Deklaration der Regierung der RSFSR an das chinesische Volk und an die Regierungen Süd- und Nordchinas, 25. Juli 1919

Deklaration der Regierung der RSFSR an das chinesische Volk und an die Regierungen Süd- und Nordchinas

25. Juli 1919

An dem Tag, an dem die sowjetischen Truppen die Armee des konterrevolutionären Despoten GlossarKolčak zerschlagen haben, der sich auf ausländische Bajonette und ausländisches Gold stützte, siegreich in Sibirien einmarschierten und eine Einigung mit den revolutionären Völkern Sibiriens ansteuern, richtet der Rat der Volkskommissare folgende brüderlichen Worte an alle Völker Chinas:

Das sowjetische Rußland und die sowjetische GlossarRote Armee gehen nach einem zweijährigen Krieg und der übermenschlichen Anstrengungen über den Ural nach Osten nicht um Gewalttaten, Versklavung und Eroberung willen. Das weiß bereits jeder sibirische Bauer und jeder sibirische Arbeiter. Wir bringen den Völkern die Befreiung vom Joch ausländischer Bajonette, vom Joch des ausländischen Goldes, die die versklavten Völker des Ostens, und unter ihnen besonders das chinesische Volk, erdrosseln. Wir eilen nicht nur unseren arbeitenden Klassen, sondern auch dem chinesischen Volk zu Hilfe, dem wir nochmals in Erinnerung rufen, was wir ihm schon seit der GlossarGroßen Oktoberrevolution von 1917 sagen und was vielleicht seitens der bestechlichen amerikanischen-europäischen-japanischen Presse vor ihm verschwiegen wurde.

Gleich nachdem die Arbeiter- und Bauernregierung im Oktober 1917 die Macht in ihre Hände nahm, wandte sie sich im Namen des russischen Volkes an die Völker der ganzen Welt mit dem Vorschlag eines stabilen und dauerhaften Friedens. Die Grundlage dieses Friedens sollte die Abkehr von jeglicher Eroberung fremder Territorien, die Absage von jeglichem gewaltsamen Anschluß fremder Ethnien und von jeglicher Kontribution sein. Jedes Volk, ob groß oder klein, wo auch immer es beheimatet ist, ob es bisher ein unabhängiges Dasein führte oder gegen seinen Willen in einen anderen Staat integriert war, muß in seinem internen Leben frei sein und keine Macht darf es gewaltsam in seinen Grenzen festhalten.

Deshalb erklärte die Arbeiter- und Bauernregierung alle Geheimverträge mit Japan, China und den ehemaligen Alliierten für "nichtig". [Dazu zählten] alle Verträge, mit deren Hilfe die zaristische Regierung und ihre Alliierten durch Gewalt und Bestechung die Völker des Ostens, hauptsächlich das chinesische Volk, versklavten, um den russischen Kapitalisten, russischen Grundbesitzern und russischen Generälen Vorteile zu verschaffen. Die sowjetische Regierung schlug deshalb zeitnah der Chinesischen Regierung vor, die Verhandlungen über die Annullierung des GlossarVertrages von 1896, des GlossarPekinger Protokolls von 1901 und aller GlossarVerträge mit Japan von 1907 bis 1916 aufzunehmen, d. h. nach Rückgabe al dessen, was dem chinesischen Volk von der zaristischen Regierung genommenen wurde, sei es im Alleingang oder zusammen mit den Japanern und Alliierten geschehen. Verhandlungen darüber fanden bis März 1918 statt. Unerwartet packten die Alliierten die Chinesische Regierung bei der Gurgel, überhäuften die Pekinger Machthaber und die chinesische Presse mit Gold und zwangen die Chinesische Regierung auf jeglichen Kontakten mit der Russischen Arbeiter- und Bauernregierung zu verzichten. Ohne die Rückgabe der GlossarMandschurischen Eisenbahn an das chinesische Volk abzuwarten eroberte Japan und seine Verbündeten diese, drangen selbst in Sibirien ein und zwangen sogar die chinesischen Truppen ihnen bei diesem verbrecherischen und unglaublichen Raubüberfall zu helfen. Das chinesische Volk, die chinesischen Arbeiter und die chinesischen Bauern konnten nicht einmal die wahren Gründe erfahren, warum dieser Überfall der amerikanischen, europäischen und japanischen Raubtiere auf die GlossarMandschurei und Sibirien erfolgte.

