Gesetz Nr. 10 des Alliierten Kontrollrates in Deutschland über die Bestrafung von Personen, die sich Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen den Frieden oder gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht haben, 20. Dezember 1945

Einführung

Noch während des Krieges hatten sich die USA und Großbritannien zusammen mit der Sowjetunion darauf verständigt, die Spitzen des NS-Regimes für die von ihnen befohlenen Verstöße gegen das Kriegsvölkerrecht juristisch zur Verantwortung zu ziehen. Nach dem militärischen Sieg über das Deutsche Reich nahmen diese Pläne rasch konkrete Formen an. Auf der im August 1945 in London tagenden Konferenz der Rechtsexperten einigte sich das um Frankreich ergänzte Quartett der Siegermächte auf drei hauptsächliche Tatbestände, nach denen man führende Repräsentanten des Dritten Reichs vor einem internationalen Gerichtshof anklagen wollte. Sowohl in den Beratungen als auch in dem schließlich verabschiedeten Statut für ein Internationales Militärtribunal (IMT) kam klar zum Ausdruck, dass sich die Alliierten - anders als dies nach Ende des Ersten Weltkriegs der Fall gewesen war - die Zuständigkeit über die Ahndung deutscher Rechtsverletzungen zunächst weitgehend selbst vorbehalten wollten. Von Anfang an stand dabei fest, dass es nicht nur um die Bestrafung konkreter Verbrechen, sondern auch um die Wiederbefestigung des Rechtsbewusstseins und der Menschenrechte gehen sollte, deren Normen- und Wertesysteme die Nationalsozialisten zuvor in schwerster Weise erschüttert hatten. Typischen NS-Gesetze und Verordnungen, mit denen die Machthaber des Dritten Reichs ihren Maßnahmen teilweise einen legalen Anstrich zu geben versucht hatten, sprach man einerseits den Rechtscharakter ab, setzte sich aber andererseits auch bewusst über positives Recht hinweg.

Die Strafbestimmungen des IMT-Statuts, an denen einige nicht unwesentliche Änderungen vorgenommen wurden, bildeten auch den materiellrechtlichen Kern des KRG 10, das im Dezember 1945 - wenige Wochen nach Eröffnung des Nürnberger "Hauptkriegsverbrecher"-Prozesses - vom Alliierten Kontrollrat erlassen wurde. Vorbereitet worden war das Gesetz bereits in den Sommermonaten des Jahres 1945: So hatte das Legal Directorate der Allied Control Authority erstmals im August darüber beraten, wie die Strafverfolgung von NS-Tätern rechtlich und institutionell gestaltet werden sollte. Daraufhin hatte der amerikanische Vertreter einen Gesetzesentwurf eingebracht, der die Absicht verfolgte, die strafrechtliche Behandlung von Kriegs- und NS-Verbrechen auf eine einheitliche Grundlage zu stellen und gleichzeitig die alliierten Justizbehörden in ihrer Arbeit ein Stück weit zu entlasten. Als wesentliche Neuerung sah er vor, dass jeder Zonenbefehlshaber künftig deutsche Gerichte für die Aburteilung einzelner Verfahrenskomplexe bestimmen konnte. In Übereinstimmung mit dem Kontrollratsgesetz Nr. 4 vom 20. Oktober 1945 durfte es sich dabei aber nur um solche Delikte handeln, die Deutsche an Deutschen oder an Staatenlosen verübt hatten. Die Ahndung von Verbrechen an alliierten Staatsbürgern oder Bewohnern der ehemals deutsch besetzten Gebiete sollten hingegen weiterhin den Gerichten der Besatzungsmächte bzw. dem Internationalen Militärgerichtshof vorbehalten bleiben.

Gegenüber dem IMT-Statut vom 8. August 1945 wies das KRG 10 eine Reihe von Gemeinsamkeiten und Unterschieden auf. Artikel 2 des KRG 10 nannte vier Verbrechenstatbestände. Die ersten drei - im Einzelnen waren dies Verbrechen gegen den Frieden bzw. die Verschwörung zum Kriege (Artikel II a), Kriegsverbrechen (Artikel II b) und Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Artikel II c) - stimmten im Wesentlichen mit Artikel 6 IMT-Statut überein. Ein vierter Tatbestand (Artikel II 1 d) erklärte die Zugehörigkeit zu bestimmten Organisationen, die im Nürnberger Prozess als kriminell eingestuft worden waren, zu strafbaren Handlungen. Während die ersten beiden Tatbestände kaum praktische Relevanz erlangten, da es sich bei den Betroffenen fast ausschließlich um ausländische Staatsbürger handelte, standen Menschlichkeits- und Organisationsverbrechen im Mittelpunkt der deutschen Spruchpraxis.

