Freundschafts- und Bündnispakt zwischen Deutschland und Italien ("Stahlpakt") vom 22. Mai 1939 und geheimer Zusatzvertrag

Einführung

Als "pures Dynamit" bezeichnete der italienische Außenminister GlossarGaleazzo Ciano das Vertragswerk, als er den fertigen Text das erste Mal zu Gesicht bekam. Nie zuvor habe er ein derartiges Abkommen gelesen.[1] Und in der Tat stellte der "Stahlpakt" ein absolutes Novum in der Geschichte der internationalen Verträge dar. Mit der in Artikel III formulierten automatischen Beistandspflicht fiel das Militärabkommen völlig aus dem Rahmen der klassischen, defensiv angelegten Bündnisverträge. Rom und Berlin verpflichteten sich gegenseitig, dem Partner in der "GlossarAchse Berlin-Rom" mit allen militärischen Kräften zur Seite zu treten, falls dieser – ganz gleich aus welchen Gründen – "in kriegerische Verwicklungen mit einer anderen Macht" geriete. In diesem apodiktischen Automatismus lag der Zündstoff des Paktes; hier lag sein offensiver, aggressiver Kern, der bereits wenige Monate nach Unterzeichnung auf die Probe gestellt wurde, als das Deutsche Reich seinen Feldzug gegen Polen eröffnete und Italien de jure verpflichtet war, ihm beizustehen.

Ursprünglich sollte der "Stahlpakt", der am 22. Mai 1939 von den Außenministern GlossarJoachim Ribbentrop und Galeazzo Ciano in Berlin unterzeichnet wurde, den "GlossarAntikominternpakt" zwischen Tokio, Rom und Berlin erweitern und die Expansionsbestrebungen der drei Staaten koordinieren. Die Verhandlungen zwischen Japan, Italien und Deutschland stagnierten jedoch in den ersten Monaten des Jahres 1939, da man sich über die antibritische bzw. antisowjetische Ausrichtung des Vertrages nicht einig wurde. Während sich Tokio in erster Linie eine Rückendeckung gegen Russland verschaffen wollte, suchten die Achsenpartner nach einem fernöstlichen Gegengewicht gegen die demokratischen Mächte – treibende Kraft war dabei stets das Deutsche Reich.[2] Als Ribbentrop am 24. April schließlich feststellen musste, dass die Verhandlungen mit Japan zu keinem Ergebnis kamen, schlug er tags darauf dem italienischen Botschafter GlossarBernardo Attolico vor, einstweilen einen bilateralen Pakt abzuschließen, dem sich Tokio später anschließen könne. Ciano solle für das nächste Zusammentreffen einen Vertragsentwurf anfertigen, er werde ebenfalls einen mitbringen.[3]

Nachdem die faschistische Führung bis zu diesem Zeitpunkt stets hinhaltend auf das deutsche Drängen reagiert hatte, nahm die Angelegenheit nun eine überraschende Wendung. Denn in den Weisungen, die GlossarBenito Mussolini am 4. Mai für seinen Außenminister aufsetzte, betonte der italienische Staatschef nicht nur, dass ein europäischer Konflikt bis 1943 unbedingt zu vermeiden sei. Er forderte gleichzeitig, die militärischen Absprachen mit dem Deutschen Reich so exakt auszuarbeiten, dass sie unter gewissen Umständen "geradezu automatisch" in Kraft träten.[4] Der Automatismus des "Stahlpakts", der der italienischen Regierung noch große Probleme bereiten würde, ging folglich auf einen Vorschlag Mussolinis zurück. Ribbentrop, dem sein Amt zwei Bündnisverträge klassischen, d.h. defensiven Typs vorbereitet hatte, legte diese bei dem Mailänder Treffen am 6./7. Mai gar nicht mehr vor, nachdem Ciano ihm die Direktiven des GlossarDuce gezeigt hatte.

Anders als von Ciano rückblickend behauptet, lag der Grund für diesen plötzlichen Entschluss sicherlich nicht in einer "Trotzreaktion" des Duce auf die Falschmeldungen westlicher Blätter, die auf die Unzuverlässigkeit der Italiener und die Brüchigkeit der "Achse Berlin-Rom" anspielten.[7] So impulsiv die Entscheidung auch gefällt worden sein mag, entsprang sie doch zumindest einem Zusammenwirken von Gefühlen, Werturteilen und politischem Kalkül. Denn wollte die faschistische Regierung langfristig ihrem Expansionsstreben nachkommen, so führten realpolitische Überlegungen zwangsläufig an die Seite des Deutschen Reiches. Das deutsch-italienische Bündnis war in den Augen Mussolinis das beste Mittel, um den Druck auf Frankreich zu erhöhen. Hinzu kam die Furcht vor dem angekündigten englisch-türkischen Bündnis, das als antiitalienisches Manöver aufgefasst wurde. Durch die anvisierte – später in Artikel I und II fixierte – Konsultationspflicht hoffte Mussolini außerdem, mehr Einblick in die deutschen Planungen zu gewinnen und den Partner besser kontrollieren zu können.[8]

