Reichskanzler Bethmann Hollweg, Reichstagsrede [Friedensangebot], 12. Dezember 1916

Meine Herren, in der Hoffnung auf baldige, neue, günstige Ereignisse im Felde lag der Grund, warum der Reichstag nicht auf längerer Zeit vertagt, sondern Ihrem Herrn Präsidenten anheimgegeben wurde, den Tag der nächsten Vollsitzung zu bestimmen. Diese Hoffnung hat sich fast über Erwarten schnell erfüllt.

Ich will kurz sein. Die Taten sprechen. Rumäniens Eintritt in den Krieg sollte unsere und unserer Verbündeten Stellung im Osten aufrollen. Gleichzeitig sollte die große Offensive an der Somme unsere Westfront durchbrechen, sollten erneute italienische Anstürme Österreich-Ungarn lahmlegen. Die Lage war ernst. Mit Gottes Hilfe haben unsere herrlichen Truppen einen Zustand geschaffen, der uns volle und größere Sicherheit bietet als je zuvor.

(Lebhafter Beifall.)

Die Westfront steht. Sie steht nicht nur, sie ist trotz des rumänischen Feldzuges mit größeren Reserven an Menschen und Material ausgestattet, als sie es früher war.

(Erneuter lebhafter Beifall.)

Gegen alle italienischen Diversionen ist sehr nachdrücklich vorgesorgt. Und während an der Somme und auf dem Karst Trommelfeuer erdröhnte, während die Russen gegen die Ostgrenze Siebenbürgens anstürmten, hat Feldmarschall Hindenburg in genialer Führung ohnegleichen und mit Truppen, die im Wetteifer aller Verbündeten in Kampf und Marschleistung das Unmögliche möglich gemacht haben,

(starker Beifall)

die ganze Westwallachei und die feindliche Hauptstadt genommen.

(Stürmischer langanhaltender Beifall.)

Und Hindenburg rastet nicht! Die militärischen Operationen gehen weiter!

(Bravo!)

Zugleich ist mit den Schlägen des Schwertes unsere wirtschaftliche Versorgung fester fundiert worden.

(Beifall.)

Große Vorräte an Lebensmitteln, an Getreide, an Öl und sonstigen Gütern sind in Rumänien in unsere Hand gefallen.

(Bravo!)

Ihre Abführung ist im Gange. Trotz aller Knappheit wären wir auch mit dem Eigenen ausgekommen. Jetzt steht auch unsere wirtschaftliche Sicherheit außer aller Frage.

(Lebhafter Beifall.)

Den großen Geschehnissen auf dem Lande reihen sich vollwürdig die Heldentaten unserer Unterseeboote an.

(Erneuter stürmischer Beifall.)

Das Hungergespenst, das unsere Feinde gegen uns aufrufen wollten, das werden sie nun selbst nicht wieder los.

(Bravo!)

Meine Herren, als nach Verlauf des ersten Kriegsjahres Seine Majestät der Kaiser sich in öffentlicher Kundgebung an das deutsche Volk wandte, sprach er das Wort: „Großes Erleben macht ehrfürchtig und im Herzen fest.“ Niemals ist unser Kaiser, ist unser Volk anderen Sinnes gewesen. Auch jetzt nicht. Geniale Führung und unerhört heldenhafte Leistungen haben eherne Tatsachen geschaffen. Auch die innere Ermüdung, mit der unsere Feinde rechneten, war ein Trugschluß. Mitten im Drange des Kampfes draußen hat der Reichstag in dem Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst eine neue Schutz- und Trutzwehr schaffen helfen. Hinter dem kämpfenden Heer steht das arbeitende Volk.

(Bravo!)

Die Riesenkraft der ganzen Nation ist wirksam für das eine gemeinsame Ziel. Nicht eine belagerte Festung, wie unsere Feinde es sich dachten, aber ein einziges gewaltiges, festgeordnetes Heerlager mit unerschöpften Hilfsmitteln, das ist das Deutsche Reich,

(Bravo! rechts)

treu und fest im Bunde mit den kampferprobten Waffenbrüdern unter den österreichisch-ungarischen, den türkischen und den bulgarischen Fahnen.

