Gründung der "Arbeitsgemeinschaft der industriellen und gewerblichen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Deutschlands" ["Zentralarbeitsgemeinschaft"], 15. November 1918

Einleitung

Die "Arbeitsgemeinschaft der industriellen und gewerblichen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Deutschlands" war ein Kind des Ersten Weltkrieges. Im Verlauf des Krieges hatte der Staat, beraten durch die Verbände, zunehmend lenkend in die Wirtschaft eingegriffen. In den Augen der von einem hegelianischen Staatsverständnis geprägten Zeitgenossen hatte diese staatliche Wirtschaftslenkung, die sich auf die Beratung durch den Sachverstand der Verbände stützte, für eine bessere Güterdistribution gesorgt als die liberale Wirtschaftsordnung. Der Staats- bzw. Kriegssozialismus, meinten vielen Zeitgenossen, hatte mehr Gerechtigkeit in der Wirtschaft geschaffen. Denn der mit den Verbänden kooperierende Staat schien, so lange er den Sachverstand der Verbände berücksichtigte, mehr Effektivität und Gemeinwohlorientierung zu gewährleisten als der "Laissez-faire-Kapitalismus", den man für überwunden und nicht dem deutschen Wesen gemäß hielt.

Eine entscheidende Bedeutung wurde dem Burgfrieden zugeschrieben, der als Überwindung des als ungerecht empfundenen und Konflikte erzeugenden Wirtschaftsliberalismus wahrgenommen wurde. In ihm, so waren viele Zeitgenossen überzeugt, war die Befriedung der sozialen Frage gelungen, die ihre Lösung in der harmonischen Volksgemeinschaft gefunden zu haben schien. Die so entstandene Klassenharmonie wollten die Initiatoren weiter institutionalisieren, um so den in der Wahrnehmung der Zeitgenossen ständig schwelenden Konfliktherd zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, der als Gefahr für die Integration der Gesellschaft galt, durch konsensuale Aushandlungen endgültig stillzulegen. Man meinte einen "dritten (deutschen) Weg" zwischen Liberalismus und Bolschewismus gefunden zu haben. Der Zentralarbeitsgemeinschaft sollte als Wirtschaftsparlament dabei entscheidende Bedeutung zukommen, um die in der Wirtschafts- oder Tarifpolitik anstehenden Fragen mit Sachverstand und Rationalität einvernehmlich zu lösen. Sie sollte dem Staat, der in der Weimarer Republik ebenso wie im Kaiserreich in der Regel mit der Regierung gleichgesetzt wurde, den richtigen Weg weisen.

Legitimation sollte dieses Gremium neben dem Sachverstand seiner Mitglieder vor allem durch seine Repräsentativität erlangen, soweit der grundsätzliche Konsens unter den Zeitgenossen. Doch darüber, wie dieses Wirtschaftsparlament konkret aussehen sollte, welche Befugnisse und Aufgaben es erhalten sollte und wie sein Verhältnis zum Parlamentarismus zu definieren sein würde, hätten die Auffassungen unterschiedlicher nicht sein können. Denn während die einen das Konzept einer zweiten Kammer neben dem Parlament bevorzugten, plädierten andere für ein beratendes Gremium in Wirtschaftsfragen, während wieder andere ein reines Rätesystem favorisierten. Auch die Definitionen des konkreten "dritten Weges" waren beinahe so zahlreich wie die Diskussionsteilnehmer, so daß die Gründung der Zentralarbeitsgemeinschaft bei scheinbar grundsätzlicher Übereinstimmung mit höchst unterschiedlichen Vorstellungen darüber, wie Wirtschaftsparlament oder dritter Weg zu definieren und zu verwirklichen sein sollten, vorangetrieben wurde.

Die Gewerkschaften hatten im Rahmen ihrer Burgfriedenspolitik die Arbeitgeber bereits 1914 aufgefordert, mit ihnen zusammen Arbeitsgemeinschaften zu bilden, um gemeinsam die sich aus dem Krieg ergebenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu bearbeiten. Es kam zur Gründung von ein paar wenigen Kriegsarbeitsgemeinschaften, aber die Schwerindustrie und die Vereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände lehnten zu diesem Zeitpunkt eine Kooperation mit den Gewerkschaften noch grundsätzlich ab. Erst das Vaterländische Hilfsdienstgesetz führte unter staatlichem Zwang zu einer regelmäßigen Zusammenarbeit von Gewerkschaften und Unternehmern. In Schlichtungskommissionen und paritätisch besetzten Ausschüssen bei den zahlreichen neu gegründeten Verwaltungsstellen in der Kriegswirtschaft ergaben sich zwangsläufig zunehmend Kooperationen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern.

