Hugo Conwentz, Die Gefährdung der Naturdenkmäler und Vorschläge zu ihrer Erhaltung. Denkschrift, dem Herrn Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten überreicht, Berlin 1904

Einleitung

Die Begründungen und Argumente, die Conwentz zur Erhaltung der Natur anführte und sein Programm für die Naturerhaltung waren im Vergleich zum heutigen Verständnis des Natur- und Umweltschutzes recht eng. Es ging dem Biologen und Museumsmann zunächst weder um die ästhetischen Dimensionen von Natur und Landschaft, die zum Beispiel bereits 1836 zum Schutz des Drachenfels im Siebengebirge gegen Nutzungsinteressen von Steinhauern geführt hatten. Er berief sich auch nicht auf das Recht auf soziale Teilhabe an Natur zu Zwecken der Rekreation, wie dies etwa 1898 Wilhelm Wetekamp vor dem preußischen Abgeordnetenhaus gefordert hatte. Dem umfassenden Heimatschutz, der eine vertraute Welt aus Natur, Geschichte und Tradition gegen die Veränderungen der Industriemoderne verteidigen wollte und sich 1904 auf Initiative von Ernst Rudorff zum "Bund Heimatschutz" zusammenschloß, stand Conwentz distanziert gegenüber. Es ging ihm auch nicht um eine ethische Verantwortung des Menschen gegenüber seinen natürlichen Lebensgrundlagen oder um ein ökologisches Verständnis von Natur, sondern anfänglich nur um das Sammeln und Bewahren von biologisch definierten Reliktnaturen und Memorialinseln vergangener Naturzustände - eben um "Naturdenkmale": "Obschon hiernach eigentlich nur jungfräuliche Gelände, sowie Pflanzen und Tiere, die ohne Mitwirkung des Menschen an ihren Standort gelangten, als Naturdenkmäler angesehen werden sollen, wird der Begriff derselben hier und dort etwas erweitert werden müssen, da völlig unberührte Landschaften, bei uns wie in anderen Kulturstaaten, kaum noch bestehen." (Conwentz 1904, S. 6)

Damit kann Conwentz also weniger als umfassender Natur- oder gar Umweltschützer verstanden werden. Es ging in dieser Phase der Naturschutzgeschichte nicht um Fragen, wie etwa die Beziehungen zwischen Ökonomie und Ökologie angemessen organisiert werden könnten. Der frühe Naturschutz beschäftigte sich auch kaum oder nur am Rande mit modernen Umweltbelastungen wie der industriellen Verunreinigung von Gewässern, Hygieneproblemen in Großstädten oder Emissionsbelastungen durch die Industrie. Es ging ihm primär um die Rettung jener vorgefundenen Natur, über die sich die Industrialisierung nun rücksichtslos hinwegzusetzen schien. Die Natur, welche Conwentz als bewahrenswert klassifizierte, war eine Natur aus Raritäten und Relikten, die als Repräsentanten quasi nach einem Arche-Noah-Prinzip erhalten werden sollten: einzelne Tier- und Pflanzenarten, überschaubare Lebensräume wie Moore, bemerkenswerte Einzelbäume oder geologische Besonderheiten wie Findlinge. Es ging Conwentz weniger um eine Ablehnung oder Korrektur der Industrialisierungsfolgen, sondern eher um eine Kompensation: "Es ist keine Frage, daß die Industrie nicht um einen Schritt zurückgedrängt werden soll, um wissenschaftliche Denkwürdigkeiten und Schönheiten der Natur zu bewahren. Wenn aber die Industrie den Weg fand, so gross zu werden, muss sie auch Mittel erfinden, allzu nachteilige Einwirkungen von der umgebenden Natur fernzuhalten." (Conwentz 1904, S. 72)

Seine defensive Haltung mochte zwar gegenüber den Dimensionen moderner Naturzerstörungen unangemessen erscheinen. Andererseits führte die politische Zurückhaltung von Conwentz dazu, daß in Staat und Gesellschaft die Frage nach der Natur rasch als Frage des Allgemeinwohls etabliert werden konnte. Naturschutz wurde als gesellschaftliche Frage einerseits aufgewertet, gleichzeitig aber klein gehalten. Die eng geführten Begründungszusammenhänge führten indes bald zur Erkenntnis, daß eine solche Naturdenkmalpflege angesichts des Destruktionspotentials moderner Zivilisationen und der Dimensionen der Naturzerstörung in Industriegesellschaften ungenügend bleiben müsse. Kritik am "conwentzionellen" Naturschutz, der nichts anderes sei als "Pritzelkram" (Hermann Löns), kam bald von zahlreichen Naturschutzvereinen.

Dies führte rasch zur Erweiterung von Naturschutzbegründungen und Handlungskonzepten. Es ging bald nicht mehr nur um einzelne "Naturdenkmale", sondern um Naturschutzgebiete und Naturparks und noch vor dem Ersten Weltkrieg um Versuche der internationalen Koordinierung auf einer ersten Weltnaturschutzkonferenz in der Schweiz 1913 (Sarasin 1914). Naturschutz erwies sich dabei nicht als homogene Bewegung, sondern als ein Gesamt aus heterogenen Strömungen, die alle das Anliegen der Naturerhaltung vereinte: Heimatschutz, Vogelschutz, Wander- und Tourismusvereine, naturkundliche Vereine, Flügel der Reformbewegungen und viele andere mehr.