(Erneutes Bravo rechts.)

Unbeirrt durch die Reden unserer Feinde, die uns bald Welteroberungspläne, bald verzweifelte Angstrufe nach Frieden andichteten, sind wir entschlossen dahingeschritten. Und schreiten so weiter. Immer bereit, uns zu wehren und zu schlagen für das Dasein unseres Volkes, für seine freie und gesicherte Zukunft, immer bereit, um diesen Preis die Hand zum Frieden zu bieten.

(Bravo! links.)

Denn unsere Stärke macht uns nicht taub gegen unsere Verantwortung vor Gott, vor dem eigenen Volk, vor der Menschheit.

(Erneute Zustimmung links.)

Unseren bisherigen Erklärungen der Friedensbereitschaft sind die Gegner ausgewichen. Jetzt sind wir einen Schritt weitergegangen.

Nach der Verfassung lag am 1. August 1914 auf Seiner Majestät dem Kaiser persönlich der schwerste Entschluß, den je ein Deutscher zu fassen gehabt hat, der Befehl der Mobilmachung, der ihm durch die russische Mobilmachung abgerungen wurde. Während dieser langen und schweren Kriegsjahre bewegte den Kaiser der einzige Gedanke, wie einem festgesicherten Deutschland nach siegreich gefochtenem Kampf wieder der Friede bereitet werde. Niemand kann das besser bezeugen als ich, der ich die Verantwortung für alle Regierungshandlungen trage. In tiefstem sittlichen und religiösen Pflichtgefühl gegen sein Volk und darüber hinaus gegen die Menschheit hält der Kaiser jetzt den Zeitpunkt für eine offizielle Friedensaktion für gekommen. Seine Majestät hat deshalb in vollem Einvernehmen und in Gemeinschaft mit seinen hohen Verbündeten den Entschluß gefaßt, den feindlichen Mächten den Eintritt in Friedensverhandlungen vorzuschlagen.

(Lebhafter wiederholter Beifall links und in der Mitte.)

Meine Herren, ich habe heute morgen den Vertretern derjenigen Mächte, die unsere Rechte in den feindlichen Staaten wahrnehmen, also den Vertretern von Spanien, den Vereinigten Staaten von Amerika und der Schweiz, eine entsprechende, an alle feindlichen Mächte gerichtete Note mit der Bitte um Übermittlung übergeben. Das gleiche geschieht heute in Wien, in Konstantinopel und in Sofia. Auch die übrigen neutralen Staaten und Seine Heiligkeit der Papst werden von unserem Schritt benachrichtigt.

Die Note hat folgenden Wortlaut:

Der furchtbarste Krieg, den die Geschichte je gesehen hat, wütet seit bald zwei und einem halben Jahr in einem großen Teil der Welt. Diese Katastrophe, die das Band einer gemeinsamen tausendjährigen Zivilisation nicht hat aufhalten können, trifft die Menschheit in ihren wertvollsten Errungenschaften. Sie droht den geistigen und materiellen Fortschritt, der den Stolz Europas zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts bildete, in Trümmer zu legen.

Deutschland und seine Verbündeten, Österreich-Ungarn, Bulgarien und die Türkei, haben in diesem Kampf ihre unüberwindliche Kraft erwiesen. Sie haben über ihre an Zahl und Kriegsmaterial überlegenen Gegner gewaltige Erfolge errungen. Unerschütterlich halten ihre Linien den immer wiederholten Angriffen der Heere ihrer Feinde stand. Der jüngste Ansturm im Balkan ist schnell und siegreich niedergeworfen worden. Die letzten Ereignisse beweisen, daß auch eine weitere Fortdauer des Krieges ihre Widerstandskraft nicht zu brechen vermag, daß vielmehr die gesamte Lage zu der Erwartung weiterer Erfolge berechtigt.

