Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft [EWG-Vertrag], 25. März 1957

Einleitung

Als die Vertreter Belgiens, der Bundesrepublik Deutschland, Frankreichs, Italiens, Luxemburgs und der Niederlande am 25. März 1957 die Römischen Verträgen unterzeichneten, begründeten sie sowohl die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) als auch die Europäische Atomgemeinschaft (Euratom). In der Präambel des EWG-Vertrags präzisierten sie ihre Zukunftspläne: Ihr Werk sollte dazu dienen, die Grundlagen für einen immer engeren Zusammenschluss der europäischen Völker zu schaffen. In der Tat waren die Gründerväter überzeugt, mit dem EWG-Vertrag die Keimzelle für einen späteren europäischen Bundesstaat und ein föderales Europa ins Leben gerufen zu haben.

Doch auch wenn die Schöpfer der Europäischen Gemeinschaft das Ziel einer politischen Union beschworen hatten und der EWG-Vertrag eine dynamische Entwicklung in dieser Richtung zuließ, war der Vertrag im Kern lediglich eine Zollunion. Ursache für diese Begrenzung war, dass in den fünfziger Jahren alle Versuche eine politische Einigung herbeizuführen, gescheitert waren (Europäische Verteidigungsgemeinschaft, Europäische Politische Gemeinschaft). Deshalb entschieden sich die sechs Unterzeichnerstaaten der Römischen Verträge bewusst gegen eine zu diesem Zeitpunkt nicht durchsetzbare vertragliche Verankerung des Ziels der föderalen Einigung und stellten wirtschaftliche Interessen in den Vordergrund. Sie hofften, durch eine Einigung im wirtschaftlichen Bereich den Weg zu ebnen für einen späteren politischen Zusammenschluss. Somit konzentrieren sich die in sechs Teile aufgegliederten 240 Artikel des EWG-Vertrags weitgehend auf wirtschaftliche Zielsetzungen und zwar auf die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes, einer Zollunion und die Entwicklung einheitlicher Politiken im Bereich des Handels, des Verkehrs und der Landwirtschaft:

- Im ersten Teil des Vertrags sind die Grundsätzen festgelegt, die der Errichtung der EWG durch den gemeinsamen Markt, die Zollunion und die gemeinsamen Politiken zu Grunde liegen.

- Der zweite Teil definiert die Grundlagen der Gemeinschaft. Er umfasst vier Titel, die dem freien Warenverkehr, der Landwirtschaft, der Freizügigkeit und dem freien Dienstleistungs- und Kapitalverkehr und schließlich dem Verkehr gewidmet sind; diese Titel werden auch die "vier Freiheiten" genannt.

- Der dritte Teil betrifft die Politik der Gemeinschaft und enthält vier Titel über gemeinsame Regeln, die Wirtschaftspolitik, die Sozialpolitik und die Europäische Investitionsbank.

- Der vierte Teil betrifft die Assoziierung der überseeischen Länder und Hoheitsgebiete.

- Der fünfte Teil beschäftigt sich mit den Organen der Gemeinschaft und umfasst einen Titel zu den Vorschriften über die Organe und einen zweiten über Finanzvorschriften.

- Im letzten Teil des Vertrages werden die allgemeinen und Schlussbestimmungen angeführt.

Artikel 2 und 3 präzisieren, dass die erste Aufgabe der Gemeinschaft in der Errichtung eines Gemeinsamen Marktes besteht und führen im Einzelnen die Maßnahmen auf, die die Gemeinschaft zur Erfüllung dieser Aufgabe durchzuführen hat. So heißt es in Artikel 3, die Tätigkeit der Gemeinschaft umfasse die Abschaffung der Zölle und mengenmäßigen Beschränkungen bei der Ein- und Ausfuhr von Waren sowie aller sonstigen Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten, die Einführung eines gemeinsamen Zolltarifs und einer gemeinsamen Handelspolitik gegenüber dritten Ländern und die Beseitigung der Hindernisse für den freien Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten. Zudem sollte die Handels, Agrar-, Verkehrs- und Wettbewerbspolitik vereinheitlicht werden, und die Gemeinschaft erhielt den Auftrag, die Konjunktur-, Wirtschafts- und Währungspolitik zu koordinieren, die Steuer- und Sozialpolitik zu harmonisieren sowie auf eine Angleichung der übergreifenden staatlichen Rechtsvorschriften hinzuarbeiten.

