Besatzungsstatut zur Abgrenzung der Befugnisse und Verantwortlichkeiten zwischen der zukünftigen deutschen Regierung und der Alliierten Kontrollbehörde, 10. Mai 1949

Einführung

Zu den Gründungsakten der Bundesrepublik Deutschland gehörte das Treffen der elf Repräsentanten westdeutscher Politik, der Ministerpräsidenten der neun Länder und der Bürgermeister der beiden Stadtstaaten Hamburg und Bremen, am 1. Juli 1948 im US-Hauptquartier in Frankfurt am Main. Die Länderchefs waren von den drei alliierten Militärgouverneuren einbestellt worden (von einer Konferenz unter gleichberechtigten Teilnehmern konnte keine Rede sein), um offizielle Mitteilungen zu empfangen, was über die Gestalt künftiger (west)deutscher Staatlichkeit von den Alliierten beschlossen war. Die deutschen Länderchefs waren ohne Angabe des Raums und der Stunde einbestellt worden. Einzelheiten hatten sie erst nach dreitägigem Herumtelefonieren erfahren. Aber das Ereignis gehörte, wie man später erkannte, zu den entscheidenden Daten der deutschen Nachkriegsgeschichte. Die Frankfurter Konferenz bildete den Wendepunkt vom alliierten Kriegsrecht, nach dem Deutschland seit Mai 1945 regiert wurde, zur deutschen Eigenverantwortung.

Die Dokumente, die den deutschen Politikern am 1. Juli 1948 überreicht wurden, enthielten in Form des Gründungsauftrags für einen deutschen Nachkriegsstaat die Chance der Selbständigkeit nach Jahren der Besatzungsherrschaft. Auf französisches Betreiben geschah die offizielle Übergabe der Glossar"Frankfurter Dokumente", wie die Blaupause der westdeutschen Staatlichkeit seither heißt, in zeremonieller Form und frostiger Atmosphäre: Jeder der drei Militärgouverneure verlas in seiner Muttersprache eines der drei Dokumente, General GlossarLucius D. Clay das erste, das die verfassungsrechtlichen Bestimmungen enthielt, General Sir GlossarBrian Robertson das zweite über die Länderneugliederung, und General GlossarPierre Koenig trug in scharfem Ton das dritte Dokument vor, in dem die Grundzüge eines Besatzungsstatuts fixiert waren (am Ende der Veranstaltung erhielten die deutschen Politiker die Texte in Übersetzung).

Das erste der Frankfurter Dokumente ermächtigte die Ministerpräsidenten, bis zum 1. September 1948 ein Parlament zur Ausarbeitung einer demokratischen Verfassung einzuberufen, "die für die beteiligten Länder eine Regierungsform des föderalistischen Typs schafft, die am besten geeignet ist, die gegenwärtig zerrissene deutsche Einheit schließlich wiederherzustellen, und die Rechte der beteiligten Länder schützt, eine angemessene Zentralinstanz schafft und die Garantien der individuellen Rechte und Freiheiten enthält". Im zweiten Dokument war die Neugliederung der deutschen Länder empfohlen.

Im dritten Dokument waren die Grundzüge eines Besatzungsstatuts skizziert. Darin wurde deutlich, wie eng der deutsche Spielraum für die Verfassung und für die künftige staatliche Existenz bemessen war. Die Militärgouverneure stellten zwar die Gewährung einiger Befugnisse der Gesetzgebung, Verwaltung und der Rechtsprechung in Aussicht; ausdrücklich ausgenommen blieben aber beispielsweise die Außenbeziehungen des zu gründenden deutschen Weststaats und die Überwachung des deutschen Außenhandels.

Die Besatzungsherrschaft sollte also mit der Verabschiedung der Verfassung und der Staatsgründung auf dem Territorium der drei Westzonen noch nicht enden, sondern lediglich gelockert und juristisch neu definiert werden. Die Militärgouverneure würden, so hatten es die deutschen Ministerpräsidenten in Frankfurt vernommen, "die Ausübung ihrer vollen Machtbefugnisse wieder aufnehmen", und zwar nicht nur bei drohendem Notstand für die Sicherheit, sondern auch, "um nötigenfalls die Beachtung der Verfassung und des Besatzungsstatuts zu sichern".

