Gesetz über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reichs und Erlaß des Reichskanzlers zum Vollzug des Gesetzes über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reichs vom 1. August 1934, 1. und 2. August 1934

Einleitung

Im Frühjahr und Frühsommer 1934 mehrten sich die Zeichen einer akuten Krise des nationalsozialistischen Regimes in Deutschland. Die Aura der Dynamik und des Aufschwungs, die den Prozess der NS-Machtübernahme im Frühjahr 1933 begleitet hatte, war einer deutlichen Ernüchterung, ja wachsender Unzufriedenheit gewichen. Durch den Rohstoff- und Devisenmangel stockte die wirtschaftliche Erholung. Bauern beklagten sich über bürokratische Schikanen, die mit der Etablierung des "Reichsnährstandes" verbunden waren, während Arbeiter bei den Vertrauensratswahlen Anfang 1934 vielerorts den vorgelegten Listen ihr Misstrauen ausgesprochen hatten. Propagandaminister Joseph Goebbels lancierte deshalb im Mai 1934 eine Kampagne gegen "Miesmacher und Kritikaster", um der grassierenden Unzufriedenheit zu begegnen.

Stärker als die wirtschaftlichen Schwierigkeiten belasteten das neue Regime jedoch die ungelösten Herrschaftskonflikte, die sich vor allem mit der Machtstellung und dem selbstherrlichen Gebaren der SA verbanden. Der willkürliche SA-Terror gegen die politische Linke hatte in der bürgerlichen Öffentlichkeit und vor allem den national-konservativen Eliten zwar nur bedingt Widerspruch hervorgerufen, doch mehrten sich seit Ende 1933 die kritischen Stimmen gegenüber Eingriffen in Wirtschaft, Verwaltung, Polizei und Militär. Nicht zu Unrecht befürchtete vor allem die Reichswehr, dass die auf mehr als 3,5 Millionen Mitglieder angewachsene SA ihr die Monopolstellung als "Waffenträger der Nation" streitig machen würde. Innerhalb der nationalsozialistischen Bewegung hob zwar der SA-Stabschef Ernst Röhm die Loyalität der SA gegenüber der Person Adolf Hitlers hervor, konterkarierte diesen Eindruck jedoch durch eine betont "revolutionäre" Rhetorik. Diese versetzte nicht nur Vertreter konservativer Eliten in Alarmstimmung, sondern mobilisierte auch innerparteiliche Gegner der SA wie Hermann Göring, Goebbels und Heinrich Himmler, die Hitler zu einem scharfen Vorgehen gegen die SA ermunterten.

Im Juni 1934 sah sich Hitler zum Handeln gezwungen. Am 17. Juni hatte Vizekanzler Franz von Papen in Marburg eine öffentliche Rede gehalten, in der dieser an der inneren Entwicklung des Reiches heftige Kritik übte: "Kein Volk kann sich den ewigen Aufstand von unten leisten." Goebbels verbot umgehend die Verbreitung der Rede, die dennoch auszugsweise den Weg in die Öffentlichkeit fand und die Unzufriedenheit unter den national-konservativen Eliten weiter zu schüren drohte. Diese verfügten in dem greisen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg immer noch über eine wichtige Stütze, der in Krisenzeiten beispielsweise befugt war, das Kriegsrecht zu verhängen und die Macht der Reichswehr zu übergeben.

In dieser Situation entschied sich Hitler zu einem Doppelschlag gegen die SA und die so genannte "Reaktion": Er bestellte die SA-Führung zu einer Besprechung am 30. Juni 1934 in Bad Wiessee ein, um diese dort verhaften und anschließend erschießen zu lassen. SA-Stabschef Röhm, der zunächst am Leben gelassen worden war, wurde am darauffolgenden Tag exekutiert. In ganz Deutschland setzten sich Mordkommandos in Bewegung, die nicht nur prominente SA-Führer liquidierten, sondern auch missliebige Vertraute des Vizekanzlers von Papen ermordeten, darunter den Verfasser der "Marburger Rede", Edgar Julius Jung, sowie die Generäle Kurt von Schleicher und Ferdinand von Bredow. Insgesamt fielen etwa 150-200 Personen der am 2. Juli offiziell beendeten Mordwelle zum Opfer.

Während das Ausland entsetzt auf die entfesselte Gewaltmaschinerie reagierte, setzte sich in Deutschland nach anfänglicher Verwirrung vor allem ein Gefühl der Erleichterung durch, dass an den "Rabauken" der SA ein Exempel statuiert und die staatliche Ordnung scheinbar wiederhergestellt worden war. Reichswehrminister Werner von Blomberg pries in einem Erlass den "vorbildlichen Mut" Hitlers und versicherte diesem die "Hingebung und Treue" der Reichswehr. Der todkranke Reichspräsident von Hindenburg übermittelte Hitler seinen "tiefempfundenen Dank". Das Reichskabinett verabschiedete am 3. Juli ein Gesetz, das die Mordaktionen "als Staatsnotwehr rechtens" legalisierte, und der Staatsrechtslehrer Carl Schmitt applaudierte den Gewaltmaßnahmen in einem Artikel mit dem Titel: "Der Führer schützt das Recht". Die NS-Propaganda berichtete ausführlich über das ausschweifende und "sittenlose" Gebaren der hingerichteten SA-Führung, so dass Hitler in den Augen der Bevölkerung schließlich als Garant von Moral, Gesetz und Ordnung dastand. So berichteten sozialdemokratische Vertrauensleute über die öffentliche Stimmung an den SPD-Exilvorstand, dass die meisten Deutschen "ihre Befriedigung äußern, dass Hitler so durchgegriffen habe. Damit habe er erneut den Beweis erbracht, dass er nur das Beste will, dass er eine saubere Umgebung haben wolle." Dementsprechend sei bei vielen die "Achtung vor dem Führer ins Ungeheuerliche gestiegen".

