Abkommen zwischen der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik und der Regierung der Bundesrepublik Deutschland über den Transitverkehr von zivilen Personen und Gütern zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West) [Transitabkommen], 17. Dezember 1971

Einleitung

Das Transitabkommen von 1971, das Anfang Juni 1972 in Kraft trat, war der Wellenbrecher des Status quo im geteilten Deutschland und der entscheidende Türöffner für weitergehende deutsch-deutsche Verhandlungen, auch wenn das seinerzeit die CDU/CSU-Opposition und eine starke Minderheit in der Bundesrepublik anders sahen. Es war eine beachtliche Leistung der sozial-liberalen Regierung Brandt/Scheel, die Westalliierten und die UdSSR überhaupt zu Fragen des Berlintransits an einen Tisch zu bekommen, da für diese kein Handlungsbedarf bestand: Der (West-)Berlin-Zugang auf dem Landweg war für die USA, für Großbritannien und Frankreich seit dem Jessup-Malik-Abkommen von 1949 praktisch geregelt, die UdSSR betrachtete Westberlin als eigenständiges politisches Gebilde und hielt am Status quo fest, wozu die Teilung Deutschlands einschließlich seiner Hauptstadt gehörte. An einer Verbesserung der Lebensfähigkeit und Lebensqualität Westberlins und seiner Bürger waren Ende der 1960er / Anfang der 1970er Jahre die vier Siegermächte des 2. Weltkrieges kaum interessiert, im Gegensatz zu den "Eingeborenen" (Egon Bahr). Die damalige Situation konnte keinen Patrioten zufrieden stellen, in allen Parteien gab es "Gesamtdeutsche", die den Stillstand der Bemühungen um eine deutsche Wiedervereinigung kritisierten, aktuell aber zunächst einmal Verbesserungen im Berlin-Verkehr forderten.

Seit dem 13. August 1961, dem Mauerbau, entwickelten sich aber auch deutschlandpolitische Vorstellungen, die eher auf ein dauerhaftes Nebeneinander von zwei Staaten in Deutschland setzten, als auf eine künftige Einheit. Diese Kräfte wollten die Teilung für die Bürger im Westen in netter Form erlebbar machen und das Wiedervereinigungsgebot des Bonner Grundgesetzes de facto abschaffen. Dass das Selbstbestimmungsrecht auch den Deutschen in Ost und West zustand, blendete man aus. Rechtlich hatten zwar die vier Siegermächte für Fragen, die Deutschland als Ganzes betrafen, das Sagen, doch versteckten sich nicht alle hinter dieser Formel: Westberliner bzw. westdeutsche Politiker kamen nach dem Berliner Mauerbau zu neuen und eigenständigen Ansichten in den deutschen Angelegenheiten, so unter anderem Egon Bahr mit seinen Ideen eines Wandels durch Annäherung. Letztlich führten diese und andere Überlegungen und Pläne im Ergebnis zur staatlichen Anerkennung der DDR durch Bonn, die Willy Brandt 1969 in seiner Regierungserklärung aussprach. Mit dem ausdrücklichen Vorbehalt, dass die beiden deutschen Staaten füreinander nicht Ausland sein konnten. Einem Neben- und Miteinander beider Staaten in Deutschland, das die sozial-liberale Koalition ab 1969 anstrebte, stand dabei das Berlin-Problem massiv im Wege.

Der offiziellen DDR war die Existenz Westberlins inmitten ihres Staates zutiefst zuwider und ihre Führung hatte in der Vergangenheit nahezu alle Aktionen unterstützt, die die Lebensfähigkeit der Teilstadt beeinträchtigten. Die Hardliner um SED-Chef Walter Ulbricht betrachteten die Westsektoren der geteilten Stadt sogar zeitweise als die – so wörtlich – westlichen Vororte der Hauptstadt der DDR. Jede Anbindung Westberlins an das Rechtssystem der Bundesrepublik lehnte Ostberlin strikt ab. Und weigerte sich 1969/70 zunächst, der Bundesregierung ein Mandat für Westberlin für die anstehenden Verhandlungen zuzugestehen; stattdessen wollte man separate Gespräche über den Transit mit Vertretern des Westberliner Senats führen. Es bedurfte des mehr oder weniger sanften Druckes des "Großen Bruders" in Moskau, um diese Position aufzugeben. Zum Ärger Ulbrichts zeigte sich die sowjetische KP-Führung bereit, die Vertretungsvollmacht Bonns für Westberlin zu akzeptieren und schließlich sogar im Berliner Vier-Mächte-Abkommen die Bindungen der Teilstadt an die Bundesrepublik ausdrücklich anzuerkennen.

