Briefwechsel zur Nationalhymne der Bundesrepublik Deutschland, 1952 und 1991

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Briefwechsel zur Nationalhymne der Bundesrepublik Deutschland, 1952 und 1991Переписка по государственному гимну Федеративной Республики Германия 1952 и 1991 годов
29. April 1952
апрель 29, 1952
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Das „Lied der Deutschen“ wurde von Heinrich Hoffmann von Fallersleben 1841 auf der damals zum vereinigten Königreich gehörenden Insel Helgoland geschrieben, die Melodie von Joseph Haydn komponiert. Hoffmann von Fallerleben hatte keine hypertrophe Hymne im Sinn. Er wollte seiner Sehnsucht nach gesamtdeutscher Einheit und Freiheit Ausdruck geben. Die Karriere des Liedes begann 1890 mit der Übergabe Helgolands an Deutschland. Anfänglich als vormärzliches Lied angesehen, erhielt es im späten Kaiserreich insbesondere durch die nationale Rechte eine völkisch-imperiale Ausdeutung, die in der Langemarck-Legende mündete. 1922 erklärte Reichspräsident Friedrich Ebert das Lied zur Nationalhymne. Im nationalsozialistischen Deutschland wurde nur die erste Strophe gesungen, diese aber zusammen mit dem Horst-Wessel-Lied, der SA-Hymne, weshalb das Deutschlandlied desavouiert war. Nach ihrem Hymnenstreit 1950/51 erklärten Bundespräsident Theodor Heuss und Bundeskanzler Konrad Adenauer das Lied erneut zur Nationalhymne, allerdings nur die dritte „demokratische“ Strophe. 1991 bestätigte ein Briefwechsel zwischen Bundespräsident Richard von Weizsäcker und Bundeskanzler Helmut Kohl diese Vereinbarung für das vereinte Deutschland.


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von: Peter Reichel, 2011


Die Anfänge des Deutschlandliedes liegen in England. Der Literaturprofessor und Dichter Heinrich Hoffmann von Fallersleben schrieb den Text 1841 auf der damals zum Vereinigten Königreich gehörenden Nordseeinsel Helgoland. Die Musik ist identisch mit der österreichischen Kaiserhymne und verwandt mit der englischen Königshymne. Komponiert wurde sie von Joseph Haydn, der sich dazu während seines London-Aufenthaltes durch God save the King anregen ließ. Als Haydn 1797 von dort zurückkehrt und Wien durch die Truppen Napoleons in Bedrängnis gerät, soll er empfohlen haben, die Abwehrbereitschaft der Untertanen auch musikalisch zu stärken. Der Dichter Leopold Lorenz Haschka wird beauftragt, ein Lied zu schreiben und sich an die Vorlage von God save the King zu halten. Haydn schreibt seine – auch durch den zweiten Satz des „Kaiserquartetts“ – berühmte Melodie dazu.

Und gut vierzig Jahre später benutzt der Literaturprofessor und Lieddichter August Heinrich Hoffmann Haydns Melodie für sein Deutschlandlied. Schon Anfang Oktober 1841 wird das Lied der Deutschen uraufgeführt – auf Hamburgs Flaniermeile, dem Jungfernstieg. Anlass ist der Besuch des in der Hansestadt hochangesehenen liberalen Staatsrechts-Professors Theodor Welcker, der später Abgeordneter der Frankfurter Paulskirchenversammlung wird. Vor dem Streit’s Hotel, in dem der renommierte Gast abgestiegen ist, singt die Hamburger Liedertafel erstmals die spätere deutsche Nationalhymne. Das Deutschlandlied scheint alle Voraussetzungen zu erfüllen, volkstümlich zu werden. Es ist ein politisch-romantisches Sehnsuchtslied. Erst die chauvinistische Nachgeschichte hat es verhunzt.

