Note der Sowjetregierung an die Regierungen der USA, Großbritanniens und Frankreichs über den Friedensvertrag mit Deutschland, 10. März 1952

Einführung

Als die Sowjetunion ihren diplomatischen Vorstoß unternahm, lag die Aufspaltung Deutschlands in zwei Staaten noch keine drei Jahre zurück. Der Ost-West-Konflikt hatte sich aber durch den Einfall nordkoreanischer Truppen in Südkorea im Juni 1950 stark verschärft. Damit rückte die Frage der Aufstellung westdeutscher Streitkräfte auf die Tagesordnung. Wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Zusammenbruch des NS-Regimes lösten solche Pläne, die international vor allem von den USA vorangetrieben wurden, vielfach Besorgnis und Widerstände aus. In der Bundesrepublik spielte neben der Erinnerung an den Militarismus als einer der Stützen des Dritten Reichs auch die Furcht vor einer Vertiefung der deutschen Spaltung eine Rolle. Solche Bedenken wurden vor allem bei der SPD, den Gewerkschaften und von Teilen der evangelischen Kirche formuliert. GlossarGustav Heinemann, Präses der gesamtdeutschen Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, trat im Herbst 1950 als Bundesinnenminister zurück, als er erfuhr, daß GlossarAdenauer ohne Rücksprache im Kabinett den Westmächten ein Kontingent deutscher Soldaten angeboten hatte. Neben der Abwehr des Kommunismus war für Adenauer das Motiv der schrittweisen Rückgewinnung der staatlichen Souveränität ausschlaggebend. Daß dies aber nicht zu einer Rekonstruktion der labilen Staatenordnung der Zwischenkriegszeit führen konnte und durfte, war allen maßgeblichen Politikern klar. So sollten, analog zum GlossarSchuman-Plan für die gemeinsame Verwaltung der Montanindustrie auch die neuen westdeutschen Streitkräfte in europäische Einheiten eingebunden werden. Damit sollten nicht zuletzt die starken französischen Bedenken gegen westdeutsche Soldaten besänftigt werden, die politisch vor allem von Gaullisten und Kommunisten artikuliert wurden.

Die deutschlandpolitischen Verwerfungen im Westen boten wiederum Anknüpfungspunkte für sowjetische Initiativen. Im November 1950 schlug die Sowjetunion den Westmächten eine Konferenz zur Prüfung der Einhaltung der Bestimmungen des GlossarPotsdamer Abkommens bezüglich der Entmilitarisierung vor. Die daraufhin in Paris einberufene Vorkonferenz schleppte sich drei Monate lang, von Anfang März bis Ende Juni 1951, dahin und blieb ergebnislos. Die Westmächte und die von GlossarAndrej Gromyko vertretene Sowjetunion hatten sich noch nicht einmal auf eine Tagesordnung für die geplante Außenministerkonferenz einigen können. Es folgten im Herbst und Winter 1951 Vorstöße der SED für gesamtdeutsche Wahlen, mit denen die "Deutschen an einen Tisch" geholt werden sollten – eine Initiative, die die DDR mit ihrer Ablehnung der Kontrolle solcher Wahlen durch eine vom Westen initiierte UNO-Kommission dann selbst scheitern ließ. Nach diesen letztlich wenig beeindruckenden Manövern der Statthalter in Berlin meldete sich am 10. März 1952 die östliche Vormacht selbst zu Wort und ging dabei so weit wie nie zuvor. Die sowjetische Note bot Ansatzpunkte für die Auffassung, in die Behandlung der deutschen Frage könne neue Bewegung kommen und die Vereinigung in greif- oder wenigstens sichtbare Nähe rücken.

