Gesetz der UdSSR über die Einrichtung des Amtes des Präsidenten der UdSSR sowie Änderungen und Ergänzungen der Verfassung (Grundgesetz) der UdSSR, 14. März 1990

Einführung

Der 3. Außerordentliche GlossarVolksdeputiertenkongreß der UdSSR fand zwischen dem 12. und 15. März 1990 statt. Seine historische Bedeutung ergab sich aus zwei Beschlüssen. Am 13. März wurde GlossarArtikel 6. der Sowjetverfassung aufgehoben und damit das Ende des Glossarkommunistischen Regimes besiegelt. Am gleichen Tag wurde auch das Präsidentenamt eingerichtet; zwei Tage später, am 15. März erfolgte die Wahl GlossarMichail Gorbačevs zum ersten GlossarPräsidenten der UdSSR.

Die Opposition befürchtete, daß die Einrichtung des Präsidentenamtes zu einer Verstärkung der autoritären Tendenzen führen werde. GlossarJu. Afanas'ev, ein Vertreter der GlossarInterregionalen Abgeordnetengruppe (MDG), erklärte, daß deren Anhänger "gegen die Wahl des Präsidenten auf dem Volksdeputiertenkongreß entschieden protestieren" würden. Die Opposition bestand auf direkte Wahlen; sie wollte erreichen, daß es überall im Lande zu einer offenen Auseinandersetzung zwischen den Anhängern Gorbačevs und GlossarBoris El'cins käme. Der Aufschwung der GlossarBürgerbewegung, der seit Februar 1990 zu verzeichnen war, und die Wahlen zu den Machtorganen der RSFSR, bei denen die Demokraten gut abgeschnitten hatten, nährten ihre Hoffnungen, daß man den "letzten und entscheidenden Kampf" gewinnen könne. Allerdings wäre 1990 ein Wahlsieg El'cins kaum zu erreichen gewesen, wohnte doch ein bedeutender Teil der Wählerschaft im obrigkeitshörigen Mittelasien. Doch einmal angenommen, El'cin hätte die Wahl gewonnen – er hätte sich in einer äußerst schwierigen Situation befunden, konfrontiert mit den gleichen Problemen wie Gorbačev und zusätzlich unter dem Druck der Eliten und der Konservativen in den Unionsrepubliken.

Da ein Wahlsieg der Demokraten von vorneherein nicht ausgeschlossen werden konnte, ist es verständlich, warum Gorbačev das Risiko einer Kandidatur bei Direktwahlen nicht eingehen wollte. Stattdessen ließ er GlossarA. Jakovlev auf die Opposition einreden, um sie von der Idee direkter Wahlen abzubringen. Die Ablehnung direkter Wahlen zog einen weiteren Autoritätsverlust Gorbačevs nach sich. Doch die Fortsetzung des Wahlmarathons um ein weiteres halbes Jahr drohte das Verwaltungschaos zu vertiefen und die notwendigen Wirtschaftreformen endlos hinauszuzögern. Die Ironie des Schicksals sollte es sein, daß es genauso kam.

Indes hatte das MDG einen Katalog von Forderungen aufgestellt, von deren Erfüllung sie die Einrichtung des Präsidentenamtes abhängig machte: Sie bestand auf der Unterzeichnung des GlossarUnionsvertrags, der Bildung eines mit Vollmachten ausgestatteten GlossarObersten Sowjets, einer Direktwahl des Präsidenten nach Abschluß des Unionsvertrags, ebenfalls direkten Parlamentswahlen nach einem Mehrparteiensystem, dem Austritt des Präsidenten aus der kommunistischen Partei und der Gewährung von Bürgerrechten. Die Erneuerung des Unionsvertrags sollte den Anfang machen. Daraufhin hatten eine umfassende Verfassungsreform und anschließend die Präsidentenwahl zu folgen. Die Unterzeichung des neuen Unionsvertrags brachten die Liberalen deshalb auf die Tagesordnung, weil sie sich die Unterstützung der baltischen Staaten sichern wollten.