Die Berlin-Regelung, 1970/71 ausgehandelt von Egon Bahr (SPD) und Michael Kohl (SED), beendete den rechtsfreien Raum für den zivilen Verkehr von und nach Berlin (West) für Deutsche aus der Bundesrepublik und aus Westberlin, das Abkommen beendete damit auch die zahlreichen Behinderungen des Personen- und Warenverkehrs auf den Transitstrecken, die es bis dahin – je nach politischer Wetterlage – immer wieder gegeben hatte. Mit Inkrafttreten der Vereinbarung wurde es berechenbar, die Transitwege durch die DDR zu benutzen. Unausgesprochen war mit dem Vertrag das Eingeständnis der amtlichen DDR verbunden, über den Berlin-Zugang nicht mehr die volle Souveränität zu haben, eine Missbrauchsklausel des Vertrags räumte den DDR-Behörden lediglich das Recht ein, im Ausnahmefall Verdachtskontrollen an den Grenzübergängen vorzunehmen, um versteckte Flüchtlinge in Kraftfahrzeugen aufzuspüren. Ferner war es möglich, Bundesbürgern und Westberlinern die Transitnutzung zu verweigern. Auch Festnahmen auf den Transitstrecken waren nicht völlig ausgeschlossen und kamen vor, allerdings verfuhr die DDR dabei unter dem Strich sehr zurückhaltend. In einer deutsch-deutschen Transitkommission wurden die entsprechenden Vorkommnisse erörtert und mehrheitlich geklärt. Einzelne Westbürger verstarben in den DDR-Grenzübergangsstellen an der innerdeutschen Grenze und im Berliner Raum, wobei ein Fremdverschulden auf Grund schikanöser Behandlung und Verhöre durch MfS-Passkontrolleinheiten nicht ausgeschlossen werden konnte. Insgesamt aber galt: Wer die Transitwege durch die DDR ab 1972 benutzte, konnte sicher sein, dass er in Westdeutschland bzw. Westberlin auch ankam.

Mit der stark ansteigenden Anzahl an Reisenden auf den Transitstrecken – im Jahre 1972 waren es schon 11 Millionen – ergaben sich für die DDR-Behörden Probleme, die Wege von und nach Berlin zu überwachen, denn Hunderte DDR-Bürger nutzten gerade in den ersten Jahren den grundsätzlich kontrollfreien Transitverkehr zur Flucht in den Westen. Vertraglich verpflichtet, in aller Regel nur Identitätskontrollen vorzunehmen, konnte das MfS kaum dagegenhalten ohne gegen die vertraglich garantierte, schnelle und unkomplizierte Abfertigungspraxis im "spezifischen" (Berlin-)Transitverkehr zu verstoßen. DDR-Beschwerden gegen angebliche und tatsächliche Unterstützung der Fluchthilfe durch westliche Dienststellen häuften sich zeitweise. Aus westlicher Sicht war diese nicht unmoralisch oder gar strafbar, konnte also vom Westen nicht unterbunden werden, obwohl die politisch Verantwortlichen in der sozial-liberalen Koalition die Vorgänge missbilligten. Aber schließlich konnte es nicht Aufgabe westlicher Behörden sein, den "Arbeiter-und-Bauern-Staat" bei der Bekämpfung und Kriminalisierung der Fluchthilfe und ihrer Nutzer zu unterstützen, die DDR musste mit ihren "Transitflüchtlingen" schon allein fertig werden. Das versuchte sie mit einer aufwändigen Überwachung der Transitstrecken durch haupt- und nebenamtliche Mitarbeiter des MfS, der Volkspolizei und des Zolls, die an das Regime im DDR-Grenzgebiet erinnerte, außerdem mit drakonischen Haftstrafen gegen Flüchtlinge, vor allem aber gegen Mitglieder der ideellen und kommerziellen westlichen Helferorganisationen (DDR: "Menschenhändler"). Nach einigen Jahren erlaubte der SED-Staat dann den Freikauf der Verurteilten durch Bonn.

