Gesetz über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reichs und Erlass des Reichskanzlers zu dessen Vollzug

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Gesetz über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reichs und Erlass des Reichskanzlers zu dessen VollzugЗакон о главе государства Германского рейха и указ рейхсканцлера об его исполнении
1. August 1934
август 1, 1934
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Das Gesetz über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches vom 1. August 1934 markierte einen letzten Höhepunkt und zugleich den Abschluss des Prozesses der nationalsozialistischen Machtübernahme seit dem 30. Januar 1933. Indem Adolf Hitler unter der neuen Amtsbezeichnung „Führer und Reichskanzler“ als Staatsoberhaupt, Regierungschef, Oberbefehlshaber der Streitkräfte und Parteiführer der NSDAP vier zentrale Funktionen der Staatsgewalt in seiner Hand vereinigte, fand die Umwandlung des Deutschen Reiches in einen „Führerstaat“ ihren staatsrechtlichen Abschluss. Das Gesetz dokumentierte zugleich die Lösung einer Regimekrise, die mit der Ausschaltung der SA und national-konservativer Opponenten im Juni/Juli 1934 eng verbunden war. Die Popularität Hitlers, den die deutsche Öffentlichkeit als Garanten für Ordnung und Stabilität ansah, wuchs in der Folgezeit exponentiell an und verschaffte so einer charismatischen Führerherrschaft den notwendigen gesellschaftlichen Rückhalt.



von: Frank Bajohr, 2010


Im Frühjahr und Frühsommer 1934 mehrten sich die Zeichen einer akuten Krise des nationalsozialistischen Regimes in Deutschland. Die Aura der Dynamik und des Aufschwungs, die den Prozess der NS-Machtübernahme im Frühjahr 1933 begleitet hatte, war einer deutlichen Ernüchterung, ja wachsender Unzufriedenheit gewichen. Durch den Rohstoff- und Devisenmangel stockte die wirtschaftliche Erholung. Bauern beklagten sich über bürokratische Schikanen, die mit der Etablierung des „Reichsnährstandes“ verbunden waren, während Arbeiter bei den Vertrauensratswahlen Anfang 1934 vielerorts den vorgelegten Listen ihr Misstrauen ausgesprochen hatten. Propagandaminister Joseph Goebbels lancierte deshalb im Mai 1934 eine Kampagne gegen „Miesmacher und Kritikaster“, um der grassierenden Unzufriedenheit zu begegnen.

Stärker als die wirtschaftlichen Schwierigkeiten belasteten das neue Regime jedoch die ungelösten Herrschaftskonflikte, die vor allem mit der Machtstellung und dem selbstherrlichen Gebaren der SA zusammenhingen. Hatte der willkürliche SA-Terror gegen die politische Linke in der bürgerlichen Öffentlichkeit und vor allem bei den nationalkonservativen Eliten nur bedingt Widerspruch hervorgerufen, so mehrten sich seit Ende 1933 die kritischen Stimmen gegen Eingriffe in Wirtschaft, Verwaltung, Polizei und Militär. Vor allem die Reichswehr befürchtete nicht zu Unrecht, dass die auf über 3,5 Millionen Mitglieder angewachsene SA ihr die Monopolstellung als „Waffenträger der Nation“ streitig machen könnte. Innerhalb der nationalsozialistischen Bewegung betonte der SA-Stabschef Ernst Röhm zwar die Loyalität der SA zur Person Adolf Hitlers, konterkarierte diesen Eindruck jedoch durch eine betont „revolutionäre“ Rhetorik. Diese versetzte nicht nur Vertreter konservativer Eliten in Alarmstimmung, sondern mobilisierte auch innerparteiliche Gegner der SA wie Hermann Göring, Goebbels und Heinrich Himmler, die Hitler zu einem scharfen Vorgehen gegen die SA ermunterten.

Im Juni 1934 sah sich Hitler zum Handeln gezwungen. Vizekanzler Franz von Papen hatte am 17. Juni in Marburg eine öffentliche Rede gehalten, in der er die innere Entwicklung des Reiches scharf kritisierte: „Kein Volk kann sich den ewigen Aufstand von unten leisten.“ Goebbels verbot umgehend die Verbreitung der Rede, die dennoch in Auszügen an die Öffentlichkeit gelangte und die Unzufriedenheit unter den national-konservativen Eliten weiter zu schüren drohte. Diese verfügten in dem greisen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, der in Krisenzeiten z.B. das Kriegsrecht verhängen und die Macht an die Reichswehr übergeben konnte, immer noch über eine wichtige Stütze.