Gorbačev wies diese Vorschläge der MDG zurück. Dabei kann man seine Vorgehensweise und die Ablehnung eines Bündnisses mit der MDG kaum damit erklären, daß ihre Vertreter, wie G. Chiesa meinte, "jenen labilen Kompromiß untergruben, den der sowjetische Führer im GlossarCK der Partei erreicht hatte". Denn zu diesem Zeitpunkt war der sowjetische Staats- und Parteiführer nicht mehr dem Zwang ausgesetzt, die CK-Beschlüsse befolgen zu müssen. Stattdessen ist anzunehmen, daß Gorbačev die Vorschläge des MDG mit oder ohne den Druck von seiten des CK abgelehnt hätte: Indem die Opposition für den Machttransfer von der GlossarKPSS auf die Staatsorgane und die "Verwestlichung" der Verfassung eintrat, setzte sie sich über Gorbačevs augenblickliche taktische Interessen hinweg und beschwor eine akute Gefahr für seine Machtposition herauf. Hinzu kam, daß die Erneuerung des Unionsvertrags, wie es die entsprechende Initiative der MDG vorsah, das ganze Staatsgebilde der Sowjetunion mit der Perspektive eines endgültigen Zerfalls konfrontierte.

Obwohl sich die Haltung der Opposition zunehmend radikalisierte, war Gorbačev weiterhin bereit, Kompromisse einzugehen. Auf ihre Kritik am Präsidentenamt als einer autoritären Einrichtung antwortete die Staats- und Parteispitze mit der Einführung des Impeachment. Hiermit wurde die Machtposition des Präsidenten eingeschränkt: Fortan hatte der Volksdeputiertenkongreß das Recht, dessen Beschlüsse außer Kraft zu setzen.

Auf dem 3. Volksdeputiertenkongreß überzeugte sich Gorbačev ein weiteres Mal: Für seine Machtposition waren die fortbestehende Abhängigkeit vom GlossarPolitbüro und CK mindestens ebenso gefährlich, wie die Abhängigkeit vom Volksdeputiertenkongreß und das Verbleiben im Amt des GlossarVorsitzenden des Obersten Sowjets. Zumindest der letzte Umstand hätte zur Absetzung des Reformführers führen können. Es sah so aus, als müßte sich Gorbačev jetzt nach zwei Seiten hin verteidigen – gegen die Interregionale Abgeordnetengruppe und gegen die Gruppe Glossar"Union". 1303 Volksdeputierten bei 64 Stimmenthaltungen stimmten "für" die Einbringung einer Verfassungsänderung, wonach der Präsident kein Führungsamt in der Partei bekleiden dürfe. "Dagegen" stimmten nur 607 Abgeordneten. Die Verfassungsänderung wurde nur wegen des fehlenden Quorums nicht durchgebracht. Die Demokraten und die Patrioten waren sich in dieser Frage einig. Ein Vertreter der "Union", der Vorsitzende des GlossarKomitees des Obersten Sowjets der UdSSR für die Wirtschaftsreformen, GlossarJu. Blochin, wandte sich "an alle Bürger des Landes, die auf sowjetischen Positionen stehen" und schlug Wahlen mit mehreren Kandidaten vor, wobei er als solche GlossarV. Bakatin, M. Gorbačev und GlossarN. Ryžkov nannte. Ihrerseits wollten die Kommunisten Gorbačev loswerden, da er ihnen die reale Macht entzog. Als schärfster Kritiker Gorbačevs tat sich der ehemalige Anführer der Bergleute und Führer der Kommunisten im Kuznecker Becken GlossarT. Avaliani hervor. Er warf Gorbačev vor, auf die Schwächung der außenpolitischen Stellung der Sowjetunion, auf eine Wirtschaftskrise und auf die innere Spaltung des Volkes hinzuzuarbeiten. Nach dem 3. Volksdeputiertenkongreß und seiner Wahl zum Präsidenten sollte Gorbačev einen Bonapartismus klassischer Provenienz verfolgen, wobei er zwischen den Konservativen und den Liberalen rechts vom Zentrum hin und her manövrierte.