Anders als das daraus abgeleitete Vorurteil glauben machen will, träumt der Dichter nicht von einem Großdeutschland wie es Kaiser Wilhelm II. und Adolf Hitler mit Weltkriegen erzwingen wollten. Die erste Strophe formuliert keinen aggressiven Machtanspruch. Bis heute wird deshalb immer wieder übersehen, dass „Deutschland, Deutschland über alles“ im Jahre 1841 nicht heißt, dass sich ein gesamtdeutscher Nationalstaat, den es ja noch gar nicht gibt, gegen und über die Nachbarstaaten erheben soll. Nein, Hoffmann hat keine hypertrophe Hymne, keine musikalische Drohgebärde im Sinn. Er will in einem lyrischen Konditionalsatz lediglich zum Ausdruck bringen, wie sehr er sich nach gesamtdeutscher Einheit und Freiheit sehnt. Wenn sich doch endlich, so wünscht er mit der Mehrheit der Deutschen, die deutschen Territorien und Mächte zusammenschließen und einig und frei werden würden, in einem Verfassungsstaat. Ein so geeintes Gesamtdeutschland – wohlgemerkt in den Grenzen des deutschen Sprach- und Kulturraums – ginge ihm über alles. Allerdings steht Hoffmann unter dem Eindruck der Rheinkrise und der verbreiteten antifranzösischen Stimmung in Deutschland. Aus seiner Aversion gegenüber Frankreich macht er lebenslang kein Hehl.

Als Volks- und Trinklied ist das Deutschlandlied ein geselliges Lied. Statt der beiden letzten Zeilen „Blüh im Glanze dieses Glückes, blühe deutsches Vaterland“ – hatte Hoffmann ursprünglich einen Trinkspruch vorgesehen: „Stoßet an und ruft einstimmig: Hoch das deutsche Vaterland!“ Und weil es auch ein Heimatlied ist, besingt Hoffmann in der zweiten Strophe, was heute im Allgemeinen als peinlich oder kitschig empfunden wird: „edle That, deutsche Frauen, deutsche Treue, deutschen Wein und deutschen Sang.“ Im Revolutionsjahr 1848 kann diese Hymne noch keine maßgebliche Rolle spielen. Kämpferische Lieder haben Konjunktur. Aber Nationalhymne wird das Lied der Deutschen auch im Kaiserreich nicht ohne weiteres. Es gilt nun als vormärzlich vorbelastet, und als gesamtdeutsches Hoffnungs- und Freiheitslied ist es im kleindeutsch-preußischen Kaiserreich oppositionell. Die Sucht der reichsnationalen Gründerzeit nach Glanz und Gloria erfüllen andere Lieder.

Die Karriere des Deutschlandliedes als Nationalhymne beginnt erst 1890. Ausgerechnet dort, wo das Lied der Deutschen knapp fünfzig Jahre zuvor entstanden ist, auf Helgoland, erlebt es am 9. August 1890 seine nationale Uraufführung. An diesem Tage wird die gegen Sansibar getauschte Nordseeinsel in einem offiziellen Staatsakt an das Deutsche Reich übergeben. Vor allem vom beginnenden Bismarck-Kult profitiert die neue Beliebtheit der Haydn-Hoffmann-Hymne. Dahinter steht die nationale Rechte, die dem vormärzlichen Lied nun, wo die Reichsnation besteht und zur Weltmacht strebt, eine völkisch-imperiale Ausdeutung gibt.

So ist das Deutschlandlied populärer denn je, aber doch nicht das Lied, das die ganze Nation mitsingen möchte. Am wenigsten Juden und Sozialdemokraten. Das mit einer nun aggressiven Lesart versehene Deutschlandlied wird ja von jenen benutzt, die, aus antisemitisch-nationalistischen Kreisen kommend, sich einen besonderen, hassgetriebenen Spaß daraus machen, Veranstaltungen der Arbeiter mit dem Deutschlandlied auf den Lippen zu überfallen. Ein Gewaltakt, der sich noch steigern lässt. Das heldentodsüchtige Zeitalter schafft sich die Bilder, die seine politischen Fieberträume bewegen – Allmacht oder Untergang.