Mit seinem Doppelschlag hatte sich Hitler somit nicht nur seiner Widersacher entledigt, sondern zugleich sein Ansehen in breiten Kreisen der Bevölkerung enorm gesteigert. Diese Entwicklung bildete den Hintergrund des "Gesetzes über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches" vom 1. August 1934, das die gesteigerte Machtfülle Hitlers insofern zum Ausdruck brachte, als es die Ämter des Reichspräsidenten und des Reichskanzlers in der Hand des neuen "Führers und Reichskanzlers" vereinigte. Bezeichnenderweise war es noch vor dem Ableben des Reichspräsidenten von Hindenburg von der Reichsregierung beschlossen worden und trat nach dessen Tod am 2. August 1934 in Kraft. Es trug auch die Unterschrift des Vizekanzlers Franz von Papen, der bald darauf zurücktreten musste und als Hitlers Sondergesandter nach Wien abgeschoben wurde.

Hitler war sich seiner neu gewonnenen Stellung so sicher, dass er in einem "Erlass des Reichskanzlers zum Vollzug des Gesetzes über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reichs" vom 2. August in gespielter Bescheidenheit auf den Titel des "Reichspräsidenten" verzichtete, weil dieser mit dem Namen Hindenburgs "unzertrennlich verbunden" sei. Da Hitler überdies um seine neu gesteigerte Popularität wusste, bekundete er gleichzeitig in pseudo-demokratischer Manier seine "Überzeugung, daß jede Staatsgewalt vom Volke ausgehen und von ihm in freier und geheimer Wahl bestätigt sein" müsse. Deshalb solle auch das Gesetz "unverzüglich dem deutschen Volke zur freien Volksabstimmung" vorgelegt werden.

Die Entwicklungen der folgenden Tage und Wochen bestätigten jene Machtstellung Hitlers, wie sie im Gesetz über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches niedergelegt worden war. Noch am Tag seines Inkrafttretens hatte Reichswehrminister von Blomberg eine neue, für alle Soldaten der Reichswehr verbindliche Eidesformel verkündet, die alle Soldaten gegenüber Hitler persönlich zu "unbedingtem Gehorsam" verpflichtete. Dieser Unterwerfungsakt folgte dem irrigen Kalkül, Hitler eng an die Streitkräfte binden zu wollen. Stattdessen trat das genaue Gegenteil ein, erwies sich doch Eidesformel als enormes Problem der militärischen Opposition gegen Hitler. Die für den 19. August 1934 anberaumte Volksabstimmung erbrachte eine Mehrheit von 89,9 % der Stimmen für das Gesetz und damit ein Votum, das Hitler als plebiszitäre Akklamation seiner nunmehr unbeschränkten Machtstellung verbuchen konnte. Das "Gesetz über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches" vom 1. August 1934 markierte insgesamt den Abschluss der nationalsozialistischen Machtübernahme, indem es endgültig einen totalitären Führerstaat etablierte, der sich nicht nur der vorbehaltlosen Unterstützung von Militär und Ministerialbürokratie sicher sein konnte, die dem neuen "Führer und Reichskanzler" willig entgegen arbeiteten. Zugleich wurde er durch die wachsende Popularität Hitlers und den propagandistisch geschürten "Führer-Mythos" auch plebiszitär gestützt – als "Zustimmungsdiktatur" – die sowohl auf Zwang und Gewalt wie auch freiwillige Zustimmung gründete.

Die historische Forschung hat die zentrale Weichenstellung der Ereignisse des Sommers 1934 und des Gesetzes vom 1. August 1934 für die weitere Entwicklung des "Dritten Reiches" bereits früh herausgearbeitet. Wolfgang Sauer sprach bereits 1960 von einer "zweiten Revolution", die sich jedoch in erster Linie als "Revolution von oben" vollzogen habe. Während er vor allem die strukturellen Weichenstellungen für die Vollendung der Führerdiktatur hervorhob, haben Historiker wie Ian Kershaw und Hans-Ulrich Wehler, zuvor bereits Norbert Frei, die gesellschaftliche Unterstützung und relative Popularität Hitlers betont. Die formale Vollendung des Führerstaates bildete somit zugleich den Ausgangspunkt einer charismatischen Herrschaftsbeziehung zwischen "Führer" und Bevölkerung.

Frank Bajohr