Trotz dieser scharfen Kritik fand sich im Volksdeputiertenkongreß keine weitere Figur, die genug Autorität besessen hätte, um alternativ zum Präsidentschaftskandidaten gemacht zu werden. Am 15. März wählte der Volksdeputiertenkongreß Gorbačev für fünf Jahre zum Präsidenten der UdSSR. "Für" ihn stimmten 1329 Volksdeputierten, also 50,2% der Abgeordnetenlisten, "dagegen" – 459. Zum Vorsitzenden des Obersten Sowjets der UdSSR wurde der ehemalige Stellvertreter Gorbačevs auf diesem Posten, GlossarA. Luk'janov, bestellt.

Die Einrichtung des Präsidentenamtes bedeutete, daß der Machttransfer, wie Gorbačev selbst schreibt, "von der GlossarStaraja ploščad' [dem Alten Platz, dem Sitz des Zentralkomitees der Partei] zum GlossarKreml", faktisch abgeschlossen war. Nun unterlag Gorbačev keiner Folgepflicht gegenüber den Anweisungen des Politbüros mehr und war von der GlossarParteinomenklatura unabhängig. Weitgehend unabhängig war er auch von den Wählern. Somit bestanden alle Voraussetzungen dafür, daß er auf eigene Faust handeln und einen eigenen politischen Kurs verfolgen konnte. Die Kehrseite dieser Autonomie war jedoch, daß Gorbačev den Draht zur politischen und sozialen Basis seiner Macht mehr und mehr verlor und daß seine Beschlüsse durch die Bürokratie wie durch die Bevölkerung sabotiert wurden.

Beim Präsidenten wurden gleichzeitig zwei neue "Politbüros" gebildet – der GlossarFöderationsrat, der sich aus Vertretern der Unionsrepubliken zusammensetzte, und der GlossarPräsidialrat, der Gorbačev bei den wichtigsten politischen Entscheidungen beratend zur Seite stehen und die Kontrolle über die öffentliche Meinung übernehmen sollte. Es kam jedoch oft vor, daß der Föderationsrat wie der Präsidialrat, um entsprechende Wirkung nach außen bemüht, Meinungen vertraten, die weder Gorbačev noch den einzelnen politischen Gruppierungen ins Konzept paßten. So handelte es sich bei den Mitgliedern beider Einrichtungen weniger um Gleichgesinnte, als um einen "Rückkopplungsmechanismus", der die Verbindung zu den liberalen Eliten herstellen sollte. Allerdings wäre diese "Rückkopplung" nicht notwendig gewesen, wenn man die entsprechenden Tageszeitungen gelesen hätte. So sah sich Gorbačev gezwungen, den Präsidialrat durch den GlossarSicherheitsrat zu ersetzen, der in seiner Tätigkeit mehr Effektivität an den Tag legte. Dabei handelte es sich um ein Analogon zum Politbüro, d.h. um ein Gremium aus hochrangigen Amtsträgern, mit dem Unterschied jedoch, daß es in diesem Fall keine "Kollegen" des ersten Mannes im Staat waren, sondern seine unmittelbaren Untergebenen. Ihre Dienststellung verbot ihnen, mit dem Präsidenten zu streiten. In der Regel nickten sie ihm einverstanden zu – wie die Erfahrung des GlossarPutsches vom August 1991 und die Gründung des GlossarGKČP zeigten, bedeutete es aber keineswegs, daß sie sich mit Gorbačev wirklich einig waren.

