Vertreter der kirgisischen Regierung „Alaš Orda“:

Der Vertreter der autonomen Alaš und Vorsitzende der Alas-Orda Alichan Bukejchan, Imam Alimbek.

Die Vertreter der Provisorischen Regierung des autonomen Turkestans:

Der Vorsitzende der Provisorischen Regierung M. Čokaev, das Mitglied der Provisorischen Regierung des autonomen Turkestan A. Urazaev, das Mitglied des Provisorischen Volksrates Turkestans S. A. Muftizade.

Die Vertreter der Nationalverwaltung der Turk-Tataren Innenrusslands und Sibiriens:

Die Vertreter der Nationalverwaltung der muslimischen Turk-Tataren Innenrusslands und Sibiriens Džantjurin, M. G. Ischakov, Sultan-Bek Šagi-Bekovič Mamleev.

Die Vertreter der Provisorischen Regierung Estlands:

B. Linde, A. L. Kaelas, Aleksej Neu.

Die Vertreter des Kongresses der Städte und Zemstva Sibiriens, des Urals und des Wolgagebiets:

I. Achtjamov, A. Gačičeladze, S. Tret’jakov, N. Mitkevič.

Die Vertreter der Zentralkomitees der politischen Parteien und Organisationen:

Des Zentralkomitees der Partei der Sozialrevolutionäre Michail Gendel’man, Flor. Fedorovič, der Delegation der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei B. Kibrik, S. M. Lepskij, des Zentralkomitees der Partei der Volkssozialisten-Trudoviki F. Čembulov, S. Znamenskij, I. Suchanov.

Das Mitglied des Zentralkomitees der allrussländischen sozialdemokratischen Organisation „Einheit“ V. Fomin.

Des Zentralkomitees der Partei der Volksfreiheit A. I. Korobov, A. P. Mel’gunov.

Der Vertreter des Bundes für die Wiedergeburt Russlands S. Znamenskij.

Originalunterschriften:

Provisorische Allrussländische Regierung:

N. Avksent’ev

V. Boldyrev

V. Zenzinov

V. Sapožnikov

Der Geschäftsführer der Provisorischen Allrussländischen Regierung A. Kruglikov.

Für die Richtigkeit:

In Vertretung des Kanzleichefs Permjakov


Hier nach: S. L. Piontkovskij (Hrsg.), Graždanskaja vojna v Rossii (1918 – 1921gg.). Chrestomatija. [Der Bürgerkrieg in Russland (1918-1922). Lehrbuch]. Moskva: Izd. Kommunističeskogo universiteta im. Jakova Sverdlova, 1925, Online. (Übersetzung von N. Katzer)



Hier nach: S. L. Piontovskij (Hrsg.), Graždanskaja vojna v Rossii (1918 - 1921 gg.). Chrestomatija [Der Bürgerkrieg in Russland (1918 - 1921). Lehrbuch]. Izd. Kommunističeskogo universiteta im. Jakova Sverdlova 1925, S. 279-283. Gemeinfrei (amtliches Werk).

Vasilij G. Boldyrev, Direktorija, Kolčak, interventy. Vospominanija [Das Direktorium, Kolčak und die Interventen. Erinnerungen]. Novonikolaevsk 1925.

Viktor Černov, Meine Schicksale in Sowjet-Rußland. Der Firn, Berlin 1921, Online.

Orlando Figes, Peasant Russia, Civil War: The Volga Countryside in Revolution, 1917–1921. Clarendon Press, Oxford 1989, Online.

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Nikolaus Katzer, Die Weiße Bewegung in Russland: Herrschaftsbildung, praktische Politik und politische Programmatik im Bürgerkrieg (=Beiträge zur Geschichte Osteuropas 28). Böhlau, Köln 1999.

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Susan Zayer Rupp, Conflict and Crippled Compromise: Civil-War Politics in the East and the Ufa State Conference. In: The Russian Review, 56:2 (1997), S. 249–264.

Vladimir Zenzinov (Hrsg.), Gosudarstvennyj perevorot admirala Kolčaka v Omske 18 nojabrja 1918 goda. Sbornik dokumentov. Pariž 1919, Online.

Ufimskoe gosudarstvennoe soveščanie [Die Staatsversammlung von Ufa]. In: Russkij istoričeskij archiv, Bd. 1. Praga 1929, S. 57–280.

Ufimskoe soveščanie i Vremennoe sibir’skoe pravitel’stvo [Die Versammlung von Ufa und die Provisorische Regierung Sibiriens]. In: Krasnyj archiv, 6:61 (1933), S. 58–81.

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