Zu Gesprächen über eine darüber hinausgehende Zusammenarbeit kam es erst im Frühjahr 1917 auf Initiative des im Kriegsernährungsamt arbeitenden Dr. August Müller und des Berliner Staatswissenschaftlers Professor Hermann Schumacher. Beide waren Mitglieder der "Deutschen Gesellschaft von 1914", die 1915 mit der Zielsetzung gegründet worden war, den bei Kriegsbeginn entstandenen Geist des Burgfriedens zu konservieren, um einen Ausgleich zwischen den Parteien und allen gesellschaftlichen Gruppierungen des Deutschen Reiches herbeizuführen. In diesem Sinne wurden Müller und Schumacher aktiv. Müller, der gute Kontakte zur Generalkommission des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes hatte, und Schumacher, der mit einigen bedeutenden Wirtschaftsführern in Verbindung stand, vermittelten Gespräche zwischen Gewerkschaften und Unternehmervertretern, so daß im August 1917 die Bergbauindustriellen Alfred Hugenberg, Emil Kirdorf, Hugo Stinnes und Friedrich Carl Winkhaus mit den Gewerkschaftsführern Gustav Bauer, Theodor Leipart, Alexander Schlicke und Robert Schmidtzusammentrafen, um in dieser und folgenden Gesprächsrunden über die aktuelle Kriegslage, die beiderseitigen Vorstellungen über eine Übergangswirtschaft sowie einzelne sozialpolitische Fragen zu sprechen. Im Winter 1917/18 fand eine zweite Besprechung statt, an der auch Albert Vögler und Carl Legienteilnahmen. Die Verhandlungen, in denen Stinnes die Gewerkschafter im Tausch für eine Anerkennung ihrer Organisation durch die Arbeitgeber zur Unterstützung seiner annexionistischen Kriegsziele zu überzeugen suchte, blieben aber ohne Folgen. Erst der Druck des sich immer deutlicher abzeichnenden Kriegsendes und der damit verbundenen ungelösten Demobilmachungsfragen änderten das.

Im Juli 1918 unternahm Hans von Raumereinen Vorstoß, weil er davon ausging, daß mit Kriegsende chaotische Zustände und große soziale Spannungen zu erwarten sein würden. Wie viele seiner Zeitgenossen fürchtete er, das Kriegsende und die damit verbundene Schwächung des Staates würden Chaos und Anarchie bringen. Die vollständige Desintegration der deutschen Gesellschaft schien vor der Tür zu stehen, wenn es nicht gelänge, die sozialen Konflikte mit Hilfe der Gewerkschaften unter Kontrolle zu halten. Deshalb bat er August Müller, noch einmal ein Treffen mit den Gewerkschaftsführern zu vermitteln, das dann aber erst am 2. Oktober 1918 stattfand. Zum ersten Mal wurden nun konkrete Fragen angesprochen, und man einigte sich auf Grundlagen für eine weitere paritätische Zusammenarbeit. Am 22. Oktober wurden die Gespräche fortgesetzt. Die Gewerkschaften forderten ihre Anerkennung als Vertretung der Arbeiterschaft, ein uneingeschränktes Koalitionsrecht, paritätisch verwaltete Arbeitsnachweise und die Einsetzung paritätischer Schlichtungsinstanzen sowie den Abschluß von Tarifverträgen in allen Industriezweigen. Außerdem bestanden sie darauf, daß die Unternehmer die Unterstützung der sogenannten gelben (wirtschaftsfriedlichen) Gewerkschaftenunterlassen sollten. Im Vordergrund stand aber die Frage, wie man die Demobilmachungbewerkstelligen sollte. Man war sich einig, daß diese Aufgabe nur durch eine zentrale Regelung auf paritätischer Grundlage zu bewältigen sein würde. Deshalb trat man gemeinsam für die Schaffung eines Demobilmachungsamtes mit quasi-diktatorischen Vollmachten ein, das von einem paritätisch mit Arbeitnehmern und Arbeitgebern besetzten Gremium in seinen Entscheidungen beraten werden sollte. Am 12. November 1918 wurde dieses Amt als Reichsamt für wirtschaftliche Demobilmachung geschaffen. Die Gründung des paritätisch besetzten Gremiums erfolgte als "Arbeitsgemeinschaft der industriellen und gewerblichen Arbeitgeber und Arbeitnehmer" drei Tage später.