Für die Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes vereinbarte man eine Übergangszeit von drei Stufen zu jeweils vier Jahren (Art. 8), was auf den prozesshaften Charakter der EWG hinwies. Jedoch war keine genauere Definition der präzisen Charakteristika dieses gemeinsamen Marktes geliefert, was Abgrenzungen im Einzelfall schwierig machte: Beispielsweise war problematisch, dass die einzelnen Befugnisse der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Landwirtschafts- und Verkehrspolitik bei den "Grundlagen" der Gemeinschaft eingeordnet waren, während die Wettbewerbspolitik zum Abschnitt "Politik der Gemeinschaft" gehörte, die auch spezielle Koordinierungsbefugnisse bestimmter Aspekte der Wirtschaftspolitik der Mitgliedsstaaten umfasste. Ginge man also davon aus, dass die "Errichtung des gemeinsamen Marktes" und die "Grundlagen" der Gemeinschaft sich entsprächen, fielen weder die Wettbewerbspolitik noch die Befugnis zur Rechtsangleichung unter den Begriff des Gemeinsamen Marktes. Da Wettbewerbspolitik und Befugnis zur Rechtsangleichung sowohl die Errichtung des Gemeinsamen Marktes ermöglichten und erleichterten als auch dessen Funktionieren gewährleisteten, waren sie aber ebenfalls dem Gemeinsamen Markt zuzurechnen.

Bei der einzurichtenden Zollunion gab es weniger Unklarheiten: Der EWG-Vertrag schuf Zölle und Einfuhrkontingente im Handel zwischen den Mitgliedstaaten ab. Die früheren Zolltarife der einzelnen Staaten wurden durch einen gemeinsamen Zolltarif ersetzt, so dass praktisch eine Außengrenze für Waren aus Drittstaaten entstand.

Ferner sollten Grundlagen für die Vereinheitlichung künftiger gemeinsamer politischer Bereiche ausgearbeitet werden. Einige dieser Bereiche sind im Vertrag ausdrücklich vorgesehen wie die gemeinsame Agrarpolitik (Art. 38 bis 47), die gemeinsame Handelspolitik (Art. 110 bis 116) und die Verkehrspolitik (Art. 74 bis 84). Andere konnten gemäß Artikel 235 je nach Bedarf entwickelt werden: "Erscheint ein Tätigwerden der Gemeinschaft erforderlich, um im Rahmen des gemeinsamen Marktes eines ihrer Ziele zu verwirklichen und sind in diesem Vertrag die hierfür erforderlichen Befugnisse nicht vorgesehen, so erlässt der Rat einstimmig auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments die geeigneten Vorschriften".

Um die ehrgeizigen Ziele des EWG-Vertrags umsetzen zu können, schuf man auch gleich die notwendigen Finanzierungsinstrumente der Gemeinschaft. Erstens den europäischen Sozialfonds (Art. 123), der dazu dienen sollte, die Beschäftigungsmöglichkeiten der Arbeitskräfte im gemeinsamen Markt zu verbessern und damit den Lebensstandard zu heben. Die Verwaltung des Fonds oblag der Kommission, wobei sie von einem Ausschuss unterstützt wurde, der aus Vertretern der Regierungen sowie der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerverbände bestand. Zweitens rief man die Europäische Investitionsbank ins Leben (Art. 129), die bei der Erschließung weniger entwickelter Gebiete und der Modernisierung, Umstellung oder Vergrößerung von Unternehmen helfen sollte. Sie war eine finanziell und organisatorisch selbstständige öffentlich-rechtliche Institution mit eigener Rechtspersönlichkeit und musste keine Gewinn erwirtschaften. Drittens schuf man den Europäischen Entwicklungsfonds, durch den eine gemeinschaftliche Entwicklungspolitik für die AKP-Staaten (die Gruppe der afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten) geschaffen werden sollte. Dieser Fonds war besonders deshalb wichtig, weil der EWG-Vertrag vorsah, die außereuropäischen Länder und Hoheitsgebiete, die mit Frankreich, den Niederlanden und Italien enge Beziehungen unterhielten, der Gemeinschaft zu assoziieren, um ihre wirtschaftliche und soziale Entwicklung zu fördern. Der Fonds wurde mit Finanzmitteln in Höhe von 580 Mio. ECU zur Unterstützung der früheren Kolonien ausgestattet. Daneben gründete man den Wirtschafts- und Sozialausschuss (Art. 193), der sich aus Vertretern der verschiedenen Gruppen des wirtschaftlichen und sozialen Lebens zusammensetzte und vornehmlich eine beratende Funktion haben sollte.

Die administrative Steuerung der Aufgaben der neuen Gemeinschaft sollte vier Organen unterliegen: Der Kommission, dem Rat, der Versammlung und dem Gerichtshof. Diese Aufteilung war nach dem Muster der 1952 gegründeten EGKS (Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl) konzipiert, unterschied sich aber darin, dass in der EWG der Ministerrat die Entscheidungsbefugnis erhielt, während diese in der EGKS von der Hohen Behörde ausgeübt wurde, die von Aufgaben und Rang her der neuen Kommission entsprach. Mit dieser Ausrichtung verabschiedeten sich die Gründerväter von der Idee einer supranationalen Behörde, die autonom auf die nationale Politik einwirken kann und begründeten die Struktur, die den Mitgliedsstaaten das letzte Wort ließ. Die Träume vieler Föderalisten der 1940er Jahre von einem supranationalen Bundesstaat fanden hier ihr jähes Ende.