Zur Verteidigung ihres Daseins und ihrer nationalen Entwicklungsfreiheit wurden die vier verbündeten Mächte gezwungen, zu den Waffen zu greifen. Auch die Ruhmestaten ihrer Heere haben daran nichts geändert. Stets haben sie an der Überzeugung festgehalten, daß ihre eigenen Rechte und begründeten Ansprüche in keinem Widerspruch zu den Rechten der anderen Nationen stehen. Sie gehen nicht darauf aus, ihre Gegner zu zerschmettern oder zu vernichten.

Getragen von dem Bewußtsein ihrer militärischen und wirtschaftlichen Kraft und bereit, den ihnen aufgezwungen Kampf nötigenfalls bis zum äußeresten fortzusetzen,

(Bravo! rechts)

zugleich aber von dem Wunsch beseelt, weiters Blutvergießen zu verhüten

(Bravo! links)

und den Greueln des Krieges ein Ende zu machen, schlagen die vier verbündeten Mächte vor, alsbald in Friedensverhandlungen einzutreten.

(Erneutes Bravo.)

Die Vorschläge, die sie zu diesen Verhandlungen mitbringen werden, und die darauf gerichtet sind, Dasein, Ehre und Entwicklungsfreiheit ihrer Völker zu sichern, bilden nach ihrer Überzeugung eine geeignete Grundlage für die Herstellung eines dauerhaften Friedens.

Wenn trotz dieses Anerbietens zu Frieden und Versöhnung der Kampf fortdauern sollte, so sind die vier verbündeten Mächte entschlossen, ihn bis zum siegreichen Ende zu führen. Sie lehnen aber feierlich jede Verantwortung dafür vor der Menschheit und der Geschichte ab.

(Wiederholter stürmischer Beifall. Händeklatschen auf den Tribünen. – Glocke des Präsidenten.)

Meine Herren, im August 1914 rollten unsere Gegner die Machtfrage des Weltkrieges aus. Heute stellen wir die Menschheitsfrage des Friedens.

(Bravo! links und in der Mitte.)

Wie die Antwort unserer Feinde lauten wird, warten wir mit der Ruhe ab, die uns unsere innere und äußere Kraft und unser reines Gewissen verleiht.

(Bravo!)

Lehnen die Feinde ab, wollen sie die Weltenlast von allem Schrecklichen, was darnach noch folgen wird, auf sich nehmen, dann wird bis in die letzte Hütte hinein jedes deutsche Herz aufs neue in heiligem Zorn aufflammen gegen Feinde, die um ihrer Vernichtungs- und Eroberungsabsichten willen dem Menschenmorden keinen Einhalt tun wollen.

(Bravo! links und in der Mitte.)

In schicksalsschwerer Stunde haben wir einen schicksalsschweren Entschluß gefaßt. Er ist durchtränkt von dem Blute von Hunderttausenden unserer Söhne und Brüder, die ihr Leben gelassen haben für der Heimat Sicherheit. Menschenwitz und Menschenhand können in diesem Völkerringen, das alle Schrecknisse irdischen Lebens, aber auch alle Größe menschlichen Mutes und menschlichen Willens in nie gesehener Weise enthüllt hat, nicht bis an das letzte heranreichen. Gott wird richten. Wir wollen furchtlos und aufrecht unsere Straße ziehen, zum Kampf entschlossen, zum Frieden bereit.

(Wiederholtes stürmisches Bravo links und in der Mitte. – Händeklatschen auf den Tribünen und im Hause. – Glocke des Präsidenten.)

Hier nach: Theobald von Bethmann Hollweg, Reichstagrede, 80. Sitzung des Reichstags, Dienstag, den 12. Dezember 1916, in: Verhandlungen des Reichstags, 13. Legislaturperiode. II. Session, Band 308. Stenographische Berichte: Von der 61. Sitzung am 7. Juni 1916 bis zur 80. Sitzung am 12. Dezember 1916, Berlin 1916, S. 2331-2332.