"Der Dicke muss weg" – Plakat der DPS zum Saar-Referendum, 1955

Einleitung

Am 23. Oktober 1955 richteten sich die Blicke der westlichen Welt auf die Saar: Die Saarländer wurden aufgerufen, in einer Volksabstimmung über das Saarstatut zu entscheiden. Dieses Statut sah vor, dass die Saar bis zum Abschluss eines Friedensvertrages ein europäisches Statut im Rahmen der Westeuropäischen Union erhält. Die enge wirtschaftliche Beziehung zu Frankreich sollte bestehen bleiben und ein europäischer Kommissar mit den auswärtigen Angelegenheiten der Saar betraut werden. Das Saarstatut war ein Jahr zuvor, am 23. Oktober 1954, zwischen Bundeskanzler Konrad Adenauer und dem französischen Ministerpräsidenten Pierre Mendès France im Rahmen der Pariser Verträge vereinbart worden. Die beiden Nachbarregierungen hatten diesen Kompromiss geschlossen, um die Frage der Zukunft der Saar zu lösen, die ihr Verhältnis seit 1950 zunehmend belastete. Den Hintergrund bildete die Situation nach dem Zweiten Weltkrieg: Frankreich hatte durch eine dauerhafte Anbindung der Saar und ihrer Industrieanlagen Deutschland schwächen wollen. Erst nachdem die Alliierten Widerspruch eingelegt hatten, willigte Frankreich in eine Währungs- und Wirtschaftsunion bei einer begrenzten politischen Autonomie an der Saar ein.

Doch die Politiker hatten bei der Vereinbarung des Saarstatuts die Haltung der Saarländer nicht richtig eingeschätzt. Die Mehrheit der Saarländer war verunsichert. Sollten sie das Saarstatut billigen oder nicht? Eine im April 1955 durchgeführte Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Allensbach ergab, dass 59 Prozent der Saarländer noch nicht über ein klares Meinungsbild verfügten. 20 Prozent der Befragten erklärten ihre Ablehnung und nur 21 Prozent sprachen sich für das Statut aus. Bei Abschluss der Verhandlungen hatte weder die deutsche noch die französische Regierung in Betracht gezogen, dass die Saarländer die vorgeschlagene Europäisierung ablehnen könnten. Was sollte nach einem "Nein" der Saarländer geschehen? Auf politischer Ebene waren keine Vorkehrungen für eine Ablehnung des Statuts getroffen worden. Diese Ausgangslage versprach einen intensiv betriebenen Abstimmungskampf.

Am 23. Juli 1955 begann die dreimonatige offizielle Abstimmungskampagne. Die politischen Parteien teilten sich hinsichtlich ihrer Haltung zum Saarstatut in "Ja-Sager" und "Nein-Sager". Die Christliche Volkspartei (CVP) des saarländischen Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann und die Sozialdemokratische Partei des Saarlandes (SPS) zählten zu den "Ja-Sagern". Sie warben für eine Europäisierung der Saar und eine Annahme des Statuts. Europa Union und Gruppe Neues Europa traten als Europa-Bewegung auf und waren mit der CVP und SPS eng verflochten. Zu den "Nein-Sagern" gehörten die bis zum Beginn des Abstimmungskampfes verbotenen Parteien, die Demokratische Partei des Saarlandes (DPS), die Christlich Demokratische Union (CDU) und die Deutsche Sozialdemokratische Partei (DSP). Sie schlossen sich zum Heimatbund zusammen, lehnten das Statut ab und sprachen sich gegen die Regierung Hoffmann aus. Die Kommunistische Partei stellte sich ebenfalls gegen die Pariser Verträge und die Saarstatutsregelung.

