Gesetz, betreffend Kinderarbeit in gewerblichen Betrieben (Kinderschutzgesetz)
Das Gesetz, betreffend Kinderarbeit in gewerblichen Betrieben, das sogenannte „Kinderschutzgesetz“, wurde am 30. März 1903 im Reichsgesetzblatt veröffentlicht, trat am 1. Januar 1904 in Kraft und bestand bis Dezember 1938. Es war das Ergebnis verstärkter Bemühungen um den Arbeiterschutz seit Mitte der 1890er Jahre und regelte die Lohnbeschäftigung von Jungen und Mädchen unter 13 Jahren, in Industrie, Handel und Verkehr, Handwerksbetrieben, Heimarbeit, Gastgewerbe, bei öffentlichen Vorstellungen sowie als Botengänger und Austräger von Waren. Da die bisherigen Regelungen nur für die Kinderfabrikarbeit galten, sollte damit eine Gesetzeslücke geschlossen werden. Für den heutigen Leser weist das Kinderschutzgesetz erhebliche Schwächen auf, da es zahlreiche Ausnahmeregelungen und Interpretationsspielräume enthielt und außerdem den Bereich der Landwirtschaft ausklammerte. Im internationalen Vergleich stellt es jedoch für die Zeit um 1900 einen durchaus fortschrittlichen und weitreichenden Versuch des Kinderschutzes dar.
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„Ich glaube, daß mit dieser Vorlage den [...] Ausbeutern, den sogenannten Schweißaustreibern, der Weg verlegt wird, auf welchem die Kinder durch Umgehung der Gesetze ausgebeutet werden. Nur wenn denselben der Rückzug in den Familienbetrieb, in die Heimindustrie abgeschnitten ist, werden die Arbeiterschutzgesetze, welche wir erlassen haben, in volle Wirksamkeit treten lassen.“[1]
Auf diese optimistische Weise beurteilte Cornelius Wilhelm von Heyl, Fabrikant und Abgeordneter der Nationalliberalen Partei, den Entwurf für das Gesetz, betreffend Kinderarbeit in gewerblichen Betrieben, das am 1. Januar 1904 in Kraft trat. Das Kinderschutzgesetz ist ein wichtiger Bestandteil der Arbeiterschutzmaßnahmen um die Jahrhundertwende und kann als eine der letzten Folgen des „neuen Kurses“ nach der Entlassung des Reichskanzlers Otto von Bismarck betrachtet werden. Erst nach der Ära Bismarck war es möglich geworden, Gesetze zum Arbeiterschutz zu verabschieden. Während Bismarck stets befürchtete, durch präventive Maßnahmen wie Arbeitszeitbegrenzungen die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie zu gefährden, setzte Kaiser Wilhelm II. zu Beginn seiner Herrschaft auf soziale Reformen. In einem Wechselspiel von Reform und Blockade wurde der Arbeiterschutz seit Mitte der 1890er Jahre ausgebaut. Vor diesem Hintergrund ist auch das Kinderschutzgesetzes von 1903 zu sehen.
Wesentlich für die Durchsetzung des Kinderschutzes war das sich im Laufe des 19. Jahrhunderts verbreitende Ideal einer arbeitsfreien Kindheit. Vor allem Pädagogen trugen dazu bei, das Prinzip „Schule statt Arbeit“ langfristig als politische Zielvorstellung zu etablieren. Militärpolitische Erwägungen, wonach Kinderarbeit zur Erhaltung der Wehrtüchtigkeit unterbunden werden sollte, spielten nachweislich keine entscheidende Rolle, obwohl sich diese „Kanonenfutterlegende“ im kollektiven Gedächtnis hartnäckig hält.