In dieser Situation entschied sich Hitler zu einem Doppelschlag gegen die SA und die sogenannte „Reaktion“: Er bestellte die SA-Führung zu einer Besprechung am 30. Juni 1934 in Bad Wiessee ein, um sie dort verhaften und anschließend erschießen zu lassen. SA-Stabschef Röhm, der zunächst am Leben gelassen worden war, wurde am folgenden Tag exekutiert. In ganz Deutschland setzten sich Mordkommandos in Bewegung, die nicht nur prominente SA-Führer liquidierten, sondern auch missliebige Vertraute des Vizekanzlers von Papen ermordeten, darunter den Verfasser der „Marburger Rede“, Edgar Julius Jung, sowie die Generäle Kurt von Schleicher und Ferdinand von Bredow. Insgesamt fielen etwa 150-200 Personen der am 2. Juli offiziell beendeten Mordwelle zum Opfer.

Während das Ausland entsetzt auf die entfesselte Gewaltmaschinerie reagierte, setzte sich in Deutschland nach anfänglicher Verwirrung vor allem ein Gefühl der Erleichterung durch, dass an den „Rabauken“ der SA ein Exempel statuiert und die staatliche Ordnung scheinbar wiederhergestellt worden war. Reichswehrminister Werner von Blomberg pries in einem Erlass den „vorbildlichen Mut“ Hitlers und versicherte diesem die „Hingebung und Treue“ der Reichswehr. Der todkranke Reichspräsident von Hindenburg übermittelte Hitler seinen „tiefempfundenen Dank“. Das Reichskabinett verabschiedete am 3. Juli ein Gesetz, das die Mordaktionen „als Staatsnotwehr rechtens“ legalisierte, und der Staatsrechtslehrer Carl Schmitt applaudierte den Gewaltmaßnahmen in einem Artikel mit dem Titel: „Der Führer schützt das Recht“. Die NS-Propaganda berichtete ausführlich über das ausschweifende und „sittenlose“ Gebaren der hingerichteten SA-Führung, so dass Hitler in den Augen der Bevölkerung schließlich als Garant von Moral, Gesetz und Ordnung dastand. So berichteten sozialdemokratische Vertrauensleute über die öffentliche Stimmung an den SPD-Exilvorstand, dass die meisten Deutschen „ihre Befriedigung äußern, dass Hitler so durchgegriffen habe. Damit habe er erneut den Beweis erbracht, dass er nur das Beste will, dass er eine saubere Umgebung haben wolle.“ Dementsprechend sei bei vielen die „Achtung vor dem Führer ins Ungeheuerliche gestiegen“.

Mit seinem Doppelschlag hatte sich Hitler also nicht nur seiner Widersacher entledigt, sondern zugleich sein Ansehen in breiten Kreisen der Bevölkerung enorm gesteigert. Diese Entwicklung bildete den Hintergrund für das „Gesetzes über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches“ vom 1. August 1934, das die gesteigerte Machtfülle Hitlers insofern zum Ausdruck brachte, als es die Ämter des Reichspräsidenten und des Reichskanzlers in der Hand des neuen „Führers und Reichskanzlers“ vereinigte. Bezeichnenderweise war es noch vor dem Ableben des Reichspräsidenten von Hindenburg von der Reichsregierung beschlossen worden und trat nach dessen Tod am 2. August 1934 in Kraft. Es trug auch die Unterschrift des Vizekanzlers Franz von Papen, der bald darauf zurücktreten musste und als Hitlers Sondergesandter nach Wien abgeschoben wurde.