Laut KRG 10 beschränkten sich Menschlichkeitsverbrechen nicht mehr nur auf Mord, Ausrottung, Versklavung, Zwangsverschleppung und auf die Verfolgung aus "politischen, rassischen und religiösen Gründen", sondern schloss auch Freiheitsberaubung, Folterung und Vergewaltigung mit ein. Im Gegensatz zu Artikel 6 c IMT-Statut, der einen Nexus zwischen Kriegsverbrechen und Menschlichkeitsverbrechen vorsah, war diese Verknüpfung mit dem KRG 10 aufgehoben. Nach dem Willen der amerikanischen Anklagevertretung eröffnete das Gesetz damit die Möglichkeit, rückwirkend auch jene Straftaten zu verfolgen, die seit der nationalsozialistischen Machtübernahme an deutschen und ausländischen Juden, Kommunisten, Psychiatriepatienten und anderen biopolitisch stigmatisierten Gruppen verübt worden waren. In einigen Nürnberger Nachfolgeprozessen, etwa in den Verfahren gegen die Ärzte (Fall 1) und Juristen (Fall 3), machten amerikanische Gerichte davon auch Gebrauch. Der Organisationstatbestand, ein zweiter Hauptpfeiler der deutschen NS-Strafverfolgung, ging ebenfalls auf das IMT-Statut zurück: Nach langen Debatten hatten sich die vier Alliierten seinerzeit darauf geeinigt, anstelle der ursprünglich geplanten 14 nur sechs Organisationen vor dem IMT anzuklagen (Reichsregierung, Politisches Korps der NSDAP, SS, SA, Gestapo und SD als Einheit sowie Generalstab und OKW als Einheit). In seinem Urteil vom 30. September / 1. Oktober 1946 schränkte das Gericht den Kreis "verbrecherischer" Organisationen jedoch auf Gestapo und SD, SS (Allgemeine SS, Waffen-SS und Totenkopfverbände) sowie das Korps der Politischen Leiter der NSDAP ein und legte außerdem fest, dass sich nur diejenigen Mitglieder strafbar gemacht hätten, die auch über die verbrecherischen Ziele Bescheid gewusst hätten.

Zwar hatte das KRG 10 ursprünglich das Ziel verfolgt, die Rechtsprechung in den einzelnen Besatzungszonen zu vereinheitlichen. Tatsächlich kam es jedoch in dieser Hinsicht zu einer immer stärkeren Zersplitterung. Ausschlaggebend dafür war vor allem, dass die vier Besatzungsmächte die Ermächtigung deutscher Gerichte unterschiedlich handhabten: Während Sowjets und Briten generelle Ermächtigungen für bestimmte Deliktgruppen erteilten und die Franzosen von Fall zu Fall vorgingen, schloss die amerikanische Besatzungsmacht die deutsche Justiz zunächst fast völlig von der Strafverfolgung nach KRG 10 aus. Eine Ausnahme bildete lediglich der amerikanische Sektor Berlins, wo es in Einzelfällen zu derartigen Ermächtigungen kam. Es dauerte fast drei Jahre, ehe die Westalliierten dann auch von der Vorschrift abwichen, die deutschen Justizbehörden grundsätzlich von der NS-Strafverfolgung mit Bezug zu ausländischen Opfergruppen auszuschließen. So erteilten die Amerikaner erstmals 1948, die Briten ein Jahr später die Genehmigung, auch Verbrechen an osteuropäischen Juden und ausländischen Zwangsarbeitern zu verfolgen; im Januar 1950 entfielen schließlich die letzten der bis dahin geltenden Beschränkungen.