Die Ministerpräsidenten als Auftragnehmer der Frankfurter Dokumente und Politiker der großen Parteien berieten in den folgenden Tagen über die Offerte der Alliierten zur Staatsgründung auf westdeutschem Boden. Führende Verfassungsexperten beider Parteien — der GlossarSPD und der GlossarCDU — waren sich einig, daß man das Provisorische der ins Auge gefaßten Staatsgründung betonen müsse und daß das angekündigte Besatzungsstatut als Ausdruck alliierter Verantwortung für die deutschen Angelegenheiten im Vordergrund stehen müsse. Die Antwort an die Alliierten bestand deshalb nach dreitägigem Ringen in Ja und Nein zugleich. Die Vollmachten wollten die Deutschen zwar annehmen, aber nicht in der Form, wie sich die Alliierten das gedacht hatten. Der Primat der drei Westmächte bei der Staatsgründung sollte deutlich zum Ausdruck kommen, um den Vorwurf der Preisgabe der nationalen Einheit durch die westdeutschen Politiker zu verhindern. Aus diesem Grund wünschten die Westdeutschen, daß das Besatzungsstatut vor Aufnahme der Verfassungsberatungen als eigentlicher Konstitutionsakt der Bundesrepublik erlassen werden solle. Die Ministerpräsidenten lehnten auch eine "Nationalversammlung" zur Beratung und Verabschiedung einer Verfassung ab, die dann durch Volksabstimmung in Kraft gesetzt werden sollte. Statt dessen sollten die Landtage ein Gremium wählen, das ein provisorisches Glossar"Grundgesetz" ausarbeiten würde. Das sollte die Entwicklung offen halten: Man wollte zu größerer Selbständigkeit kommen, ohne die Ostzone ausdrücklich preiszugeben. Die Alliierten kamen den deutschen Wünschen nur wenig entgegen, immerhin bei der Bezeichnung der Verfassung, die bis heute "Grundgesetz" heißt, auch die Bezeichnung Glossar"Parlamentarischer Rat" statt "Nationalversammlung" war ein Zugeständnis. Aber das Besatzungsstatut vor den Verfassungsberatungen zu erlassen war für die Alliierten undenkbar. Es sollte den Schlußstein der Staatsgründung bilden.

Der Text des Besatzungsstatuts wurde auf der Außenministerkonferenz der Westmächte (6.-8. April 1949) verabschiedet, am 10. April dem Parlamentarischen Rat bekannt gegeben, am 12. Mai 1949 verkündet. In Kraft gesetzt wurde es beim abschließenden Gründungsakt der Bundesrepublik, als Kanzler GlossarAdenauer am 21. September 1949 sein Kabinett den drei Hohen Kommissaren als Nachfolgern der Militärgouverneure förmlich vorstellte, durch die Erklärung der Alliierten Hohen Kommission.

Das Dokument bildete bis 5. Mai 1955 die Rechtsgrundlage der Beziehungen zwischen den drei Besatzungsmächten und der Bundesrepublik. Das GlossarPetersberger Abkommen vom 22. November 1949 modifizierte es erstmals; am 6. März 1951 erfolgte eine zweite gründliche Revision des Besatzungsstatuts, durch die de facto die politische Verantwortung der Bundesregierung übertragen wurde. Der 1951/52 ausgehandelte Deutschlandvertrag sollte im Zusammenhang mit der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) das Besatzungsstatut endgültig ablösen. Nach dem Scheitern des EVG-Projekts trat der geänderte Deutschlandvertrag im Rahmen der GlossarPariser Verträge, durch die die Bundesrepublik souveräner Staat und NATO-Mitglied wurde, am 5. Mai 1955 in Kraft. Zu diesem Zeitpunkt erlosch das Besatzungsstatut.

Bis dahin hatte das Dokument den Rahmen bezeichnet, innerhalb dessen die Regierung der Bundesrepublik Deutschland Hoheitsbefugnisse ausüben konnte: Das Besatzungsstatut definierte von September 1949 bis Mai 1955 den Grad der Souveränität des deutschen Weststaats.

Wolfgang Benz