Das Kinderschutzgesetz basierte auf dem „Arbeiterschutzgesetz“ (Novelle zur Reichsgewerbeordnung) vom 1. Juli 1891, das die Beschäftigung von Kindern unter 13 Jahren in Fabriken generell untersagte. Diese Altersgrenze hing mit der Volksschulpflicht zusammen, die zwar regional unterschiedlich gehandhabt wurde, aber in den meisten Bundesstaaten mit Vollendung des vierzehnten Lebensjahres endete. Das Verbot der Kinderfabrikarbeit schien zunächst sehr wirksam, doch stellte sich bald heraus, dass in dem Maße, wie die Zahl der in der Industrie beschäftigten Kinder zurückging, die Zahl der Kinder im Gewerbe zunahm. Einen wesentlichen Bestandteil dieser gewerblichen Arbeit machte die Heimindustrie aus, eine Massenindustrie, die von wirtschaftlich unselbständigen Produzenten in der eigenen Wohnung oder Werkstätte für einen Unternehmer verrichtet wurde (Hausweberei, Tütenkleben, Holzschnitzerei, Tabakwarenherstellung).
Eine Erhebung aus dem Jahre 1898 über die Zahl der unter Vierzehnjährigen, die in kleineren Werkstätten, in der Hausindustrie und als Botengänger arbeiteten, ergab für das Deutsche Reich 532 283, das entsprach 6,4 % aller volksschulpflichtigen Kinder. Allerdings bildet dieses Ergebnis nur einen Teil der gewerbetätigen Kinder ab, da die Erhebung von den Bundesstaaten nicht einheitlich und vollständig durchgeführt wurde. Hervorzuheben ist das hohe Ausmaß der Kinderarbeit in den Zentren der Heimarbeit. In der Spielwarenindustrieregion Sachsen-Coburg-Gotha arbeiteten 86 % aller Schulkinder im Gewerbe. Der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Emanuel Wurm ging für das gesamte Deutsche Reich von einer Million Kinder im Gewerbe aus. Nicht erfasst wurden Kinder, die in der Landwirtschaft arbeiteten.
Die in der Enquête von 1898 erhobenen Zahlen und die darin enthaltenen Angaben über die zum Teil gesundheitsschädlichen Arbeitsbedingungen der schulpflichtigen Kinder reichten trotz ihrer Unvollständigkeit aus, um eine neue Gesetzesvorlage zu motivieren. Es war augenfällig, dass die Gewerbeordnung von 1891 nicht ausreichte, um dem Missstand der Kinderarbeit wirksam entgegenzutreten. Kritisiert wurden vor allem die mangelhafte Konzentrationsfähigkeit der arbeitenden Kinder in der Schule, die Beeinträchtigung der körperlichen Entwicklung durch wenig oder einseitige Bewegung und der Umgang mit gesundheitsschädlichen Materialien und gefährlichen Maschinen. Einige Tätigkeiten im Gewerbe, wie das Kegelaufstellen in Wirtshäusern und die Mitwirkung bei Schaustellungen galten zudem als moralisch gefährdend. Vertreter des Innenministeriums, des Ministeriums für Handel und Gewerbe und des Kultusministeriums berieten über einen entsprechenden Gesetzesentwurf. Ein zentraler Streitpunkt war die Rolle der elterlichen Autorität. Der Eingriff in die familiäre Sphäre, der für die Durchsetzung eines Verbots der Heimarbeit und der Kinderarbeit in Familien notwendig war, erschien als gewagt: „Das Kind ist, solange es dem elterlichen Hausstand angehört und von den Eltern erzogen und unterhalten wird, verpflichtet, in einer seinen Kräften und seiner Lebensstellung entsprechenden Weise den Eltern in ihrem Hauswesen und Geschäft Dienste zu leisten“, hieß es im Bürgerlichen Gesetzbuch von 1896.[2]
Das Ideal einer arbeitsfreien Kindheit hatte sich noch nicht durchgesetzt. Der Staatssekretär des Reichsamts des Innern Graf von Posadowsky schrieb noch 1902 in einem Brief an Kaiser Wilhelm II, „daß eine mäßige Beschäftigung von Kindern in sofern eine Berechtigung hat, als sie geeignet ist, die Kinder an körperliche und geistige Thätigkeit zu gewöhnen, den Sinn für Fleiß und Sparsamkeit zu beleben und sie vor Müßiggang und Abwegen zu bewahren.“[3] Die Idee der erzieherischen Wirkung der Arbeit wurde auch in der bürgerlichen Gesellschaft und in der Arbeiterschaft vertreten. Die Gesetzgebung war letztlich ein Kompromiss. Es ging nicht darum, die Kinderarbeit gänzlich abzuschaffen, sondern sie einzudämmen.