Ansatzpunkt der Note war das Fehlen eines Friedensvertrags mit Deutschland noch sieben Jahre nach Beendigung des Krieges. Die Sowjetunion erklärte hierbei ihre Unterstützung der Bitte der DDR an die vier Mächte, den Abschluß eines Friedensvertrages zu beschleunigen, was ihr den Anschein einer Fürsprecherin deutscher Interessen im Kreis der Siegermächte geben sollte. Tatsächlich war bereits vorab im Moskauer Außenministerium das Szenario entworfen worden, daß die Sowjetunion auf den Appell der DDR mit einer Note an die Westmächte reagieren würde. Die UdSSR schlug vor, alsbald einen Friedensvertragsentwurf zu erarbeiten und diesen in einer internationalen Konferenz zu behandeln. Zu den Teilnehmern dieser Konferenz sollte auch eine gesamtdeutsche Regierung gehören. Die vier Mächte, so hieß es in der Note, sollten daher "die schleunigste Bildung einer gesamtdeutschen, den Willen des deutschen Volkes ausdrückenden Regierung fördern". Näheres über den Modus dieser Regierungsbildung wurde nicht ausgesagt. Die Sowjetunion fügte ihrer Note bereits einen Entwurf über Grundlagen eines Friedensvertrags mit Deutschland bei, der die eigentliche Substanz des diplomatischen Vorstoßes enthielt. In der Präambel des Entwurfs wurde als Ziel die "Entwicklung Deutschlands als eines einheitlichen, unabhängigen, demokratischen und friedliebenden Staates in Übereinstimmung mit den Potsdamer Beschlüssen" bestimmt. Konkret sollte dies erreicht werden durch die Herstellung der staatlichen Einheit, den Abzug der Besatzungsmächte binnen eines Jahres nach Inkrafttreten des Friedensvertrages, Gewährleistung demokratischer Rechte und Freiheiten, wobei "Organisationen, die der Demokratie und der Sache der Erhaltung des Friedens feindlich sind" nicht bestehen dürfen sollten. Bemerkenswerterweise wurden aber explizit allen ehemaligen Angehörigen der deutschen Armee und sogar ehemaligen Nazis, soweit sie nicht gerichtlich verhängte Strafen wegen ihrer Verbrechen verbüßten, ausdrücklich gleiche bürgerliche Rechte zugesprochen. Während diese Klausel offenkundig dazu gedacht war, die Sympathien deutscher nationalistischer Kreise zu gewinnen, und somit eher propagandistischen Charakter trug, war die Bestimmung, daß Deutschland sich verpflichte, keinerlei Koalitionen oder Militärbündnisse einzugehen, die sich gegen einen der früheren Kriegsgegner richteten, höchst substantiell. Das einheitliche Deutschland sollte als neutraler Staat konstituiert werden, und damit wären die Pläne zur militärischen Integration der Bundesrepublik in das westliche Bündnis obsolet geworden. Der sowjetische Entwurf sah dagegen für Deutschland eigene nationale Streitkräfte aller drei Waffengattungen in dem zur Verteidigung des Landes notwendigen Umfang vor, inklusive einer eigenen Rüstungsindustrie. Das Staatsterritorium sollte durch die Grenzen bestimmt werden, die in Potsdam festgelegt worden waren. Allerdings war auf der Konferenz keine völkerrechtlich bindende Grenzziehung vorgenommen, sondern nur eine vorläufige Regelung getroffen worden. Die Klausel im sowjetischen Entwurf zielte aber ganz offensichtlich auf eine dauerhafte Festschreibung der Oder-Neiße-Grenze ab. Dies und die Festschreibung der dauerhaften Neutralität bildeten den Preis für das sowjetische Wiedervereinigungsangebot.

Die Fragen, die dieses im Westen aufwarf, richteten sich allerdings weniger auf den Preis, sondern darauf wie seriös dieses Angebot war und was es tatsächlich beinhaltete. Die Erfahrungen in den Ländern Südost- und Ostmitteleuropas nach dem Zweiten Weltkrieg hatten Anlaß genug gegeben, dem sowjetischen Verständnis von "Demokratie" und "Friedensliebe" zu mißtrauen. Angesichts der im Ostblock praktizierten sowjetischen Hegemonialpolitik war es überraschend, daß die Sowjetunion nun ein Angebot unterbreitete, das auf die Preisgabe der DDR hinauslaufen mußte. Obwohl in der Sowjetunion selbst Zeit ihres Bestehens die Note nur als ein Glied einer Kette von Vorschlägen der stets nur dem Frieden dienenden Außenpolitik der UdSSR dargestellt wurde, ging der Wortlaut der Note damit tatsächlich weit über bisherige Angebote hinaus.

Das verfehlte seine Wirkung bei den Adressaten nicht. Entgegen Bundeskanzler Adenauers Stellungnahme, der die Note umgehend als eine gegen seine Politik der Westintegration gerichtetes Stör- und Täuschungsmanöver qualifizierte, und obwohl außer Kommunisten und einigen Neutralisten, niemand in der Bundesrepublik sie mit offener Begeisterung aufnahm, erhoben sich doch gewichtige Stimmen in Politik und Publizistik, die eine Auslotung des sowjetischen Angebots auf diplomatischem Wege befürworteten, um nicht eine Chance zur Herstellung der Einheit zu verpassen. Diese Position vertraten nicht nur Oppositionsführer GlossarKurt Schumacher (SPD) oder der Publizist GlossarPaul Sethe von der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", sondern auch Adenauers eigener Minister für gesamtdeutsche Fragen, GlossarJakob Kaiser. Adenauer hingegen lehnte Gespräche ab, weil er befürchtete, durch sowjetische Manöver könnten sie in die Länge gezogen werden und so zur Verschleppung der Unterzeichnung des Deutschlandvertrags und des Vertrags über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft führen, die einen weitgehenden Rückgewinn von Souveränitätsrechten und den militärischen Beitrag Westdeutschlands für die westliche Verteidigungsgemeinschaft regelten. Adenauer sah realistische Chancen für Verhandlungen erst dann gegeben, wenn sie vom Westen aus einer Position der Stärke heraus geführt werden könnten.