In ihren Augen war diese Konstruktion nicht zielführend, denn der aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammengesetzte Rat erhielt das Gesetzgebungsmonopol in der Gemeinschaft und hatte in den ersten Jahren noch dazu einstimmig zu entscheiden, was jedem Staat ein Vetorecht gewährte und jegliche Supranationalität unmöglich machte. Er war damit das Interessenorgan der nationalen Regierungen.

Die Kommission war laut Vertrag voll unabhängig von den Weisungen der Regierungen, weshalb auch ihre Mitglieder während ihrer Amtszeit keinen Anordnungen aus ihren Heimatländern unterworfen sein sollten. Für die Abstimmung galt das Mehrheitsprinzip, womit die Entscheidungsfähigkeit gewährleistet war. Die Kommission hatte mit ihrem Initiativmonopol als Einzige das Recht und die Pflicht, im Ministerrat Gesetzesvorschläge einzubringen. Sie sollte als Motor für die Errichtung des Gemeinsamen Marktes wirken und den intendierten Integrationsprozess in Gang setzen. Jedoch beschränkte sich ihre Rolle darauf, "das ordnungsgemäße Funktionieren und die Entwicklung des gemeinsamen Marktes" zu gewährleisten und neue Vorschläge für die europäische Einigung zu machen. Gegen den Willen der Mitgliedstaaten konnte sie keine Regelung auf den Weg bringen. Erster Präsident der Europäischen Kommission war mit Walter Hallstein ein Deutscher. Dies war das Symbol dafür, dass der Wille zum Erhalt des Friedens größer war als die Rachegedanken der Länder, die unter der Naziherrschaft gelitten hatten. Die Bundesrepublik war kein geächteter Staat mehr, sondern wieder zu einem gleichberechtigten Partner innerhalb Europas geworden.

Die ebenfalls aus dem EGKS-Vertrag hervorgegangene Versammlung (die sich 1962 eigenmächtig in Europäisches Parlament umbenannte) diente der demokratischen Legitimität der Gemeinschaft. Diese Einfügung einer Vertretung "der Völker" in die Entscheidungsstruktur war auch eines der Abgrenzungsmerkmale der Gemeinschaft gegenüber traditionellen internationalen Organisationen. Allerdings waren die Rechte der Versammlung anfangs sehr beschränkt: Sie hatte keinen Einfluss auf die Zusammensetzung der Kommission, und ihre Mitwirkung bei der Gesetzgebung beschränkte sich auf die Beratung von Kommission und Ministerrat. Darüber hinaus standen ihr gewisse Befugnisse bei der Aufstellung des Haushalts und der Kontrolle der Verwaltung zu; zum Beispiel konnte sie die Kommission mit einer Zweidrittelmehrheit zum Rücktritt zu zwingen. Erster Präsident der Versammlung war Robert Schuman, der sich bereits bei der Gründung der Montan-Union als überzeugter Europäer und Kämpfer für die deutsch-französische Aussöhnung einen Namen gemacht hatte.

Als oberstes Rechtsprechungsorgan der Gemeinschaft wurde der Gerichtshof (EuGH) gegründet (Art. 164), der die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung des Vertrages sichern sollte. Außerdem sollte er bei Vertragsverletzungen durch die Mitgliedsstaaten entscheiden, deren besondere Verpflichtungen zur Vertragserfüllung in Art. 5 und 6 verankert waren. Weiterhin überwachte er die Rechtmäßigkeit des Handelns des Rates und der Kommission auf Klage eines dieser Organe oder eines Mitgliedstaates. Klagebefugt war auch jede natürliche oder juristische Person, soweit sie unmittelbar und individuell betroffen war. Schließlich entschied der Gerichtshof im Wege der Vorabentscheidung auf Vorlage eines nationalen Gerichts über die Auslegung des Vertrags.

Der EWG-Vertrag wurde ausdrücklich auf unbegrenzte Zeit abgeschlossen (Art. 240). Er bildet heute noch das Grundgerüst der Europäischen Union, auch wenn seit seiner Unterzeichnung wesentliche Änderungen vorgenommen wurden. 1992 wurde er mit dem Vertrag von Maastricht in EG-Vertrag umbenannt, 1997 im Vertrag von Amsterdam neu numeriert und mit dem Vertrag von Lissabon wurde er durch dessen Artikel 2 zum Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union.

Veronika Heyde