Zieht man die Quintessenz aus den Absprachen von Mailand, so muss man feststellen, dass die offiziell verkündete "volle Übereinstimmung der Auffassungen"[9] vornehmlich auf Missverständnissen und Zweideutigkeiten basierte. Während die deutsche Regierung vor allem die offensive Haltung Mussolinis registrierte und die Überzeugung gewann, den Achsenpartner bei künftigen militärischen Unternehmungen mit einbinden zu können, glaubte die faschistische Führung, man habe sich definitiv auf eine Friedenszeit von vier bis fünf Jahren geeinigt. Entgegen jeder diplomatischen Gepflogenheit versäumte Außenminister Ciano es jedoch, diese Absprache schriftlich festzulegen. Das Ergebnis der Mailänder Besprechung wurde nicht einmal in einem gemeinsamen Protokoll fixiert – ein "mit solider diplomatischer Praxis unvereinbarer Leichtsinn".[10] Sträflich war es zudem, dass die Italiener auf die Ausarbeitung des Vertragstextes kaum noch Einfluss nahmen. In nur fünf Tagen wurde die endgültige Fassung des "Stahlpakts" nach dem Muster des deutschen Vorschlags vom 12. Mai[11] diskutiert und aufgesetzt. Die wenigen Änderungen, die Ciano und Attolico dem Vertragswerk noch beibrachten, waren zweitrangiger Natur. So wurde in der Präambel die Unabänderlichkeit der deutsch-italienischen Grenze betont und in Artikel VII die Dauer des Pakts auf 10 Jahre beschränkt.[12] Ansonsten aber entsprang der Text, den Mussolini am 17. Mai 1939 billigte,[13] im Wesentlichen den Federn deutscher Diplomaten. Weder die mehrjährige Friedensperiode noch konkrete Ziele des Bündnisses fanden in dem Vertragstext Erwähnung. Selbst das geheime Zusatzprotokoll, in dem man präzisere Vereinbarungen hätte treffen können, gab in dieser Hinsicht nichts her. Es vertiefte lediglich, wie die militärische Zusammenarbeit der beiden Staaten in Zukunft vorangetrieben werden sollte. Die Chance, das in Mailand Versäumte auf diplomatischem Wege nachzuholen, war folglich vertan.

Zu Recht hat man aus diesem dilettantischen Vorgehen geschlossen, dass Mussolini die propagandistische Außenwirkung des Abkommens wichtiger war als der eigentliche Inhalt des Vertrags. Nicht die Umsetzung, sondern der Mythos des "Stahlpaktes" stand im Zentrum seiner Überlegungen.[14] GlossarAdolf Hitler hingegen nahm den offensiven Kern des Vertrags wortwörtlich und integrierte die militärischen Möglichkeiten, die ihm der Pakt bot, sogleich in seiner strategischen Planung. Schon einen Tag nach Unterzeichnung kündigte er der deutschen Wehrmachtführung den Angriff auf Polen an, mit der ausdrücklichen Weisung, den Italienern nichts davon mitzuteilen.[15] Damit wurde der einstweilige Friedenswunsch Roms schon konterkariert, als einige der Diplomaten noch auf dem Heimweg waren. Anstatt den Krieg für mindestens drei Jahre zu verhindern, hatte Mussolini durch seine "Automatismus"-Formel zu der Weichenstellung beigetragen, die über Polen in den Zweiten Weltkrieg führte. Der Abschluss des "Stahlpakts" hatte den Entscheidungsprozess in der deutschen Führung beschleunigt.

Bereits Ende Juni begannen die Italiener zu ahnen, dass die Deutschen ihnen Informationen vorenthielten und einen GlossarAngriff auf Polen planten. Die Berliner Botschaft war alarmiert und wies nachdrücklich auf die Notwendigkeit einer deutsch-italienischen Aussprache hin.[16] Am 12. August 1939 teilte Hitler dem italienischen Außenminister dann persönlich mit, dass das Deutsche Reich bald auf die "polnischen Provokationen" reagieren werde. Cianos Verweis auf die vereinbarte Friedenszeit wurde mit der Bemerkung abgetan, dass die aktuelle Lage eine deutsche Aktion erforderlich mache. Zudem, so betonte Hitler, würde der Konflikt ohnehin lokal begrenzt bleiben und Italien nicht in die Pflicht genommen werden.[17]