Das Transitabkommen war zeitlich nicht befristet, sollte also so lange gelten, wie es die unnatürliche deutsche Teilung gab. Die offizielle DDR kassierte Hunderte von Millionen an Transitgebühren, die immer weiter angehoben wurden. Ihrem seit Anfang der 1980er Jahre völlig desolaten Staatshaushalt haben diese Summen sicher genützt, im Ergebnis aber zu einer gewissen Abhängigkeit von diesen Westzahlungen geführt und eine Art Wohlverhalten auf den Transitstrecken bewirkt. Denn souverän war die DDR auf ihren Transitwegen von und nach Berlin (West) seit dem Abkommen von 1971, wie gesagt, nicht mehr, was vor allem ihren MfS-Sicherheitsleuten schlaflose Nächte bereitete, die diese Strecken intern als "Rollbahnen des Klassenfeindes" bezeichneten. Neben den Fluchtmöglichkeiten machten ihnen "Kontaktaufnahmen" zwischen Westbürgern und DDR-Einwohnern, die auf und an Raststätten und Parkplätzen der Transitwege stattfanden, zunehmend Sorgen. Hier kam es in zahlreichen Fällen zu Waren- und Geldübergaben, die laut Transitabkommen illegal waren. Ärger in den Führungsetagen der SED und des MfS löste ferner die Tatsache aus, dass die schlecht bezahlten Angehörigen der "Transitgruppen" der Volkspolizei, die die Strecken und ihre Benutzer überwachen sollten, öfter Geschenke von Westberlinern und Bundesbürgern annahmen. Bedienstete des MfS, der Volkspolizei und des Zolls sowie inoffizielle Mitarbeiter (IM) des MfS an und auf den Transitwegen hatten alle "illegalen" Vorgänge zu melden; diese Kräfte konzentrierten sich verdeckt in Autobahnraststätten, Tankstellen und Straßenmeistereien sowie auf Parkplätzen. Als besonders kosten- und arbeitsaufwändig – abgesehen von gesundheitlichen Gefahren vor allem für das Bedienungspersonals – erwiesen sich für die DDR die ab Anfang der 1980er Jahre an allen größeren Grenzübergangsstellen installierten Cäsium-137-Anlagen, die mit "Gammastrahlen" bei der Grenzkontrolle im Ausreisebereich alle Fahrzeuge durchleuchteten, um Flüchtlinge aufzuspüren.

Alles in allem war für Westberliner und viele Westdeutsche das 1971er Transitabkommen ein Gewinn an Lebensqualität, weil es einige Folgen der deutschen Teilung milderte. Darüber hinaus entwickelte sich bei einer Mehrheit der Deutschen in Ost und West die Überzeugung, dass der korridorähnliche Zustand (Egon Bahr) der Strecken zwischen Westberlin und der Bundesrepublik nicht die letzte Antwort der Geschichte sein konnte und die deutsche Frage nach wie vor einer Lösung bedurfte, um diese positive aber doch erkennbar provisorische Berlin-Regelung zwischen den beiden deutschen Teilstaaten unterschiedlicher Legitimität unter Aufsicht der alten Siegermächte über Deutschland eines Tages durch eine friedliche, selbstbestimmte Einheit des Landes zu beenden.

Dass das Transitabkommen von 1971 und die deutsch-deutschen Folgeverträge letztlich zur deutschen Einheit führten, wie heute nicht selten behauptet, darf getrost als politische Lyrik eingestuft werden; hier wird Zeitgeschichte aus aktuellen parteipolitischen Erwägungen umgedeutet. Nicht vergessen werden sollte, dass diejenigen, die für die deutsch-deutschen Verträge maßgeblich Verantwortung trugen, sich in den 1980er Jahren von allen Forderungen nach einer deutschen Wiedervereinigung verabschiedeten, was seit 1989/90 von diesen Politikern weitgehend ausgeblendet wird. Unstrittig scheint es zu sein, dass die Verträge zwischen der Bundesrepublik und der DDR von 1971/72 mehr oder weniger ungewollt das Zusammengehörigkeitsgefühl der Deutschen gestärkt haben und die Abkommen im Ergebnis mithalfen, den Weg zur deutschen Einheit zu erleichtern. Eine wissenschaftliche Darstellung über die Praktiken und Geschehnisse auf den Transitwegen von und nach Berlin (West) zwischen 1972 und 1990, die die "Besonderen Vorkommnisse" (z. B. Missbrauch; Einreisesperren) und auch die Verhandlungen in der deutsch-deutschen Transitkommission thematisieren und analysieren müsste, fehlt bisher.

Peter Joachim Lapp