Das Gesetz, betreffend Kinderarbeit in gewerblichen Betrieben regelte die Lohnbeschäftigung von Jungen und Mädchen unter 13 Jahren und Kindern über 13 Jahren, die noch Schulpflichtig waren, in Industrie, Handel und Verkehr, Handwerksbetrieben, Heimarbeit, Gastgewerbe, bei öffentlichen Vorstellungen sowie als Botengänger und Austräger von Waren. Um starke Eingriffe in die Familie zu vermeiden, unterschied das Gesetz zwischen „eigenen“ und „fremden“ Kindern. Zu den „eigenen Kindern“ zählten die Kinder des Ehepartners, Nichten und Neffen sowie Kinder, die einer Familie zur „Fürsorgeerziehung“ anvertraut waren. Die „eigenen“ Kinder wurden durch das Gesetz weniger geschützt als „fremde“, so dass Eltern einen größeren Spielraum hatten, die Arbeitskraft ihrer Kinder im eigenen Betrieb zu nutzen. Generell verboten war jedoch die Arbeit in „ungeeigneten Beschäftigungen“ wie Tagebau, Schornsteinfegen, Steinklopfen und an Arbeitsstellen, an denen Triebwerke zur Verwendung kamen, die durch „elementare Kraft“ (Dampf, Wind, Wasser, Gas etc.) angetrieben wurden. Für alle schulpflichtigen Kinder galt außerdem ein Nachtarbeitsverbot und eine Mittagspausenregelung. Mindestens zwölf Jahre alt musste ein Kind sein, um auch in der Werkstatt oder Wohnung der Eltern Arbeiten für Dritte zu verrichten, zum Beispiel Heimarbeit.
Alle anderen Paragraphen unterschieden zwischen „eigenen“ und „fremden“ Kindern. Während fremde Kinder erst ab dem zwölften Lebensjahr in zugelassenen Betrieben arbeiten durften, war es Erziehungsberechtigten gestattet, ihre Kinder bereits im Alter von zehn Jahren arbeiten zu lassen. Fremde Kinder durften maximal drei Stunden, eigene Kinder während der Schulzeit vier bis sieben Stunden täglich arbeiten. Während der Schulferien gab es keinerlei Schutz für eigene Kinder. Sie konnten täglich zehn Stunden arbeiten. Fremde Kinder durften in der Ferienzeit nur vier Stunden täglich arbeiten. Auch die Botentätigkeit eigener Kinder war nicht eingeschränkt, während fremde Kinder an Sonn- und Feiertagen vormittags nur zwei Stunden als Boten arbeiten durften und hier ein Mindestalter von zwölf Jahren festgelegt war. Den Landesregierungen oblag die Durchführung des Kinderschutzgesetzes. Die Ortspolizeibehörden und die zuständigen Gewerbeaufsichtsbeamten hatten die gesetzlichen Bestimmungen zu kontrollieren und Sanktionen durchzusetzen. Möglich waren Geldstrafen bis zu zweitausend Mark und Haftstrafen bis zu sechs Monaten. In der Praxis blieb es meist bei geringen Geldstrafen.
Im Reichstag kritisierten die Abgeordneten der SPD und der Nationalliberalen vor allem die Unterscheidung zwischen eigenen und fremden Kindern. Zum einen erschwere diese Differenzierung einen umfassenden Kinderschutz, zum anderen verkompliziere sie das Gesetz. Letztlich entsprach sie aber der Mehrheitsmeinung und spiegelt das Familienbild im Kaiserreich wider. Besonders kontrovers wurde im Reichstag darüber diskutiert, dass das Gesetz nicht die Kinderarbeit in der Landwirtschaft einschränkte. Vor allem Vertreter der konservativen Parteien verharmlosten die Landarbeit von Kindern als romantisches Element der deutschen Kultur.