Trotz Cianos kritischer Worte folgte dem Salzburger Treffen sogleich ein Bericht des Deutschen Nachrichtenbüros, laut dem die Zusammenkunft ganz "im Geiste der Konsultierungspflicht" erfolgt sei. Eine "volle Übereinstimmung" in allen Punkten, Danzig inbegriffen, sei erzielt worden – ein eindeutiger Beweis "nicht nur totaler Freundschaft, sondern auch totaler Bereitschaft", wie die offizielle Pressenotiz betonte.[18] Entrüstet unterstrich der italienische Botschafter Attolico in einem Bericht an sein Außenministerium, dass mit dieser unabgesprochenen Veröffentlichung nicht nur jegliche Form verletzt, sondern Italien mehr oder minder "in den Schraubstock des Artikels III"[19] getrieben werde. Um eine weitergehende Verpflichtung Italiens zu verhindern, müsse sich Rom augenblicklich auf Artikel II und v.a. auf den Artikel I berufen, in dem nicht nur das Recht und die Pflicht zur gegenseitigen Konsultierung, sondern auch die Notwendigkeit der Verständigung, d.h. der Übereinstimmung, festgelegt sei.[20]

Ab Mitte August suchten Attolico und Ciano Mittel und Wege, um ihr Land aus dem Krieg herauszuhalten. Obwohl die Westmächte durch den GlossarHitler-Stalin-Pakt vom 23. August 1939 deutlich in Bedrängnis gerieten und sich aufgrund der neuen Konstellation auch für Italien neue Möglichkeiten auftaten, ließ Mussolini sich überzeugen, nicht blindlings an der Seite Deutschlands in den Krieg zu marschieren. "Sich lösen, ohne zu brechen", lautete nun die Zielsetzung der faschistischen Regierung.[21] Denn anders als bei der "Achse Berlin-Rom", der keine eindeutige Definition zugrunde lag, bestand beim "Stahlpakt" die Gefahr des Vertragsbruchs[22] – einen Bruch mit Deutschland aber wollten die Italiener unbedingt vermeiden. Einen europäischen Konflikt hingegen konnten sie sich nicht leisten. Im Gegensatz zu Berlin war Rom zu diesem Zeitpunkt schon seit über einem Jahrzehnt militärisch aktiv: 1923-34 in Libyen, 1935-36 in Abessinien, 1936-39 im GlossarSpanischen Buergerkrieg und 1939 bei der Besetzung Albaniens. Kriegerische Unternehmungen, die zwar stets außerhalb des Landes stattfanden, aber dennoch Geld in Anspruch nahmen, Rüstungsmaterial verbrauchten und Menschenleben kosteten.[23] Der in Mailand formulierte Wunsch nach einer "möglichst langen Friedensperiode" war durchaus begründet.

Mit einer ungeheuren Materialliste, in der sie alle Rohstoffe aufzählten, die Berlin zuvor liefern müsste, gelang es den italienischen Diplomaten schließlich nachzuweisen, dass die faschistische Rüstungsindustrie noch nicht bereit war für den Kriegseintritt. Angesichts der immensen Forderungen an Kohle, Stahl, Treibstoff, Edelmetallen und Flakbatterien resignierte Hitler und befreite Mussolini in aller Öffentlichkeit von der vereinbarten Beistandspflicht.[24] Selbst nach der Kriegserklärung Englands und Frankreichs forderte Hitler die italienische Unterstützung nicht ein, so dass die vertragliche Verpflichtung des "Stahlpakts" bis zuletzt unangetastet blieb.[25] Rein formal betrachtet wurde das Abkommen daher nicht beschädigt, faktisch kam es allerdings auch nie zur Anwendung.

Malte König

[1] Galeazzo Ciano, Diario 1937-1943, hrsg. v. Renzo De Felice, Mailand 2000 (1946), S. 297 – 13.5.1939. [[1]]

[2] Jens Petersen, „Die Stunde der Entscheidung. Das faschistische Italien zwischen Mittelmeerimperium und neutralistischem Niedergang“, in: Kriegsausbruch 1939. Beteiligte, Betroffene, Neutrale, hrsg. v. Helmut Altrichter/Josef Becker, München 1989, S. 131; Ferdinand Siebert, Italiens Weg in den Zweiten Weltkrieg, Frankfurt a.M./Bonn 1962, S. 163. Für die Vorgeschichte seit 1937 vgl.: Mario Toscano, The Origins of the Pact of Steel, Baltimore 1967 (1956), S. 3-306. [[2]]

[3] Siebert, Italiens Weg, S. 166; Toscano, Pact of Steel, S. 264. [[3]]

[4] Memorandum Mussolini, abgedruckt in: Toscano, Pact of Steel, S. 289-91. [[4]]

[7] Ciano, Diario, S. 20 – 23.12.1943 (Gefängnis von Verona). [[7]]

[8] Renzo De Felice, Mussolini il duce. Lo Stato totalitario, 1936-1940, Bd. II, Turin 1981, S. 624 f.; Siebert, Italiens Weg, S. 172 f. [[8]]