Hitler war sich seiner neu gewonnenen Stellung so sicher, dass er in einem „Erlass des Reichskanzlers zum Vollzug des Gesetzes über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reichs“ vom 2. August in gespielter Bescheidenheit auf den Titel des „Reichspräsidenten“ verzichtete, weil dieser mit dem Namen Hindenburgs „unzertrennlich verbunden“ sei. Da Hitler überdies um seine neu gesteigerte Popularität wusste, bekundete er gleichzeitig in pseudo-demokratischer Manier seine „Überzeugung, daß jede Staatsgewalt vom Volke ausgehen und von ihm in freier und geheimer Wahl bestätigt sein“ müsse. Deshalb solle auch das Gesetz „unverzüglich dem deutschen Volke zur freien Volksabstimmung“ vorgelegt werden.

Die Entwicklungen der folgenden Tage und Wochen bestätigten die Machtstellung Hitlers, wie sie im Gesetz über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches niedergelegt worden war. Noch am Tag seines Inkrafttretens hatte Reichswehrminister von Blomberg eine neue, für alle Soldaten der Reichswehr verbindliche Eidesformel verkündet, die alle Soldaten gegenüber Hitler persönlich zu „unbedingtem Gehorsam“ verpflichtete. Dieser Unterwerfungsakt folgte dem irrigen Kalkül, Hitler eng an die Streitkräfte binden zu wollen. Stattdessen trat das genaue Gegenteil ein, erwies sich doch Eidesformel als enormes Problem der militärischen Opposition gegen Hitler. Die für den 19. August 1934 anberaumte Volksabstimmung erbrachte eine Mehrheit von 89,9 % der Stimmen für das Gesetz und damit ein Votum, das Hitler als plebiszitäre Akklamation seiner nunmehr unbeschränkten Machtstellung verbuchen konnte. Das „Gesetz über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches“ vom 1. August 1934 markierte insgesamt den Abschluss der nationalsozialistischen Machtübernahme, indem es endgültig einen totalitären Führerstaat etablierte, der sich nicht nur der vorbehaltlosen Unterstützung von Militär und Ministerialbürokratie sicher sein konnte, die dem neuen „Führer und Reichskanzler“ willig entgegen arbeiteten. Zugleich wurde er durch die wachsende Popularität Hitlers und den propagandistisch geschürten „Führer-Mythos“ auch plebiszitär gestützt – als „Zustimmungsdiktatur“ – die sowohl auf Zwang und Gewalt wie auch freiwillige Zustimmung gründete.

Die historische Forschung hat schon früh die zentrale Weichenstellung der Ereignisse des Sommers 1934 und des Gesetzes vom 1. August 1934 für die weitere Entwicklung des „Dritten Reiches“ herausgearbeitet. Wolfgang Sauer sprach bereits 1960 von einer „zweiten Revolution“, die sich allerdings in erster Linie als „Revolution von oben“ vollzogen habe. Während er vor allem die strukturellen Weichenstellungen für die Vollendung der Führerdiktatur hervorhob, betonten Historiker wie Ian Kershaw und Hans-Ulrich Wehler, zuvor schon Norbert Frei, die gesellschaftliche Unterstützung und die relative Popularität Hitlers. Die formale Vollendung des Führerstaates bildete somit zugleich den Ausgangspunkt einer charismatischen Herrschaftsbeziehung zwischen „Führer“ und Bevölkerung.



Gesetz über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reichs. Vom 1. August 1934.[ ]

Die Reichsregierung hat das folgende Gesetz beschlossen, das hiermit verkündet wird:

§ 1

Das Amt des Reichspräsidenten wird mit dem des Reichskanzlers vereinigt. Infolgedessen gehen die bisherigen Befugnisse des Reichspräsidenten auf den Führer und Reichskanzler Adolf Hitler über. Er bestimmt seinen Stellvertreter.

§ 2

Dieses Gesetz tritt mit Wirkung vom Zeitpunkt des Ablebens des Reichspräsidenten von Hindenburg in Kraft.

Berlin, den 1. August 1934.