Aufgrund der schwierigen Quellenlage und einer unwägbaren Dunkelziffer ist es nicht möglich, die Wirkung des Gesetzes, betreffend Kinderarbeit in gewerblichen Betrieben zu beurteilen. Es lässt sich lediglich festhalten, dass die Bestimmungen schwieriger durchzusetzen waren als die Gewerbeordnung von 1891. Die Mitarbeit von Kindern in den gewerblichen Betrieben und vor allem in der Familie war in der Tradition verankert und konnte daher nur allmählich zurückgedrängt werden. Auch in der Weimarer Republik war das Bild des arbeitenden Kindes noch allgegenwärtig.
Im internationalen Vergleich schnitt das Gesetz nicht schlecht ab. Zwar wurden in anderen europäischen Ländern junge Menschen teilweise bis zum Alter von 18 Jahren in den Arbeiterschutz einbezogen, während der Jugendschutz in Deutschland bereits mit der Altersgrenze von 16 Jahren endete, doch bot das deutsche Gesetz differenziertere und weitreichende Regelungen zum Schutz schulpflichtiger Kinder. Somit lieferte es entscheidende Impulse, die die Vorstellungen vom Kinderschutz im 20. Jahrhundert maßgeblich prägten.
- ↑ Freiherr Cornelius Wilhelm von Heyl zu Herrnsheim (Worms), Fabrikant, Nationalliberale Partei, in der Reichstagsdebatte bei den Beratungen des "Entwurfs eines Gesetzes betreffend Kinderarbeit in gewerblichen Betrieben", 23. April 1902. Siehe: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstags. X. Legislaturperiode. II. Session. 1900/1903, Berlin 1903, S. 5018, Online
- ↑ § 1617, RGBl. 1896, S. 472.
- ↑ Schreiben des Staatssekretärs des Reichsamts des Innern, Graf von Posadowsky, an Kaiser Wilhelm II. vom 2. Januar 1902, zit. n. Siegfried Quandt (Hrsg.), Kinderarbeit und Kinderschutz in Deutschland 1783-1976. Quellen und Anmerkungen (=Geschichte, Politik. Materialien und Forschung, Bd. 1). Paderborn 1978, S. 89.
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Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen etc.
verordnen im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesrats und des Reichtags, was folgt:
Auf die Beschäftigung von Kindern in Betrieben, welche als gewerbliche im Sinne der Gewerbeordnung anzusehen sind, finden neben den bestehenden reichsrechtlichen Vorschriften die folgenden Bestimmungen Anwendung, und zwar auf die Beschäftigung fremder Kinder die §§ 4 bis 11, auf die Beschäftigung eigener Kinder die §§ 12 bis 17.
Als Kinder im Sinne dieses Gesetzes gelten Knaben und Mädchen unter dreizehn Jahren sowie solche Knaben und Mädchen über dreizehn Jahre, welche noch zum Besuche der Volksschule verpflichtet sind.
Im Sinne dieses Gesetzes gelten als eigene Kinder:
1. Kinder, die mit demjenigen, welcher sie beschäftigt, oder mit dessen Ehegatten bis zum dritten Grade verwandt sind,
2. Kinder, die von demjenigen, welcher sie beschäftigt, oder dessen Ehegatten an Kindesstatt angenommen oder bevormundet sind,
3. Kinder, die demjenigen, welcher sie zugleich mit Kindern der unter 1 oder 2 bezeichneten Art beschäftigt, zur gesetzlichen Zwangserziehung (Fürsorgeerziehung) überwiesen sind,
sofern die Kinder zu dem Hausstande desjenigen gehören, welcher sie beschäftigt.
Kinder, welche hiernach nicht als eigene Kinder anzusehen sind, gelten als fremde Kinder.
Die Vorschriften über die Beschäftigung eigener Kinder gelten auch für die Beschäftigung von Kindern, welche in der Wohnung oder Werkstätte einer Person, zu der sie in einem der im Abs. 1 bezeichneten Verhältnisse stehen und zu deren Hausstande sie gehören, für Dritte beschäftigt werden.