In Frankreich gerieten vor allem die Kommunisten, die die EVG-Pläne heftig bekämpft hatten, in einen Zwiespalt, denn sie hatten in traditioneller Parteidisziplin nun einen Vorschlag der Sowjetunion zu verteidigen, der nicht nur einem neutralisierten Deutschland eigene Streitkräfte zugestand, sondern in dem auch noch offen um die Sympathie der ehemaligen Nationalsozialisten geworben wurde. Ob dies der Intention entsprach "einen positiven Einfluß auf die Haltung der französischen Patrioten" auszuüben, "die gegen den Wiederaufbau des deutschen Militarismus antreten", wie dies in einem der Vorbereitungspapiere für die Note ausgeführt wurde, kann man bezweifeln. Nichtsdestoweniger brachte die Note die Sowjetunion zunächst einmal diplomatisch in die Offensive. Die Westmächte konterten in ihrer Antwortnote vom 25. März 1952, indem sie die Schwachpunkte des sowjetischen Vorstoßes hervorhoben: Man pochte auf freie Wahlen und die Überprüfung ihrer Vorbedingungen durch die von der DDR brüskierte UNO-Kommission, ferner darauf, daß das vereinigte Deutschland selbst frei über den Beitritt zu Bündnissen entscheiden sollte und erinnerte daran, daß in Potsdam keine endgültigen Entscheidungen über die Grenzregelung getroffen worden seien, die vielmehr einer Friedensregelung vorbehalten bleiben müßten. Die Schaffung eines neutralen Deutschland mit eigenen Streitkräften sei ein Rückschritt gegenüber den friedenssichernden Bemühungen um eine europäische Integration. Mit dieser Antwort wurde deutlich genug, daß keine Verhandlungsbasis bestand. Der weitere Notenwechsel, der sich bis Ende September 1952 hinzog und der nochmals jeweils drei diplomatisch Dokumente jeder Seite hervorbrachte, die sich vor allem um die Frage der Organisation freier Wahlen in Gesamtdeutschland drehten, diente nur noch dem Ringen um Einfluß in der deutschen Öffentlichkeit, zumal mit der Unterzeichnung von Deutschland- und EVG-Vertrag bereits im Mai 1952 Fakten geschaffen worden waren.

Aus den Aufzeichnungen über Gespräche GlossarStalins mit der SED-Führung am 1. und 7. April 1952 weiß man inzwischen definitiv, daß auch von sowjetischer Seite der Notenwechsel nur aus propagandistischen Gründen fortgeführt wurde. Die Frage aber, ob nicht schon die erste sowjetische Note ein Propagandamanöver war oder ob ihr ernsthafte Absichten zugrunde lagen, die erst infolge der westlichen Antwortnote aufgegeben wurden, wird weiterhin heftig debattiert. Während Wilfried Loth, der 2002 eine ganze Reihe von Schlüsseldokumenten zur Entstehungsgeschichte in der deutscher Übersetzung ediert hat, argumentiert, die detaillierte Vorbereitung der Note, die von der GlossarDritten Europäischen Abteilung des sowjetischen Außenministeriums unter GlossarMichail Gribanov bis ins GlossarPolitbüro hinein verfolgt werden könne, belege die Ernsthaftigkeit des sowjetischen Vorstoßes und die Bereitschaft, die DDR zugunsten der Schaffung eines neutralen Deutschland zu opfern, hält Hermann Graml die Note auch im Lichte der neuen Dokumente weiterhin für ein propagandistisches Manöver, mit dem die Verantwortung für die deutsche Spaltung dem Westen zugeschoben werden sollte, während das tatsächliche Interesse der Sowjetunion in der Konsolidierung des Ostblocks lag. Andere Deutungen sehen in der Note vor allem ein aggressiv gegen den Westen gerichtetes Moment (Wettig) oder betonen die disziplinierende Wirkung, die sie auf die DDR-Führung ausgeübt habe (Filitov).

Nachdem die Forschung sich zunächst auf die innenpolitische Debatte über die Stalin-Note in der Bundesrepublik konzentriert und dann in den späten 70er und 80er Jahren die Haltungen der Westmächte ins Visier genommen hatte, sind mit der Öffnung der sowjetischen Archive die UdSSR und Stalin, also die primären Akteure, selbst in den Fokus gerückt. In den 1990er Jahren und zu Beginn des neuen Jahrhunderts haben Gerhard Wettig, Stein Bjornstad, Aleksej Filitov und Wilfried Loth sowjetische Quellen zur Geschichte der Stalin-Note erschlossen und interpretiert. Am weitesten vorgedrungen ist nun der österreichische Historiker Peter Ruggenthaler, der eine umfangreiche Dokumentation vorgelegt hat, die vor allem aus dem Molotovbestand im Russischen Staatlichen Archiv für Sozial- und Politikgeschichte schöpft und damit dem eigentlichen Entscheidungszentrum so nahe kommt wie keine andere bisherige Studie. Ruggenthalers Befund ist eindeutig: Die Stalin-Note war nicht als ernsthaftes Angebot, sondern als Störmanöver geplant, sie war - so der Titel seines Buches - "Stalins großer Bluff".

Jürgen Zarusky