Gesetz zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz [Kontaktsperregesetz], 30. September 1977

Einleitung

Im Herbst 1977 befand sich die Bundesrepublik Deutschland in einem Ausnahmezustand. Am späten Nachmittag des 5. September 1977 entführten Mitglieder der terroristischen Gruppierung Rote Armee Fraktion (RAF) in Köln den Präsidenten der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) Hanns Martin Schleyer, nachdem sie seinen Fahrer und drei Polizisten erschossen hatten. Diese Aktion war nach den Morden an Generalbundesanwalt Siegfried Buback (7. April) und Dresdner Bank-Chef Jürgen Ponto (30. Juli) sowie dem gescheiterten Anschlag auf die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe (25. August) der Höhepunkt der RAF-Offensive“ von 1977, die nicht der politisch-ideologischen Propaganda dienen sollte, sondern von den Motiven "Rache" (an den Strafverfolgungsbehörden) und "Big Raushole", d.h. der Befreiung der in Stuttgart-Stammheim inhaftierten Führungsriege um Andreas Baader und Gudrun Ensslin, geleitet war. In der Fehleinschätzung, daß die Bundesregierung eine Marionette des "Kapitals" sei, glaubten die Terroristen, mit dem "Boss der Bosse" Schleyer ein geeignetes Druckmittel für die schnelle Freipressung von elf führenden Gruppenmitgliedern in den Händen zu haben. Doch Bundeskanzler Helmut Schmidt legte sich mit seinen Ministern, Beratern sowie den Spitzen der SPD/FDP-Koalition und der CDU/CSU-Opposition frühzeitig darauf fest, den Forderungen der Terroristen anders als bei der Entführung des Berliner CDU-Spitzenkandidaten Peter Lorenz im Frühjahr 1975 nicht nachzugeben, "um die Handlungsfähigkeit des Staates und das Vertrauen in ihn im In- und Ausland nicht zu gefährden". An diesem schwerwiegenden Beschluß wurde trotz aller dramatischen Weiterungen – vor allem dem Highjacking der Lufthansa-Maschine "Landshut" nach Mogadischu – während der 44-tägigen Krise festgehalten. Am Ende standen daher weder eine Gefangenen- noch eine Geiselbefreiung, sondern die Selbstmorde in Stammheim und die Ermordung Schleyers (19. Oktober 1977).

Die Strategie staatlicher "Härte" war mit der Hoffnung auf einen schnellen Fahndungserfolg verbunden. Die Chance darauf schien nicht gering zu sein, denn die bundesdeutsche Polizei und Justiz waren inzwischen gut auf die terroristische Gewalt eingestellt. Die Attentate der RAF und anderer linksterroristischer Gruppierungen seit 1970 hatten einen erheblichen Ausbau des Sicherheitsapparats, besonders des Bundeskriminalamts, und eine Verschärfung des Strafrechts, etwa durch das "Anti-Terror-Gesetz" vom 18. August 1976, nach sich gezogen. Damit die neu geschaffenen Instrumente im Entführungsfall Schleyer greifen konnten, benötigte man zunächst vor allem eines: Zeit. Je länger die Geisel am Leben war, desto größer war die Aussicht auf ihre Befreiung oder Freilassung. Eine operative Maßnahme im Bemühen um Zeitgewinn war es auch, daß Bundesjustizminister Hans-Jochen Vogel (SPD) und Generalbundesanwalt Kurt Rebmann kurz nach der Entführung die zuständigen Länderminister veranlaßten, jegliche Kontakte der inhaftierten Terroristen untereinander und zur Außenwelt, also auch zu ihren Verteidigern, zu unterbinden. Diese "Eilmaßnahme" war ohne gesetzliche Grundlage und verstieß gegen die Strafprozeßordnung, doch Vogel berief sich auf einen "rechtfertigenden Notstand" (§ 34 Strafgesetzbuch): Der Schutz von Menschenleben bilde ein höheres Rechtsgut als die Rechte von Häftlingen. Dabei verwies er vor allem auf die Gefahr, daß die RAF-Führung mit Hilfe ihrer Anwälte aus dem Gefängnis heraus die Aktionen steuere – nach dem wiederholten Mißbrauch der Verteidigerrechte in den Jahren zuvor keine unberechtigte Sorge. Vogel und Rebmann gaben allerdings später zu, daß für eine solche Steuerung aus den Zellen heraus keine belastbaren Beweise vorlagen und dieses Argument auch nicht der eigentliche Grund der Maßnahme gewesen war. Im Vordergrund stand vielmehr das taktische Kalkül, der RAF schnelle Einigungen zu erschweren, etwa auf ein Ausreiseziel für die Gefangenen, die freigepreßt werden sollten. Dadurch sollte Zeit gewonnen werden.

