Dekret des Allrußländischen Zentralen Exekutivkomitees der Sowjets der Arbeiter-, Soldaten-, Bauern- und Kosakendeputierten über die außerordentlichen Vollmachten des Volkskommissars für das Versorgungswesen ["Über die Einführung der Versorgungsdiktatur"], 13. Mai 1918

Dekret des Allrußländischen Zentralen Exekutivkomitees der Sowjets der Arbeiter-, Soldaten-, Bauern- und Kosakendeputierten

Der unheilvolle Zerfallsprozeß in der Versorgung des Landes, eine schwere Folge des vierjährigen Krieges, setzt sich immer weiter fort, weitet sich aus, spitzt sich zu. Zu einer Zeit, da die getreideverbrauchenden Gouvernements hungern, gibt es in den getreideproduzierenden Gouvernements gegenwärtig wie eh und je große Vorräte, sogar an noch nicht gedroschenem Getreide der Ernten 1916 und 1917. Dieses Getreide befindet sich in den Händen der GlossarDorfkulaken und Reichen, in den Händen der Dorfbourgeoisie. Satt und wohlgenährt, mit riesigen Geldmengen, die sie in den Kriegsjahren verdient haben, bleibt die Dorfbourgeoisie vollkommen taub und gleichgültig gegenüber dem Stöhnen der hungernden Arbeiter und der armen Bauern, führt kein Getreide an die Sammelstellen ab, um den Staat zu immer höheren Getreidepreisen zu zwingen, und verkauft zur gleichen Zeit vor Ort Getreide zu Wucherpreisen an Getreidespekulanten und -schieber, die Sackträger.

Der Starrköpfigkeit der habsüchtigen Dorfkulaken und -reichen muß ein Ende gemacht werden. Die Versorgungspraxis der zurückliegenden Jahre hat gezeigt, daß ein Abweichen von den Getreidefestpreisen und eine Aufgabe des Getreidemonopols dem Haufen unserer Kapitalisten das üppige Leben erleichtert, Getreide für die Millionenmassen der Werktätigen aber unerreichbar machen würde und sie dem unvermeidlichen Hungertod preisgäbe.

Auf die Unterdrückung der hungernden Armenschichten durch die Getreidebesitzer ist mit einer Unterdrückung der Bourgeoisie zu antworten.

Kein einziges GlossarPud an Getreide darf in den Händen der Getreidehalter bleiben, mit Ausnahme der Menge, die sie für die Aussaat und für die Versorgung ihrer Familien bis zur neuen Ernte brauchen.

Und das muß unverzüglich verwirklicht werden, da wir insbesondere nach der Besetzung der Ukraine durch die Deutschen gezwungen sind, uns mit Getreidevorräten zu begnügen, die gerade noch für die Aussaat und für gekürzte Versorgungsrationen ausreichen.

Das GlossarAllrußländische Zentrale Exekutivkomitee besprach die entstandene Lage und verordnete, angesichts der Tatsache, daß Rußland nur bei strengster Buchführung und gleichmäßiger Verteilung aller Getreidevorräte einen Ausweg aus der Versorgungskrise findet:

  • 1. Die Unerschütterlichkeit des Getreidemonopols und der Festpreise wird bekräftigt, ebenso die Notwendigkeit eines bedingungslosen Kampfes gegen Spekulantenschieber; gleichzeitig wird jeder Getreidebesitzer verpflichtet, alle Überschüsse – über das hinaus, was für die Aussaat und den persönlichen Konsum entsprechend den festgesetzten Normen bis zur neuen Ernte unverzichtbar ist – innerhalb von Wochenfrist nach Veröffentlichung dieser Verordnung in jedem Amtsbezirk zur Ablieferung zu melden. Das Verfahren für diese Meldungen wird vom GlossarVolkskommissariat für Versorgungswesen, vertreten durch die lokalen Versorgungsorgane, festgelegt.
  • 2. Alle Werktätigen und nicht vermögenden Bauern sind aufgerufen, sich rasch zum bedingungslosen Kampf gegen die GlossarKulaken zusammenzuschließen.
  • 3. Alle, die Getreideüberschüsse haben, und sie nicht zu den Sammelstellen bringen, sowie diejenigen, die Getreidevorräte für Schwarzbrennereien verschwenden, sind zu Volksfeinden zu erklären, dem revolutionären Gericht zu übergeben und mindestens 10 Jahre ins Gefängnis zu sperren; ihr ganzes Vermögen ist zu konfiszieren, sie sind für immer aus der Dorfgemeinde auszuschließen: Schwarzbrenner sind darüber hinaus zu öffentlichen Zwangsarbeiten zu verurteilen.
  • 4. Im Falle, daß bei irgend jemandem Getreideüberschüsse, die nicht gemäß Punkt l zur Ablieferung gemeldet sind, entdeckt werden, wird ihm das Getreide entschädigungslos weggenommen; der Wert (nach Festpreisen) der nicht deklarierten Überschüsse wird, nach Abschluß ihrer Überführung zu den Sammelstellen, zur Hälfte der Person ausgezahlt, die den Hinweis auf die versteckten Überschüsse gab, zur anderen Hälfte aber der Dorfgemeinde. Anzeigen über versteckte Überschüsse werden bei den örtlichen Versorgungsorganisationen gemacht.