Bei Bauten aller Art, im Betriebe derjenigen Ziegeleien und über Tage betriebenen Brüche und Gruben, auf welche die Bestimmungen der §§ 134 bis 139 b der Gewerbeordnung keine Anwendung finden, und der in dem anliegenden Verzeichnis aufgeführten Werkstätten, sowie beim Steinklopfen, im Schornsteinfegergewerbe, in dem mit dem Speditionsgeschäfte verbundenen Fuhrwerksbetriebe, beim Mischen und Mahlen von Farben, beim Arbeiten in Kellereien dürfen Kinder nicht beschäftigt werden.
Der Bundesrat ist ermächtigt, weitere ungeeignete Beschäftigungen zu untersagen und das Verzeichnis abzuändern. Die beschlossenen Abänderungen sind durch das Reichs-Gesetzblatt zu veröffentlichen und dem Reichstage sofort oder, wenn derselbe nicht versammelt ist, bei seinem nächsten Zusammentritte zur Kenntnisnahme vorzulegen.
Im Betriebe von Werkstätten (§ 18), in denen die Beschäftigung von Kindern nicht nach § 4 verboten ist, im Handelsgewerbe (§ 105 b Abs. 2, 3 der Gewerbeordnung) und in Verkehrsgewerben (§ 105 i Abs. 1 a. a. O.) dürfen Kinder unter zwölf Jahren nicht beschäftigt werden.
Die Beschäftigung von Kindern über zwölf Jahre darf nicht in der Zeit zwischen acht Uhr Abends und acht Uhr Morgens und nicht vor dem Vormittagsunterrichte stattfinden. Sie darf nicht länger als drei Stunden und während der von der zuständigen Behörde bestimmten Schulferien nicht länger als vier Stunden täglich dauern. Um Mittag ist den Kindern eine mindestens zweistündige Pause zu gewähren. Am Nachmittage darf die Beschäftigung erst eine Stunde nach beendetem Unterrichte beginnen.
Bei öffentlichen theatralischen Vorstellungen und anderen öffentlichen Schaustellungen dürfen Kinder nicht beschäftigt werden.
Bei solchen Vorstellungen und Schaustellungen, bei denen ein höheres Interesse der Kunst oder Wissenschaft obwaltet, kann die untere Verwaltungsbehörde nach Anhörung der Schulaufsichtsbehörde Ausnahmen zulassen.
Im Betriebe von Gast- und von Schankwirtschaften dürfen Kinder unter zwölf Jahren überhaupt nicht und Mädchen (§ 2) nicht bei der Bedienung der Gäste beschäftigt werden. Im übrigen finden auf die Beschäftigung von Kindern über zwölf Jahre die Bestimmungen des § 5 Abs. 2 Anwendung.
Auf die Beschäftigung von Kindern beim Austragen von Waren und bei sonstigen Botengängen in den in §§ 4 bis 7 bezeichneten und in anderen gewerblichen Betrieben finden die Bestimmungen des § 5 entsprechende Anwendung.
Für die ersten zwei Jahre nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes kann die untere Verwaltungsbehörde nach Anhörung der Schulaufsichtsbehörde für ihren Bezirk oder Teile desselben allgemein oder für einzelne Gewerbezweige gestatten, daß die Beschäftigung von Kindern über zwölf Jahre bereits von sechseinhalb Uhr Morgens an und vor dem Vormittagsunterrichte stattfindet; jedoch darf sie vor dem Vormittagsunterrichte nicht länger als eine Stunde dauern.
An Sonn- und Festtagen (§ 105 a Abs. 2 der Gewerbeordnung) dürfen Kinder, vorbehaltlich der Bestimmung in Abs. 2, 3, nicht beschäftigt werden.
Für die öffentlichen theatralischen Vorstellungen und sonstigen öffentlichen Schaustellungen bewendet es auch an Sonn- und Festtagen bei den Bestimmungen des § 6.