1990 erhielt der Präsident der UdSSR weitere Kompetenzen, doch seine reale Macht wurde zunehmend zu einer Illusion. Die Tatsache, daß Gorbačev als Diktator eher schwach war, mag merkwürdig erscheinen. Sie war jedoch auf die aktuelle Machtlage zurückzuführen und hing mit seinem politischen Stil als Reformer zusammen. In Anbetracht der Machtverschiebung von der Partei auf den Staat stand Gorbačev eine Zeitlang kein effektives politisches Instrument zur Verfügung: Der Apparat der KPSS funktionierte bereits nicht mehr, und neue Strukturen hatten sich an seiner Stelle noch nicht herausgebildet; sogar sein Kaderbestand war keineswegs gesichert. Die neue Machtvertikale wurde zusätzlich durch zahlreiche Gegensätze innerhalb der Nomenklatura geschwächt, deren einzelnen Gruppen weder durch Disziplin noch eine gemeinsame Idee zusammengehalten wurden. Währenddessen hatten sich Vertreter der alten sowjetischen Staatsstrukturen auf regionale Eliten und politische Gruppierungen umorientiert. Als Folge fehlte Gorbačev eine organisierte Unterstützung "von unten". Hinzu kam, daß Gorbačev in dieser Situation, die einer Revolution gleichkam, die Initiative verlor und sich in jede Richtung treiben ließ, sobald man auf ihn den entsprechenden Druck ausübte. Ein weiterer Umstand war, daß der sowjetische Staatsführer zwar im Inneren eine große formelle Macht in seinen Händen konzentrierte, nach außen hin jedoch als Pazifist und Demokrat galt. So war er gezwungen, sich bei der Lösung von innenpolitischen Aufgaben aufs Taktieren einzulassen und ein Abgleiten in Repressionen zu vermeiden. Im nachhinein behauptete Gorbačev, daß er "die Reformen nicht mit Gewalt […], sondern anhand eines Konsenses auf den Weg bringen wollte, im schlimmsten Fall […], anhand eines Kompromisses". Und in der Tat konnte Gorbačev keinen anderen Weg gehen: Im Falle, daß er den Repressionsmechanismus in Gang gesetzt hätte, wäre das Land in eine blutige gewalttätige Auseinandersetzung hineingezogen worden, deren Ausgang und Folgen nicht absehbar waren. Somit liegt eines auf der Hand: Unter den politischen Bedingungen, wie sie 1990 bestanden, konnte Gorbačev weder strafen noch für Ideen begeistern. Ihm blieb nichts anderes übrig, als auf den Interessenausgleich mit den neuen, im Entstehen begriffenen Eliten zu setzen. Das bedeutete – man mußte die Kontrolle über die Ressourcen an sie abtreten. Doch Gorbačevs Plan ging nicht auf: Infolge des Machttransfers auf die neuen Eliten schrumpfte das Machtpotential der Führung in Moskau weiterhin zusammen, auch wenn sie ihre formellen Kompetenzen weiterhin behielt.

Obwohl Gorbačev inzwischen Präsident der UdSSR geworden war, behielt er seinen Posten als GlossarGeneralsekretär der Partei bei. Im nachhinein wurde er oft mit der Frage konfrontiert, warum er damals keinen endgültigen Bruch mit der KPSS vollzogen hatte. Zu seiner Rechtfertigung führte Gorbačev moralische Argumente an: "es wäre unanständig, unfair, ja wenn Sie so wollen, es wäre sogar einem Verbrechen gleichgekommen, wenn ich zum anderen Lager übergelaufen wäre." Angesichts dieser Erklärung sind Zweifel anzumelden, schließlich sollte ja Gorbačev im August 1991, als die Partei auf ihr Ende zusteuerte, sein Amt niederlegen, ohne irgendwelche moralische Bedenken zu zeigen. Es ist eher davon ausgehen, daß Gorbačev, der die Partei nicht als ein Instrument seiner Machtpolitik, sondern als ein Hindernis auf dem Weg zu Reformen betrachtete, den Posten ihres Generalsekretärs behielt, weil er die Machtübernahme durch einen Konservativen und die Konsolidierung der Partei auf der Basis einer konservativen Plattform verhindern wollte.

Dieser politische Kurs forderte seinen Preis: Dem sowjetischen Staats- und Parteiführer war es nicht gelungen, sich den politischen Rückhalt zu sichern und eine eigene "Gorbačev-Partei" zu bilden, die offen und konsequent für die Durchsetzung der Reformen eintrat. Zwar hatte Gorbačev versucht, dem weiteren Abgleiten der KPSS auf konservative Positionen entgegenzusteuern. Er brachte es jedoch nicht soweit, seine Mitstreiter innerhalb der Partei in einem eigenen Block zusammenzuschließen und eine Massenbewegung für den Glossardemokratischen Sozialismus im Bündnis mit der Führung der Glossarinoffiziellen sozialistischen Bewegung zu schaffen. Gorbačevs unentschlossene Vorgehensweise wird verständlich, zieht man seine Angst vor dem Verlust der doppelten Machtstellung als Führer der Partei und der Nation in Betracht. Deshalb war er 1991 in Isolation geraten.

Aleksandr Šubin

(Übersetzung aus dem Russ. von L. Antipow)