Da der Kampf mit der Versorgungskrise rasche und entschiedene Maßnahmen erfordert, und eine effektivere Durchführung dieser Maßnahmen logischerweise die Zentralisierung aller die Versorgung betreffenden Anordnungen in einer Institution – nämlich dem Volkskommissariat für Versorgungswesen – verlangt, verleiht das Allrußländische Zentrale Exekutivkomitee dem Volkskommissar für Versorgungswesen für den erfolgreichen Kampf mit der Versorgungskrise folgende Vollmachten:

  • 1. zwingende Verordnungen in Versorgungsfragen herauszugeben, die die üblichen Kompetenzen des Volkskommissariats für Versorgungswesen überschreiten;
  • 2. Verordnungen der lokalen Versorgungsorgane und anderer Organisationen und Einrichtungen aufzuheben, wenn sie den Plänen und Aktivitäten des Volkskommissars zuwiderlaufen;
  • 3. von den Einrichtungen und Organisationen aller Behörden die widerspruchslose und unverzügliche Erfüllung der Anordnungen des Volkskommissars in Verbindung mit Versorgungsfragen zu verlangen;
  • 4. im Falle offenen Widerstandes gegen die Beschlagnahmung von Getreide oder anderen Lebensmitteln die bewaffnete Macht einzusetzen;
  • 5. die Versorgungsorgane vor Ort aufzulösen oder zu reorganisieren, für den Fall, daß sie den Anordnungen des Volkskommissars zuwiderhandeln;
  • 6. Amtspersonen und Angestellte aller Behörden und gesellschaftlichen Organisationen zu entlassen, auszutauschen, dem revolutionären Gericht zu übergeben oder sie verhaften zu lassen, falls sie sich – desorganisierend – in die Anordnungen des Volkskommissars einmischen;
  • 7. die vorliegenden Vollmachten (außer das Recht der Verhaftung, Punkt 6) anderen Personen und Einrichtungen vor Ort mit Zustimmung des GlossarRates der Volkskommissare zu übertragen;
  • 8. alle Maßnahmen des Volkskommissars, die von ihrem Wesen her Einrichtungen der Verkehrsverbindungen oder des GlossarObersten Volkswirtschaftsrats betreffen, werden in Absprache mit den entsprechenden Behörden durchgeführt.
  • 9. Verordnungen und Verfügungen des Volkskommissars, die aufgrund der vorliegenden Vollmachten erlassen werden, werden von seinem Kollegium überprüft; dieses hat das Recht der Beschwerde im Rat der Volkskommissare, ohne daß damit die Durchführung vorläufig ausgesetzt würde.

Das vorliegende Dekret tritt am Tage der Unterschrift in Kraft und wird zur Durchführung per Telegraph verbreitet.

Vorsitzender des Allrußländischen Zentralen Exekutivkomitees GlossarJa. Sverdlov

Vorsitzender des Rates der Volkskommissare GlossarV. Ul'janov (Lenin)

Sekretär des Allrußländischen Zentralen Exekutivkomitees GlossarAvanesov

13. Mai 1918

Rev. Übersetzung hier nach: Altrichter H., Haumann, H. (Hg.), Die Sowjetunion. Von der Oktoberrevolution bis zu Stalins Tod, Bd. 2: Wirtschaft und Gesellschaft, München 1987, S. 56-59.