Für das Austragen von Waren sowie für sonstige Botengänge bewendet es bei den Bestimmungen des § 8. Jedoch darf an Sonn- und Festtagen die Beschäftigung die Dauer von zwei Stunden nicht überschreiten und sich nicht über ein Uhr nachmittags erstrecken; auch darf sie nicht in der letzten halben Stunde vor Beginn des Hauptgottesdienstes und nicht während desselben stattfinden.
Sollen Kinder beschäftigt werden, so hat der Arbeitgeber vor dem Beginne der Beschäftigung der Ortspolizeibehörde eine schriftliche Anzeige zu machen. In der Anzeige sind die Betriebsstätte des Arbeitgebers sowie die Art des Betriebs anzugeben.
Die Bestimmung des Abs. 1 findet keine Anwendung auf eine bloß gelegentliche Beschäftigung mit einzelnen Dienstleistungen.
Die Beschäftigung eines Kindes ist nicht gestattet, wenn dem Arbeitgeber nicht zuvor für dasselbe eine Arbeitskarte eingehändigt ist. Diese Bestimmung findet keine Anwendung auf eine bloß gelegentliche Beschäftigung mit einzelnen Dienstleistungen.
Die Arbeitskarten werden auf Antrag oder mit Zustimmung des gesetzlichen Vertreters durch die Ortspolizeibehörde desjenigen Ortes, an welchem das Kind zuletzt seinen dauernden Aufenthaltsort gehabt hat, kosten- und stempelfrei ausgestellt; ist die Erklärung des gesetzlichen Vertreters nicht zu beschaffen, so kann die Gemeindebehörde die Zustimmung ergänzen. Die Karten haben den Namen, Tag und Jahr der Geburt des Kindes sowie den Namen, Stand und letzten Wohnort des gesetzlichen Vertreters zu enthalten.
Der Arbeitgeber hat die Arbeitskarte zu verwahren, auf amtliches Verlangen vorzulegen und nach rechtmäßiger Lösung des Arbeitsverhältnisses dem gesetzlichen Vertreter wieder auszuhändigen. Ist die Wohnung des gesetzlichen Vertreters nicht zu ermitteln, so erfolgt die Aushändigung der Arbeitskarte an die im Abs. 2 bezeichnete Ortspolizeibehörde.
Die Bestimmungen des § 4 des Gewerbegerichtsgesetzes vom 29. September 1901 (Reichs-Gesetzbl. S. 353) über die Zuständigkeit der Gewerbegerichte für Streitigkeiten hinsichtlich der Arbeitsbücher finden entsprechende Anwendung.
In Betrieben, in denen gemäß den Bestimmungen des § 4 fremde Kinder nicht beschäftigt werden dürfen, sowie in Werkstätten, in welchen durch elementare Kraft (Dampf, Wind, Wasser, Gas, Luft, Elektrizität usw.) bewegte Triebwerke nicht bloß vorübergehend zur Verwendung kommen, ist auch die Beschäftigung eigener Kinder untersagt.
Im Betriebe von Werkstätten, in denen die Beschäftigung von Kindern nicht nach § 12 verboten ist, im Handelsgewerbe und in Verkehrsgewerben dürfen eigene Kinder unter zehn Jahren überhaupt nicht, eigene Kinder über zehn Jahre nicht in der Zeit zwischen acht Uhr Abends und acht Uhr Morgens und nicht vor dem Vormittagsunterrichte beschäftigt werden. Um Mittag ist den Kindern eine mindestens zweistündige Pause zu gewähren. Am Nachmittage darf die Beschäftigung erst eine Stunde nach beendetem Unterrichte beginnen.
Eigene Kinder unter zwölf Jahren dürfen in der Wohnung oder Werkstätte einer Person, zu der sie in einem der im § 3 Abs. 1 bezeichneten Verhältnisse stehen, für Dritte nicht beschäftigt werden.
An Sonn- und Festtagen dürfen auch eigene Kinder im Betriebe von Werkstätten und im Handelsgewerbe sowie im Verkehrsgewerbe nicht beschäftigt werden.