Nun wenden wir uns erneut an das chinesische Volk, um ihm die Augen zu öffnen.

Die sowjetische Regierung verzichtete auf ihre Eroberungen, die die zaristische Regierung machte, indem sie China die Mandschurei und andere Gebiete entriß. Mögen die Völker, die in diesen Gebieten wohnen, selbst entscheiden, in den Grenzen welchen Staates sie sein möchten und welche Regierungsform sie bei sich zu Hause errichten wollen.

[Die sowjetische Regierung gibt dem chinesischen Volk ohne jegliche Gegenleistung die Ostchinesische Eisenbahn sowie alle Bergbau-, Forst-, Gold- und andere Konzessionen zurück, die unter der zarischen Regierung, unter der Regierung von Kerenskij und unter den Räubern Chorvat, Semjonov, Kolčak russische Generäle, Kaufleute und Kapitalisten an sich rissen.]7

Die sowjetische Regierung verzichtet auf die Kontribution von China für den GlossarBoxeraufstand im Jahre 1900. Dies erfolgt nun schon zum dritten Mal, weil, wie uns bekannt wurde, diese Kontribution von den Alliierten weiterhin erhoben wird, um die [Lohnkosten und die] Schrullen der ehemaligen zaristischen Botschafter in Peking und der ehemaligen zaristischen Konsuln in China zu bezahlen. Alle diese zaristischen Sklaven wurden längst ihrer Macht enthoben, bleiben aber auf ihren Posten und belügen mit Unterstützung Japans und der Alliierten weiterhin das chinesische Volk. Das chinesische Volk muß dies wissen und sie aus seinem Land als Betrüger und Gauner verjagen.

Die sowjetische Regierung setzt alle besonderen Privilegien sowie alle Niederlassungen russischer Händler auf chinesischem Boden außer Kraft. Kein russischer Beamter, Priester und Missionar dürfen sich in chinesische Angelegenheiten einmischen, und wenn einer von ihnen eine Straftat begeht, so muß er sich vor einem örtlichen Gericht verantworten. In China soll es keine andere Macht, kein anderes Gericht als die Macht und das Gericht des chinesischen Volkes geben. Neben diesen wichtigsten Punkten ist die sowjetische Regierung bereit, sich mit dem chinesischen Volk, vertreten durch seine [Bevollmächtigten], über alle weiteren Fragen zu einigen, damit ein für alle mal jeglichen Akten der Gewalt und Ungerechtigkeit, die die vorherigen russischen Regierungen zusammen mit Japan und den Alliierten gegenüber China verübten, ein Ende gesetzt wird.

Die sowjetische Regierung weiß wohl, daß die Alliierten und Japan alles Erdenkliche tun werden, damit die Stimme der russischen Arbeiter und Bauern auch diesmal nicht vom chinesischen Volk gehört wird, daß für die Rückgabe alles dessen, was dem chinesischen Volk früher genommen wurde, zuerst die in Sibirien und in der Mandschurei sitzenden Räuber beseitigt werden müssen. Deshalb schickt sie ihre Nachricht an das chinesische Volk zusammen mit ihrer Roten Armee, die über den Ural nach Osten geht, um den sibirischen Bauern und Arbeitern Hilfe bei der Befreiung von dem Banditen Kolčak und seinem Alliierten Japan zu leisten.

Wenn das chinesische Volk, ähnlich dem russischen Volk, frei sein und dem Schicksal entgehen will, das ihm die Alliierten in GlossarVersailles zugedacht haben, es in ein zweites Korea oder zweites Indien zu verwandeln, so muß es verstehen, daß sein einziger Verbündeter und Bruder im Kampf für die Freiheit der russische Bauer und Arbeiter und ihre Rote Armee sind.

Die sowjetische Regierung schlägt dem chinesischen Volk, vertreten durch seine Regierung, vor, schon jetzt mit uns in offizielle Beziehungen zu treten und ihre Vertreter unserer Armee entgegen zu senden.

Stellvertretender Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten Lev Karachan

Übersetzung von M. Fuchs.

7 Diese Stelle fehlt in der Version der Deklaration, die in der Zeitung "Izvestija" (Nr. 188 (740), 26. August 1919) veröffentlicht wurde. Vgl.: RGASPI, f. 5, op. 2, d. 194, l. 4. Übersetzung von M. Fuchs. [7]