Noch vor dem 9. November war es zur Einigung über die Anerkennung der Gewerkschaften als Vertreter der Arbeiter, des uneingeschränkten Koalitionsrechts, paritätischer Arbeitsnachweise und Schlichtungsinstanzen sowie die Anerkennung von Tarifverträgen gekommen. Umstritten blieben vor allem die Regelung der Arbeitszeit und die Frage, ob die wirtschaftsfriedlichen gelben Gewerkschaften an den Verhandlungen der Arbeitsgemeinschaft beteiligt werden sollten. An der Frage wären die Verhandlungen beinahe gescheitert, weil die Vertreter der drei großen Gewerkschaftsrichtungen nicht bereit waren, die "Gelben" anzuerkennen oder mit ihnen zusammenzuarbeiten, während die Arbeitgeber die Preisgabe der gelben Gewerkschaften ablehnten. Den Ausweg aus dieser Sackgasse eröffnete Carl Legien am 2. November, indem er vorschlug, über die Teilnahme der wirtschaftsfriedlichen gelben Verbände zu verhandeln, wenn sie ohne Unterstützung der Arbeitgeber in sechs Monaten noch bestehen würden. Der Hintergrund für dieses Angebot war die Überzeugung auf Gewerkschaftsseite, daß die "Gelben" ohne Finanzhilfe der Unternehmer sich nicht behaupten können würden. Auf diesen Vorschlag konnte man sich einigen, denn er ermöglichte beiden Seiten weiter zu verhandeln, ohne wichtige Interessen zu verraten. Am 7. November wurden Theodor Leipart und Hans von Raumer mit der Ausarbeitung eines Satzungsentwurfs der künftigen Arbeitsgemeinschaft beauftragt. Die Verhandlungen waren also schon weit fortgeschritten, als sie von der politischen Entwicklung überholt wurden. Als Leipart und von Raumer am 9. November zusammentrafen, mußten sie erkennen, daß angesichts der Revolutionan eine Fortsetzung der Verhandlungen vorerst nicht zu denken war. Statt dessen formulierte Theodor Leipart am 10. November Forderungen der Gewerkschaften, an deren Erfüllung die weitere Mitarbeit an der Gründung einer Arbeitsgemeinschaft gekoppelt werden sollten. Der Forderungskatalog wurde den Unternehmern am 11. November, als die Verhandlungspartner wieder zusammentrafen, vorgelegt. Die Punkte, um die es ging, waren vor allem die Preisgabe der "Gelben", der sofortige Abschluß von Tarifverträgen in allen Berufen und Industrien sowie die Einführung des Achtstundentags. Nach zwei weiteren Verhandlungstagen konnte dann am 12. November eine Einigung über die Bildung eines Zentralausschusses und das in 12 Punkte gegliederte Abkommen erzielt werden. Am 15. November 1918 wurde es von den Vertretern der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände unterzeichnet und veröffentlicht. Die Unternehmer erkannten die Gewerkschaften als berufene Vertretung der Arbeiterschaft an (Punkt 1), bestätigten die Koalitionsfreiheit (Punkt 2) und verzichteten auf die Unterstützung der gelben Gewerkschaften (Punkt 3). Für die entlassenen Soldaten fand der Anspruch auf Wiedereinstellung Eingang in die Vereinbarung (Punkt 4). Außerdem wurden die paritätische Verwaltung des Arbeitsnachweises (Punkt 5), der Abschluß kollektiver Tarifverträge (Punkt 6), die Einrichtung von Arbeiterausschüssen (Punkt 7) und Schlichtungsstellen bzw. Einigungsämtern (Punkt 8) sowie der Achtstundentag (Punkt 9) beschlossen. Organisatorisch einigten sich die Vertragspartner auf die Gründung eines Zentralausschusses mit beruflich und fachlich gegliedertem Unterbau auf paritätischer Grundlage, dessen Aufgabe es sein sollte, die Durchführung dieser Vereinbarungen sowie Maßnahmen zur Regelung der Demobilmachung, der Aufrechterhaltung des Wirtschaftslebens und zur Sicherung der Existenz der Arbeitnehmerschaft zu koordinieren (Punkte 10-11). Als am 15. November 1918 die Unterschriften aller Beteiligten vorlagen, wurde das Abkommen zur Mitunterzeichnung und Veröffentlichung an den Rat der Volksbeauftragten weitergeleitet und die Zentralarbeitsgemeinschaft nahm ihre Arbeit auf.