Der Bundesrat ist ermächtigt, für die ersten zwei Jahre nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes für einzelne Arten der im § 12 bezeichneten Werkstätten, in denen durch elementare Kraft bewegte Triebwerke nicht bloß vorübergehend zur Verwendung kommen, und der im § 13 Abs. 1 bezeichneten Werkstätten Ausnahmen von den daselbst vorgesehenen Bestimmungen zuzulassen.
Nach Ablauf dieser Zeit kann der Bundesrat für einzelne Arten der im § 12 bezeichneten Werkstätten mit Motorbetrieb die Beschäftigung eigener Kinder nach Maßgabe der Bestimmungen im § 13 Abs. 1 unter der Bedingung gestatten, daß die Kinder nicht an den durch die Triebkraft bewegten Maschinen beschäftigt werden dürfen. Auch kann der Bundesrat für einzelne Arten der im § 13 Abs. 1 bezeichneten Werkstätten Ausnahmen von dem Verbote der Beschäftigung von Kindern unter zehn Jahren zulassen, sofern die Kinder mit besonders leichten und ihrem Alter angemessenen Arbeiten beschäftigt werden; die Beschäftigung darf nicht in der Zeit zwischen acht Uhr Abends und acht Uhr Morgens stattfinden; um Mittag ist den Kindern eine mindestens zweistündige Pause zu gewähren, am Nachmittage darf die Beschäftigung erst eine Stunde nach beendetem Unterrichte beginnen. Die Ausnahmebestimmungen können allgemein oder für einzelne Bezirke erlassen werden.
Auf die Beschäftigung eigener Kinder bei öffentlichen theatralischen Vorstellungen und anderen öffentlichen Schaustellungen finden die Bestimmungen des § 6 Anwendung.
Im Betriebe von Gast- und von Schankwirtschaften dürfen Kinder unter zwölf Jahren überhaupt nicht, und Mädchen (§ 2) nicht bei der Bedienung der Gäste beschäftigt werden. Die untere Verwaltungsbehörde ist befugt, nach Anhörung der Schulaufsichtbehörde in Orten, welche nach der jeweilig letzten Volkszählung weniger als zwanzigtausend Einwohner haben, für Betriebe, in welchen in der Regel ausschließlich zur Familie des Arbeitgebers gehörige Personen beschäftigt werden, Ausnahmen zuzulassen. Im übrigen finden auf die Beschäftigung von eigenen Kindern die Bestimmungen des § 13 Abs. 1 Anwendung.
Auf die Beschäftigung beim Austragen von Zeitungen, Milch und Backwaren finden die Bestimmungen im § 8, § 9 Abs. 3 dann Anwendung, wenn die Kinder für Dritte beschäftigt werden.
Im übrigen ist die Beschäftigung von eigenen Kindern beim Austragen von Waren und bei sonstigen Botengängen gestattet. Durch Polizeiverordnungen der zum Erlasse solcher berechtigten Behörden kann die Beschäftigung beschränkt werden.
Als Werkstätten gelten neben den Werkstätten im Sinne des § 105 b Abs. 1 der Gewerbeordnung auch Räume, die zum Schlafen, Wohnen oder Kochen dienen, wenn darin gewerbliche Arbeit verrichtet wird, sowie im Freien gelegene gewerbliche Arbeitsstellen.
Beträgt der Unterschied zwischen der gesetzlichen Zeit und der Ortszeit mehr als eine Viertelstunde, so kann die höhere Verwaltungsbehörde bezüglich der in diesem Gesetze vorgesehenen Bestimmungen über Anfang und Ende der zulässigen täglichen Arbeitszeit für ihren Bezirk oder einzelne Teile desselben Abweichungen von der Vorschrift über die gesetzliche Zeit in Deutschland (Gesetz vom 12. März 1893, Reichs-Gesetzbl. S. 93) zulassen. Die Abweichungen dürfen nicht mehr als eine halbe Stunde betragen. Die gesetzlichen Bestimmungen über die zulässige Dauer der Beschäftigung bleiben unberührt.