Bald nach der Veröffentlichung seiner Denkschrift avancierte Hugo Conwentz 1906 zum ersten Leiter der "Staatliche Stelle für Naturdenkmalpflege in Preußen". In der Grauzone zwischen staatlicher Verwaltung und Gesellschaft baute er in kürzester Zeit ein dichtes Netz aus ehrenamtlichen Kommissionen und beratenden Gremien auf. Die gesellschaftliche Lage des Naturschutzes zwischen dem Kaiserreich und dem Aufbruch der ökologischen Bewegungen um 1970 war dadurch gekennzeichnet, daß er zwar einerseits quer durch alle politischen Lager als gesellschaftliche Aufgabe betrachtet wurde. Andererseits blieben seine rechtlichen Einflußmöglichkeiten und seine finanziellen Ressourcen beschränkt. Conwentz verortete den Naturschutz zwischen Staat und Gemeinwesen. Es gelang nicht, die staatlichen Institutionen mit rechtlichem Einfluß und finanziellen Möglichkeiten auszustatten - ein Erbe, das den staatlichen Naturschutz bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts prägen sollte.

1919 wurde in Artikel 150 der Weimarer Verfassung der Schutz von Natur und Landschaft explizit als Pflicht staatlicher Fürsorge und als Angelegenheit des Allgemeinwohls anerkannt: "Die Denkmäler der Kunst, der Geschichte und der Natur sowie die Landschaft genießen den Schutz und die Pflege des Staates." Nach dem Tod von Conwentz 1922 übernahm Walther Schoenichen die Leitung der "Staatlichen Stelle". Verknüpfte Conwentz das Selbstverständnis des Naturschutzes strikt mit naturwissenschaftlichen Überlegungen, repräsentierte sein Nachfolger den völkischen Flügel des Naturschutzes, der in der Erhaltung einer intakten Natur zuvorderst die Voraussetzungen eines "gesunden" Volkstums wähnte.

Auf einzelnen Handlungsfeldern des Naturschutzes hatte es bereits seit dem Kaiserreich verbindliche rechtliche Rahmenbedingungen gegeben, so durch das Reichsvogelschutzgesetz von 1888 oder durch Denkmal- und Landschaftsschutzgesetze in mehreren deutschen Einzelstaaten seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Forderung nach verbindlichen rechtlichen Grundlagen für den gesamten Naturschutz wurde indes lange erfolglos erhoben. Erst 1935 schuf das von Hermann Göring handstreichartig durchgesetzte Reichsnaturschutzgesetz verbindliche Rechtsgrundlagen. Gleichzeitig wurde die "Staatliche Stelle für Naturdenkmalpflege in Preußen" umgewandelt in die "Reichsstelle für Naturschutz". Der Naturschutz im Nationalsozialismus war geprägt von der Ambivalenz aus ideologischer Aufwertung einerseits und faktischem Bedeutungsverlust anderseits (Radkau, Uekötter 2003). Er paßte zunächst in die Blut- und Boden-Mystik und fungierte als ein Element der ideologischen Herrschaftssicherung des Nationalsozialismus. Angesichts der Modernisierungsschübe durch Autarkie- und Großraumpolitik, Rationalisierung von Land- und Forstwirtschaft und massiv intensivierter Ressourcennutzung blieb das Anliegen der Naturbewahrung trotz aller völkischer Aufladungen allerdings de facto vernachlässigenswert.

Das Reichsnaturschutzgesetz hatte nach 1945 in der BRD als Landesrecht weiterhin Bestand. In der BRD auf dem Wege in die Konsumgesellschaft und in der DDR aufgrund des massiven Zwangs zur intensiven Ressourcennutzung spielten Naturschutzfragen in der Nachkriegszeit keine nennenswerte Rolle. In der BRD fiel das "Europäische Naturschutzjahr 1970" in eine Phase wachsenden Unbehagens gegenüber den Folgen der Industriegesellschaft mit ihrer Planungs- und Machbarkeitseuphorie. Die ökologische Wende der 1970er Jahre mit den wachsenden Protesten gegen Großtechnologie und Naturausbeutung (Luftverschmutzung, Atomkraftwerke, Waldsterben etc.), führte mittelbar zur Gründung der ökologisch orientierten Partei der Grünen, nachdem Natur und Umwelt bereits seit 1970 in der sozial-liberale Koalition unter Willy Brandt zu einem prominenten Politikfeld geworden waren. Die umweltpolitische Wende zog nicht zuletzt eine Zusammenführung der bislang stets getrennten Handlungsfelder von Natur- und Umweltschutz nach sich. Bis dato hatte der retrospektiv orientierte Naturschutz sich vor allem der Erhaltung vormoderner Kulturlandschaften, seltenen Lebensräumen und bedrohten Tier- und Pflanzenarten gewidmet, während Hygiene und Umweltschutz sich auf solche Belastungen konzentrierten, die das menschliche Leben in wissenschaftlich-technischen Zivilisationen betrafen.

Friedmann Schmoll