[9] Das amtliche Kommuniqué über die Mailänder Zusammenkunft findet sich in: ADAP, D, VI, Dok. 341, S. 374 FN 10. [[9]]

[10] Siebert, Italiens Weg, S. 177. [[10]]

[11] Abgedruckt in: Toscano, Pact of Steel, S. 342-345; vgl.: ADAP, D, VI, Dok. 371, S. 397-399 – 12.5.1939, Aufzeichnung Gaus, Leiter der Rechtsabteilung. [[11]]

[12] Vgl.: Toscano, Pact of Steel, S. 334-363; Siebert, Italiens Weg, S. 178-184. [[12]]

[13] Ciano, Diario, S. 298 – 17.5.1939. [[13]]

[14] Petersen, Stunde der Entscheidung, S. 132 f. [[14]]

[15] ADAP, D, VI., Dok. 433, S. 479 u. S. 482 – 23.5.1939, Besprechungsprotokoll Schmundt; Enno von Rintelen, Mussolini als Bundesgenosse. Erinnerungen des deutschen Militärattachés in Rom 1936-1943, Tübingen/Stuttgart 1951, S. 65. [[15]]

[16] Vgl.: DDI, 8, XII, Doc. 367, S. 291 – 26.6.1939, Doc. 598, S. 449 – 17.7.1939 u. Doc. 649, S. 487 – 22.7.1939, jeweils Attolico an Ciano; Ebd., Doc. 750, S. 566-68 – 2.8.1939, Roatta an Carboni; Ciano, Diario, S. 320 – 19.-21.7.1939. [[16]]

[17] DDI, 8, XIII, Doc. 4, S. 7 – 12.8.1939, Aufzeichnung Ciano. Im deutschen Protokoll fehlt der Passus, der die Italiener von der Bündnispflicht entband, interessanterweise (ADAP, D, VII, Dok. 43, S. 32-40 – 12.8.1939, Aufzeichnung Schmidt), die Notizen des Staatssekretär Ernst von Weizsäcker aber bestätigen, dass die Worte gefallen sind (Die Weizsäcker-Papiere 1933-1950, hrsg. v. Leonidas Hill, Frankfurt a.M./Berlin/Wien 1974, S. 158 – 14.8.1939). [[17]]

[18] DDI, 8, XIII, Doc. 28, S. 23 – 14.8.1939, Anfuso an Ciano. [[18]]

[19] Ettore Anchieri, „Der deutsche Bündnisverrat an Italien. Zur Aktenpublikation des römischen Außenministeriums (II)“, in: Außenpolitik V.9/1954, S. 592. [[19]]

[20] DDI, 8, XIII, Doc. 36, S. 26-29 – 14.8.1939, Attolico an Ciano. [[20]]

[21] Ciano, Diario, S. 328 – 15.8.1939; DDI, 9, I, Doc. 20, S. 11 – 4.9.1939, Attolico an Ciano; vgl.: Siebert, Italiens Weg, S. 288-313; zum Hitler-Stalin-Pakt: Ingeborg Fleischhauer, Der Pakt. Hitler, Stalin und die Initiative der deutschen Diplomatie 1938-1939, Berlin/Frankfurt a.M. 1990. [[21]]

[22] Wie der britische Botschafter bereits anlässlich der Unterzeichnung notierte, vgl.: DBFP, 3, V, Dok. 598, S. 655 – 23.5.1939, Percy Loraine, Rom, an Viscount Halifax. [[22]]

[23] Wolfgang Schieder, „Das faschistische Italien“, in: Der nationalsozialistische Krieg, hrsg.v. Norbert Frei/Hermann Kling, Frankfurt a.M./New York 1990, S. 49-51. [[23]]

[24] ADAP, D, VII, Dok. 301, S. 258 – 26.8.1939, Mussolini an Hitler; Ebd., Dok. 307, S. 262 f. – 26.8.1939, Hitler an Mussolini. Eine Liste, die „einen Stier umbringen würde, wenn er lesen könnte.“, notierte der italienische Außenminister (Ciano, Diario, S. 334 – 26.8.1939). Vgl.: Siebert, Italiens Weg, S. 304-307; Ettore Anchieri, „Italiens Ausweichen vor dem Krieg. Zur Aktenpublikation des römischen Außenministeriums (III)“, in: Außenpolitik V.10/1954, S. 653-662. [[24]]

[25] Enzo Collotti, „L’Italia dall’intervento alla ‚guerra parallela‘“, in: L’Italia nella seconda guerra mondiale e nella Resistenza, hrsg. v. Francesca Ferratini Tosi/Gaetano Grassi/Massimo Legnani, Mailand 1988, S. 21-30; Siebert, Italiens Weg, S. 353-55. [[25]]