Ja oder Nein zum Saarstatut? – Die Diskussion um diese Frage wurde an der Saar vor allem medial ausgetragen. Mehr als hundert verschiedene Plakatmotive warben auf den saarländischen Straßen und Plätzen für die politischen Parteien. Der Saarländische Landtag hatte am 8. Juli 1955 ein Gesetz erlassen, das die Anbringung der Plakate regelte. Danach stand jeder Partei auf den Plakatwänden der gleiche Raum zu. Um eine Beeinflussung des Abstimmungskampfes "von außen" zu verhindern, durften die Plakate nur an der Saar gedruckt werden. Das Plakat der DPS griff den von saarländischen Journalisten formulierten Spruch "Der Dicke muss weg" auf. Er war der Wahlslogan der Heimatbundparteien und als solcher an der ganzen Saar bekannt. Mit dem "Dicken" war der füllige Ministerpräsident Johannes Hoffmann gemeint. Die Karikatur auf dem Plakat zeigt seinen Kopf – unverwechselbar: ohne Haare, mit Brille und Schnauzer. "Darum mit der DPS NEIN" stand in gelber Schrift darunter. Die Botschaft des Plakates war klar: Ein Nein zum Saarstatut bedeutete ein Nein zum Saarstaat unter Johannes Hoffmann. Die "Nein-Sager", zu denen die DPS gehörte, erhofften sich, eine Ablehnung des Statuts bewirke das Ende des Saarstaates und einen Anschluss an die Bundesrepublik. Das Plakat verdeutlicht, dass es bei der Abstimmung am 23. Oktober 1955 letztlich auch um Akzeptanz oder Ablehnung des demokratische Freiheiten einschränkenden Saarstaates ging. In der Forschung wird kontrovers darüber diskutiert, wie ausgeprägt die Kontrollpolitik der Regierung Hoffmann tatsächlich war. Neuere Untersuchungen gehen davon aus, dass "deren Umfang von den Zeitgenossen eher überschätzt wurde".1

Die "Ja-Sager" bewerteten die Billigung des Statuts durch die saarländische Bevölkerung hingegen als die notwendige Bedingung der deutsch-französischen Aussöhnung und der Förderung der europäischen Integration. Sie kritisierten die gegnerischen Parteien und unterstützten den Kurs des Ministerpräsidenten Hoffmanns. Die "Ja-Sager" wie die "Nein-Sager" verwiesen auf soziale und wirtschaftliche Vorteile, die sich aus der Annahme bzw. der Ablehnung des Statuts für die Saar ergäben. Beide Seiten nutzten die Popularität von Bundeskanzler Konrad Adenauer und führten ihn als Unterstützer ihrer Seite an. Den "Nein-Sagern" gelang dies nur, indem sie Adenauer unterstellten, er hoffe entgegen seines öffentlichen Auftretens insgeheim, dass die Saarländer das Statut ablehnten. Die "Ja-Sager" riefen die Abstimmung am 13. Januar 1935 ins Gedächtnis und warnten vor den Gefahren des Nationalismus: Nach dem Ersten Weltkrieg hatte sich die Saar unter dem Mandat des Völkerbundes befunden. Entsprechend des Versailler Vertrages waren die Saarländer damals gefragt worden, ob sie einen Anschluss an das Deutsche Reich, an Frankreich oder die Beibehaltung des Status quo wollten. 90,5 Prozent der stimmberechtigten Saarländer hatten 1935 für einen Anschluss an das Deutsche Reich gestimmt.

Am 23. Oktober 1955 war der Abstimmungskampf zu Ende. Die Saarländer waren auf den Beinen, um an den Urnen über die Zukunft der Saar mitzuentscheiden. Die Wahlbeteiligung lag bei bemerkenswerten 97,5 Prozent. 32,3 Prozent der Stimmen sprachen sich für das Statut aus, während 67,7 Prozent es ablehnten. Die saarländischen Wähler waren nicht der Wahlempfehlung Johannes Hoffmanns gefolgt. Sie hatten dem Saarstatut eine eindeutige Absage erteilt und deutlich gemacht, dass sie stattdessen eine Eingliederung in die Bundesrepublik wünschten. Nachdem das Ergebnis der Wahl bekannt gegeben wurde, trat Johannes Hoffmann vom Posten des Ministerpräsidenten zurück. Die Regierungen Deutschlands und Frankreichs bekundeten in einem Telegrammwechsel, dass der Ausgang des Referendums nicht das inzwischen verbesserte Verhältnis der Nachbarländer belasten sollte. Die französische Öffentlichkeit akzeptierte das "Nein" der Saarländer. Damit war der Weg der Saar vorgezeichnet: Die deutsche und die französische Regierung vereinbarten am 27. Oktober 1956, wie sich die Eingliederung der Saar in die Bundesrepublik vollziehen sollte (Saarvertrag). Am 1. Januar 1957 wurde das Saarland elftes Bundesland der Bundesrepublik und am 5./6. Juli 1959 erfolgte die wirtschaftliche Eingliederung. Damit war die Saar aus dem Fokus der westlichen Öffentlichkeit verschwunden und wirkte sich nicht mehr länger hemmend auf die westliche Integration aus.

Susanne Dengel

1 R. Hudemann, A. Heinen in Zusammenarbeit mit J. Großmann und M. Hahn (Hg.), Das Saarland zwischen Frankreich und Europa 1945-1957. Ein Quellen- und Arbeitsbuch. Mit einer CD-Rom zum Abstimmungskampf 1955 von Susanne Dengel, Saarbrücken 2007, S. 82. [1]