Für die Arbeit und den Aufbau der Zentralarbeitsgemeinschaft sowie ihrer Untergliederungen spielte die Frage von Konkurrenzgründungen von Anfang an eine wichtige Rolle. Bei der Vielzahl korporativer Konzepteauf der politischen Agenda war es für die weitere Arbeit der Zentralarbeitsgemeinschaft entscheidend, welche Form des Wirtschaftsparlamentes sich im politischen Prozeß durchsetzen und ob bzw. wie die Arbeitsgemeinschaft sich dort wiederfinden würde. Da sich die gesamte politische Öffentlichkeit grundsätzlich einig war, daß die deutsche Wirtschaft korporativ neu geordnet werden sollte, kreiste der politische Streit vor allem um die Frage, ob es nur ein makrokorporatistisches Wirtschaftsparlament geben solle, oder ob auch die Errichtung von Bezirks- bzw. Branchen- und Betriebsparlamenten erforderlich sei, um die Wirtschaft demokratisch, was damals mit paritätisch gleichgesetzt wurde, zu organisieren. Die Arbeitsgemeinschaft selbst war mit dem Anspruch angetreten, alle drei Ebenen mit ihren Organen zu durchziehen. Da ihre Durchbildung aber mehr Zeit in Anspruch nahm, als erwartet, wurde sie immer wieder von Konkurrenzgründungen bedroht. Insbesondere der in vielen Punkten verschränkte Diskurs über die Errichtung von Arbeitskammern bzw. Betriebsräten sowie über die Schaffung eines Reichswirtschaftsrates wurde von der Arbeitsgemeinschaft als existentiell bedrohlich wahrgenommen. Sich selbst zunächst als Wirtschaftsparlament reklamierend, führte der Diskurs über die Repräsentativitätsmaßstäbe, die für ein Wirtschaftsparlament gelten sollten, schnell dazu, die Arbeitsgemeinschaft zum Industrieparlament zu deklassieren. Man war sich weitgehend einig, daß die Arbeitsgemeinschaft zwar eine wichtige Institution sei, aber für eine korporative Organisation der gesamten Wirtschaft keineswegs ausreiche, weshalb ein Wirtschaftsrat geschaffen werden sollte, in dem alle Vertreter der Wirtschaft Berücksichtigung finden sollten. Als schließlich der vorläufige Reichswirtschaftrat gegründet wurde, der später in den wieder deutlicher hervortretenden Interessengegensätzen aufgerieben wurde, verlor die Arbeitsgemeinschaft an Bedeutung, zumal das fehlende Bekenntnis der Unternehmer zum Generalstreik während des Kapp-Putschesdas für die Kooperation so dringend notwendige Vertrauen der Verhandlungspartner zueinander erodieren ließ. Es kam zu Austritten und zur Auflösung von Branchenarbeitsgemeinschaften, so daß die Zentralarbeitsgemeinschaft, als der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund 1924 seinen Austritt erklärte schon nur noch ein "Scheindasein" führte. Das bedeutete aber nicht, daß die Idee einer korporativen Kooperation diskreditiert gewesen wäre. Im Gegenteil wurden immer wieder Vorstöße unternommen, die Zusammenarbeit wiederzubeleben, so daß die Zentralarbeitsgemeinschaft mit Fug und Recht als Vorläufer der Sozialpartnerschaftund Teil der deutschen Tradition einer korporativen Marktwirtschaft bezeichnet werden kann.

Andrea Rehling