Nach neueren Berechnungen führten westdeutsche und bundesrepublikanische Staatsanwaltschaften zwischen 1945 und 2005 annähernd 37.000 Strafverfahren mit NS-Hintergrund durch. Etwa 17.000, also knapp die Hälfte aller Verfahren, fanden in den ersten sechs Jahren nach Kriegsende statt. Spitzenwerte mit über 4.000 neu eingeleiteten Verfahren jährlich wurden 1947 und 1948 erreicht. Auf dem Territorium der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und der DDR, für die allerdings noch keine empirisch präzisen Forschungen vorliegen, wurden allein in den ersten fünf Nachkriegsjahren zwischen 35.000 und 40.000 Verfahren eingeleitet. Die Diskrepanzen in der Verfolgungsintensität erklären sich nicht nur aus den unterschiedlichen rechtlichen Ausgangsbedingungen - in der SBZ wurden die Entnazifizierungsbestimmungen des Alliierten Kontrollrats teilweise als Strafgesetze angewandt -, sondern ein maßgeblicher Faktor war auch, dass die sowjetische Besatzungsmacht die NS-Strafverfolgung seit 1947 zeitweise bewusst als Mittel der sozioökonomischen Umgestaltung einsetzte und zu diesem Zweck spezielle Strukturen bei der deutschen Polizei und Justiz schuf.

Rückblickend fällt auf, dass sich das Gros der nach 1945 eingeleiteten Verfahren auf relativ wenige Tatkomplexe konzentrierte. Zur Zeit der alliierten Besatzungsherrschaft standen vor allem Verfahren gegen Denunzianten (38 %) im Vordergrund, gefolgt von Verbrechen an politischen Gegnern zur Zeit der Machtübernahme (16 %) und an deutschen Juden während der Pogromnacht vom November 1938 (15 %). Erst in den sechziger Jahren, als es infolge verschiedener politischer und kultureller Entwicklungen zu einer zweiten, stark verspäteten Ermittlungswelle kam, beschäftigte sich die westdeutsche Justiz verstärkt mit den Massenvernichtungsverbrechen an den europäischen Juden sowie mit Wehrmachts- und KZ-Verbrechen. Dank der jahrelangen Recherchen des Münchner Instituts für Zeitgeschichte (IfZ), das die verstreuten westdeutschen Justizakten zusammengeführt und ausgewertet hat, liegt inzwischen auch eine halbwegs verlässliche Verurteilungsbilanz nach dem KRG 10 vor: Bis August 1951, als das Gesetz aufgrund deutschen Drucks von den Hohen Kommissaren faktisch aufgehoben wurde, verhängten westdeutsche Strafkammern etwa 2.600 Urteile, davon ungefähr die Hälfte in Tateinheit mit einem Verbrechen nach dem StGB (wie z. B. Mord, Totschlag, Körperverletzung, Freiheitsberaubung, Vergewaltigung). Rechnet man noch die 2.000 Urteile hinzu, die ausschließlich auf der Grundlage des alten Reichsstrafgesetzbuches ergingen, machte dies mehr als 70 Prozent aller in den Westzonen und der Bundesrepublik verhängten NS-Urteile aus. Diese endeten überwiegend mit leichteren Strafen zwischen sechs Monaten und zwei Jahren Haft. Es kam aber auch zu einzelnen Todesurteilen, die teils auf die alliierte Nürnberger Justiz, teils auf deutsche Gerichte zurückgingen.