Der Reichskanzler
Adolf Hitler


Der Stellvertreter des Reichskanzlers
von Papen
 
Der Reichsminister des Auswärtigen
Freiherr von Neurath
 
Der Reichsminister des Innern
Frick
 
Der Reichsminister der Finanzen
Graf Schwerin von Krosigk
 
Der Reichsarbeitsminister
Franz Seldte
 
Der Reichsminister der Justiz
Dr. Gürtner
 
Der Reichswehrminister
von Blomberg
Der Reichspostminister
und Reichsverkehrsminister
Frhr. v. Eltz
 
Der Reichsminister
für Ernährung und Landwirtschaft
R. Walther Darré
 
Der Reichsminister für
Volksaufklärung und Propaganda
Dr. Goebbels
 
Der Reichsminister der Luftfahrt
Hermann Göring
 
Der Reichsminister für Wissenschaft,
Erziehung und Volksbildung
Bernhard Rust
 
Der Reichsminister ohne Geschäftsbereich
Rudolf Heß
 
Der Reichsminister ohne Geschäftsbereich
Hanns Kerrl


Erlaß des Reichskanzlers zum Vollzug des Gesetzes über das Staatsoberhaupt
des Deutschen Reichs vom 1. August 1934 (Reichsgesetzbl. I S. 747).
Vom 2. August 1934.

Herr Reichsinnenminister!

Die infolge des nationalen Unglücks, das unser Volk getroffen hat, notwendig gewordene gesetzliche Regelung der Frage des Staatsoberhauptes veranlaßt mich zu folgender Anordnung:

1. Die Größe des Dahingeschiedenen hat dem Titel Reichspräsident eine einmalige Bedeutung gegeben. Er ist nach unser Aller Empfinden in dem, was er uns sagte, unzertrennlich verbunden mit dem Namen des großen Toten. Ich bitte daher, Vorsorge treffen zu wollen, daß ich im amtlichen und außeramtlichen Verkehr wie bisher nur als Führer und Reichskanzler angesprochen werde. Diese Regelung soll für alle Zukunft gelten.

2. Ich will, daß die vom Kabinett beschlossene und verfassungsrechtlich gültige Betrauung meiner Person und damit des Reichskanzleramtes an sich mit den Funktionen des früheren Reichspräsidenten die ausdrückliche Sanktion des deutschen Volkes erhält. Fest durchdrungen von der Überzeugung, daß jede Staatsgewalt vom Volke ausgehen und von ihm in freier und geheimer Wahl bestätigt sein muß, bitte ich Sie, den Beschluß des Kabinetts mit den etwa noch notwendigen Ergänzungen unverzüglich dem deutschen Volke zur freien Volksabstimmung vorlegen zu lassen.

Berlin, den 2. August 1934.

Der Reichskanzler
Adolf Hitler

Hier nach: Reichsgesetzblatt 1934 I, S. 747, 751.






Reichsgesetzblatt 1934 I, S. 747, Online; Reichsgesetzblatt 1934 I, S. 751, Online. Gemeinfrei (amtliches Dokument).

Reichsgesetzblatt [Вестник законов рейха] 1934 I, S. 747, онлайн; Reichsgesetzblatt [Вестник законов рейха] 1934 I, S. 751, онлайн. Общественное достояние (официальный документ).

Karl Dietrich Bracher/Wolfgang Sauer u. a., Die nationalsozialistische Machtergreifung: Studien zur Errichtung des totalitären Herrschaftssystems in Deutschland 1933/34. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Köln 1960.

Norbert Frei, Der Führerstaat: Nationalsozialistische Herrschaft 1933 bis 1945. C.H.Beck, München 2013.

Ian Kershaw, Hitler. Bd. 1: 1889–1936. DVA, Stuttgart 1998.

Hans Ulrich Wehler, Der Nationalsozialismus: Bewegung, Führerherrschaft, Verbrechen, 1919–1945. C.H.Beck, München 2009.

Bracher, K. D., Sauer, W., и др. Die nationalsozialistische Machtergreifung: Studien zur Errichtung des totalitären Herrschaftssystems in Deutschland 1933/34 [Захват власти национал-социалистами: исследования о становлении тоталитарной системы правления в Германии в 1933/34 гг.]. Köln: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 1960.

Frei, N. Der Führerstaat: Nationalsozialistische Herrschaft 1933 bis 1945 [Государство фюрера: национал-социалистическое правление с 1933 по 1945 гг.]. München: C.H.Beck, 2013.

Kershaw, I. Hitler, 1889—1936: Hubris. London: Allen Lane, 1998, онлайн.

Wehler, H. U. Der Nationalsozialismus: Bewegung, Führerherrschaft, Verbrechen, 1919–1945 [Национал-социализм: движение, правление фюрера, преступления, 1919-1945 гг.]. München: C.H.Beck, 2009.