Die zuständigen Polizeibehörden können im Wege der Verfügung eine nach den vorstehenden Bestimmungen zulässige Beschäftigung, sofern dabei erhebliche Mißstände zu Tage getreten sind, auf Antrag oder nach Anhörung der Schulaufsichtbehörde für einzelne Kinder einschränken oder untersagen sowie, wenn für das Kind eine Arbeitskarte erteilt ist (§ 11), diese entziehen und die Erteilung einer neuen Arbeitskarte verweigern.
Die zuständigen Polizeibehörden sind ferner befugt, zur Beseitigung erheblicher, die Sittlichkeit gefährdender Mißstände im Wege der Verfügung für einzelne Gast- oder Schankwirtschaften die Beschäftigung von Kindern weiter einzuschränken oder zu untersagen.
Insoweit nicht durch Bundesratsbeschluß oder durch die Landesregierungen die Aufsicht anderweitig geregelt ist, finden die Bestimmungen des § 139 b der Gewerbeordnung Anwendung.
In Privatwohnungen, in denen ausschließlich eigene Kinder beschäftigt werden, dürfen Revisionen während der der Nachtzeit nur stattfinden, wenn Tatsachen vorliegen, welche den Verdacht der Nachtbeschäftigung dieser Kinder begründen.
Welche Behörden in jedem Bundesstaat unter der Bezeichnung: höhere Verwaltungsbehörde, untere Verwaltungsbehörde, Schulaufsichtbehörde, Gemeindebehörde, Polizeibehörde, Ortspolizeibehörde zu verstehen sind, wird von der Zentralbehörde des Bundesstaats bekannt gemacht.
Mit Geldstrafe bis zu zweitausend Mark wird bestraft, wer den §§ 4 bis 8 zuwiderhandelt.
Im Falle gewohnheitsmäßiger Zuwiderhandlung kann auf Gefängnisstrafe bis zu sechs Monaten erkannt werden.
Der § 75 des Gerichtsverfassungsgesetzes findet Anwendung.
Mit Geldstrafe bis zu sechshundert Mark wird bestraft:
1. wer dem § 9 zuwider Kindern an Sonn- und Festtagen Beschäftigung gibt;
2. wer den auf Grund des § 20 hinsichtlich der Beschäftigung fremder Kinder endgültig ergangenen Verfügungen zuwiderhandelt.
Im Falle gewohnheitsmäßiger Zuwiderhandlung kann auf Haft erkannt werden.
Mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark wird bestraft:
1. wer den §§ 12 bis 16, 17 Abs. 1 zuwiderhandelt;
2. wer den auf Grund des § 20 hinsichtlich der Beschäftigung eigener Kinder endgültig ergangenen Verfügungen oder den auf Grund des § 17 Abs. 2 erlassenen Vorschriften zuwiderhandelt.
Im Falle gewohnheitsmäßiger Zuwiderhandlung kann auf Haft erkannt werden.
Mit Geldstrafe bis zu dreißig Mark werden Arbeitgeber, welche es unterlassen, den durch § 10 für sie begründeten Verpflichtungen nachzukommen.
Mit Geldstrafe bis zu zwanzig Mark wird bestraft:
1. wer entgegen der Bestimmung des § 11 Abs. 1 ein Kind in Beschäftigung nimmt oder behält;
2. wer der Bestimmung des § 11 Abs. 3 in Ansehung der Arbeitskarten zuwiderhandelt.
Die Strafverfolgung der im § 24 bezeichneten Vergehen verjährt binnen drei Monaten.
Die Bestimmungen des § 151 der Gewerbeordnung finden Anwendung.
Die vorstehenden Bestimmungen stehen weitergehenden landesrechtlichen Beschränkungen der Beschäftigung von Kindern in gewerblichen Betrieben nicht entgegen.
Dieses Gesetz tritt mit dem 1. Januar 1904 in Kraft.
Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem Kaiserlichen Insiegel.
Gegeben Berlin im Schloß, den 30. März 1903
Hier nach: Reichsgesetzblatt 1903, S. 113-120.
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Reichsgesetzblatt 1903, S. 113-120, WikiCommons. Gemeinfrei (amtliches Werk).
Reichsgesetzblatt [Имперский вестник законов] 1903, с. 113-120, WikiCommons. Общественное достояние (официальный документ).
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