Schon der hohe Anteil von Urteilen, die sich ausschließlich oder partiell auf das teils "entnazifizierte", teils aber auch nur vorgeblich auf von nationalsozialistischen Elementen gereinigte nationale Strafrecht stützten, lässt deutlich werden, dass die Anwendung alliierten Rechts durch die westdeutsche Justiz keineswegs unproblematisch verlief. Während man auf deutscher Seite in der Einbeziehung deutscher Ermittlungsbehörden und Strafgerichte an der juristischen Aufarbeitung von NS-Unrecht einen deutlichen Souveränitäts- und Legitimitätsgewinn sah und die Entscheidung der Alliierten entsprechend begrüßte, entzündete sich an der geforderten Anwendung des alliierten Nürnberger Rechts alsbald scharfe Kritik. Zwar wurde die Kontroverse um das KRG 10 hauptsächlich unter deutschen Rechtswissenschaftlern, Justizjuristen und Strafverteidigern sowie einigen aus Deutschland vertriebenen Rechtsgelehrten ausgefochten. Von ihrer gesellschaftspolitischen Dimension wies sie aber deutlich über den engeren fachwissenschaftlichen Dialog hinaus. Denn in der rechtsdogmatischen Diskussion über die geforderte rückwirkende Bestrafung von NS-Verbrechen wurden gleichzeitig auch kontroverse Themen wie der Diktaturcharakter der nationalsozialistischen Herrschaft mitverhandelt: Beruhte die Stabilität des Systems vor allem auf Terror und Zwang und einer auf die Person Hitlers zugeschnittenen Befehlsstruktur? Oder waren die Errichtung des "Führerstaats" und die nachfolgenden Radikalisierungsprozesse das Ergebnis eines Zusammenwirkens verschiedener gesellschaftlicher Kräfte, die sich nicht zuletzt unter tatkräftiger Mithilfe der traditionellen Eliten vollzogen? Mit der Anwendung des KRG 10, das nach Vorstellung der Alliierten das doppelte menschenrechtspolitische Ziel verfolgte, die Gerechtigkeitsansprüche von NS-Opfern und deren Angehörigen zu befriedigen und die Menschenwürde als universelles Rechtsgut zu verankern, war aber auch die Frage nach den Wertbezügen des künftigen deutschen Staates und der moralischen Legitimität seiner Rechtsordnung aufgeworfen.

Unterstützt von dem von 1948 bis 1950 bestehenden Obersten Gerichtshof für die britische Zone (OHG), der überwiegend mit Vertretern einer juristischen Gegenelite besetzt war, vertraten anfangs auch viele westdeutsche Juristen die Ansicht, rückwirkende Gesetze seien die einzig angemessene Antwort auf die nationalsozialistischen Großverbrechen. Dementsprechend hoch fiel in den Jahren 1949/50 die Verurteilungsquote nach KRG 10 aus. Kurz darauf kam es aber nicht nur zu einem steilen Abschwung in den Verurteilungszahlen, sondern es verstärkte sich auch die Kritik am alliierten Recht, nachdem diese zuvor noch von der alliierten Zensur unter Kontrolle gehalten worden war. Mehr und mehr war jetzt von deutscher Seite der Einwand zu hören, das alliierte Strafrecht diene nicht der Gerechtigkeit, sondern befriedige stattdessen ein diffuses Rachebedürfnis. Mit der rückwirkenden Bestrafung von NS-Unrecht werde den deutschen Richtern nach 1933 ein weiteres Mal zugemutet, sich über geltendes Recht und Gesetz hinwegzusetzen. Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit könnten in Deutschland unter derartigen Bedingungen schwerlich gedeihen. In diesem Zusammenhang wurde nicht selten auf die Entwicklungen in der SBZ verwiesen, wo die Diskussion über eine adäquate Bestrafung von NS-Verbrechen bereits im Ansatz unterdrückt worden war und die kommunistischen Machthaber die Gerichte gezwungen hatten, das KRG 10 anzuwenden.

Spätestens als nach Gründung der Bundesrepublik mit dem Bundesgerichtshof (BGH) ein eigenes höchstes Gericht für Straf- und Zivilsachen eingesetzt wurde, verschob sich die Debatte um das KRG 10 endgültig in den politischen Raum. Vor allem nationalkonservative Juristen wie der erste BGH-Präsident Hermann Weinkauff, aber auch der dem nationalliberalen Flügel zugehörende FDP-Justizminister Thomas Dehler plädierten für eine rasche Abschaffung des KRG 10, das als Symbol der unliebsamen alliierten "Siegerjustiz" galt. Durch die alliierte Rücknahme der Ermächtigung wurde dies im August 1951 de facto, 1955 schließlich auch de iure erreicht. Die damals ausgesprochene Versicherung, das deutsche Strafrecht biete eine ausreichende Grundlage zur Ahndung von NS-Verbrechen, stellte sich schnell als eklatante Fehleinschätzung heraus. Die dürftige Urteilsbilanz, eine übergroße Milde in den Strafmaßen sowie die fast völlig fehlende Bestrafung von NS-Justizverbrechen sprechen in dieser Hinsicht eine deutliche Sprache.

Annette Weinke