Der Bundesjustizminister holte sich im "Großen Krisenstab", in dem während des Entführungsfalls die maßgeblichen Akteure aus Regierung und Opposition gemeinsam berieten, die notwendige politische Rückendeckung für die Kontaktsperre. Doch in einigen Ländern und ihren obersten Gerichten regte sich Widerspruch, und als die betroffenen Häftlinge das Bundesverfassungsgericht anriefen, entschied sich die Regierung, noch vor dem für den 4. Oktober 1977 erwarteten Urteil eine formale gesetzliche Grundlage für die Maßnahme zu erwirken. Nach Vorabsprachen mit den Parteien und den Ländern wurde das von allen drei Bundestagsfraktionen eingebrachte "Kontaktsperregesetz" in einer nahezu beispiellosen legislativen Blitzaktion – die durchschnittliche Dauer des Gesetzgebungsverfahrens betrug in der 8. Wahlperiode (1976-1980) 234 Tage! – in nur drei Tagen, vom 28. bis 30. September, in Bundestag und Bundesrat beraten, gelesen und verabschiedet. Der Inhalt des Gesetzentwurfs und überhaupt das ganze Verfahren stießen auf die Kritik, zumindest auf das Unbehagen vieler SPD- und FDP-Abgeordneter. Doch die meisten von ihnen beugten sich dem enormen Konsensdruck dieser Wochen, in denen die notwendige "Gemeinsamkeit der Demokraten" keine abweichende Meinung zu dulden schien. 21 Abgeordnete der sozialliberalen Koalition ließen sich aber auch durch massive Gegenvorstellungen nicht davon abbringen, entweder gegen das Gesetz zu stimmen (4 SPD) oder sich zu enthalten (12 SPD, 5 FDP), so daß die Anti-Terrorismus-Politik der Regierung erstmals auf die, in diesem Fall geschlossene, parlamentarische Unterstützung der Union angewiesen war.

Nach dem Gesetz kann der Kontakt von rechtskräftig verurteilten Strafgefangenen und von Untersuchungshäftlingen untereinander und mit der Außenwelt einschließlich des Verkehrs mit ihren Verteidigern völlig unterbunden werden, wenn gegenwärtige Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person besteht und der begründete Verdacht vorliegt, daß eine solche Gefahr von einer terroristischen Vereinigung ausgeht. Eine entsprechende Feststellung, deren Wirkung zeitlich begrenzt ist, wird von den jeweiligen Landesregierungen getroffen. Sie kann vom Bundesjustizminister ausgehen, sofern eine Kontaktsperre in mehreren Bundesländern geboten ist. Vogel machte von diesem Recht sofort nach Inkrafttreten des Gesetzes am 2. Oktober 1977 Gebrauch und nannte die Namen von 72 Inhaftierten, deren Kontakte durch die Landesjustizbehörden gesperrt werden sollten. Zwei Tage nach Auffinden der Leiche Schleyers wurde die Kontaktsperre wieder aufgehoben (21. Oktober 1977).

Das "Kontaktsperregesetz" war schon zur Zeit seiner Entstehung und ist bis heute höchst umstritten. Die Kritik richtet sich zum einen sachlich gegen einzelne Punkte, etwa gegen die Gleichstellung von Strafgefangenen und Untersuchungshäftlingen, den Eingriff in die Grundrechte der Gefangenen und die Verletzung der Menschenwürde durch die vollständige Abschottung in staatlicher Obhut, zum anderen grundsätzlich gegen das Gesetzgebungsverfahren und seine Veranlassung. Schon die seit der Nacht der Entführung wirksame Maßnahme der Kontaktsperre war mit dem Notstandsparagraphen des Strafgesetzbuches und einer für Schleyer lebensbedrohlichen Konspiration in den Gefängnissen nicht hinreichend begründet. Als nicht weniger problematisch gilt, daß dem notstandsähnlichen Handeln der Exekutive drei Wochen später im Eilverfahren ein gesetzlicher Rahmen angepaßt wurde, auch um den Urteilen oberster Gerichte zuvorzukommen. Letztlich bleibt das "Kontaktsperregesetz" ein situatives Maßnahmengesetz, das sich die Legislative von der Exekutive all zu leicht ohne hinreichende Prüfung und Debatte aufdrücken ließ. So bestätigte sich die Maxime, die Bundeskanzler Helmut Schmidt im April 1975 nach dem Stockholmer RAF-Anschlag vor dem Bundestag über die staatliche Reaktion auf den Terrorismus gestellt hatte: "Wer den Rechtsstaat zuverlässig schützen will, muß innerlich auch bereit sein, bis an die Grenzen dessen zu gehen, was vom Rechtsstaat erlaubt und geboten ist. " In der kritischen Würdigung des Gesetzes sollte allerdings nicht außer Acht gelassen werden, daß die Kontaktsperre in der Krise vom September/Oktober 1977 taktisch von Nutzen war und zum Zeitgewinn beitrug, der am Ende zumindest den Geiseln in der Lufthansa-Maschine "Landshut" zugute kam. Außerdem darf die Reichweite des Gesetzes nicht überbewertet werden: Obwohl immer noch gültig, ist es seit 1977 kein zweites Mal angewandt worden.

Johannes Hürter