Am 10. November 1914 meldet die Oberste Heeresleitung: „Westlich Langemarck brachen junge Regimenter unter dem Gesange ‚Deutschland, Deutschland über alles’ gegen die erste Linie der feindlichen Stellungen vor und nahmen sie. Etwa 2000 Mann französischer Linieninfanterie wurden gefangen und sechs Maschinengewehre erbeutet.“ Immer wieder hat man diese Mitteilung, ungeachtet ihres Wirklichkeitsgehalts, erzählt und ausgeschmückt, das Töten der Soldaten und ihr kollektives Selbstopfer verklärt. Tatsächlich gelingt es den deutschen Truppen nicht, Langemarck zu nehmen. Und die Verluste unter den kaum ausgebildeten Freiwilligen sind erheblich. Aber nicht das ist für die Legendenbildung maßgeblich. Viel bedeutsamer ist, dass die deutschen Tageszeitungen diese Meldung fast ausnahmslos und richtungspolitisch übergreifend verbreiten und das vorbildliche Opfer der Jugend für die Gemeinschaft herausstellen.

Seit den ersten Tagen der Republik ist das Deutschlandlied mit der Frage konfrontiert: Hat die Langemarck-Legende unsere Nationalhymne „unheilbar kompromittiert“? Nicht wenige republikanisch eingestellte Deutsche denken so in der Weimarer Republik. Erst recht befürchten sie zu Beginn der Bundesrepublik, sich mit einem nazistisch kontaminierten Nationallied zu blamieren. Der erste Bundespräsident Theodor Heuss voran. Und wirklich verstummt sind die Bedenken gegenüber der Haydn-Hoffmann-Hymne bis heute nicht. Aber von Anfang an hat sie nicht nur falsche Freunde, sondern auch redliche und sachkundige Fürsprecher. Mit dem Attentat auf Außenminister Walther Rathenau ist die Republik gezwungen, ihre Zurückhaltung in der Hymnen- und Feiertagsfrage aufzugeben. Jetzt will, jetzt muss sie ihren Schutz organisieren und muss sich auch in ihrer symbolischen Selbstdarstellung werbend gegenüber ihren verbockten Todfeinden öffnen und sie ins Staatshaus holen. Innenminister Adolf Köster und seine Beamten regen an, am bevorstehenden Verfassungstag durch den Reichspräsidenten das Deutschlandlied zur Nationalhymne erklären zu lassen.

Der Reichspräsident kann das Lied allerdings nur in seiner Eigenschaft als Oberbefehlshaber der Reichswehr zur Nationalhymne ernennen. Das tut er wenige Tage nach dem Verfassungstag am 11. August 1922. Bei der Feier im Reichstag ist die Stirnseite mit einem großen Transparent bespannt, worauf zu lesen ist „Einigkeit und Recht und Freiheit“. Und am Schluss wird nur die dritte Strophe gesungen. Die Hymne ist nun das nationale Lied der Deutschen. Aber das nur, weil es mehrere Strophen hat. Es hebt die Spaltung der deutschen Gesellschaft nicht auf, es bildet sie nur ab. Die Feinde der Republik singen nur die erste Strophe und wissen nicht, was sie tun. Die Republikaner singen die dritte, obwohl sie wissen, dass sie missbraucht werden, wenn sie mit der Rechten auch „Deutschland, Deutschland über alles“ singen. Es gehört zu den Absonderlichkeiten unserer Symbolikgeschichte, dass in der vorläufig letzten Reichstagssitzung, sie findet am 17. Mai 1933 in der gegenüberliegenden Kroll-Oper statt, das Deutschlandlied von den Republikanern und ihren Feinden gemeinsam gesungen wird. Ein beklemmender Augenblick. Hitler hat gerade sein außenpolitisches Programm verkündet, mit dem er sich der Welt maßvoll präsentieren möchte. Als wollten seine Anhänger durch Lautstärke zum Ausdruck bringen, was gemeint ist, beginnen die Abgeordneten der Rechten zu grölen: „Deutschland, Deutschland über alles“. Manche Sozialdemokraten singen wohl mit – oder versuchen es, anderen stockt die Stimme, ihnen stehen die Tränen in den Augen. Die meisten aber drängen zum Ausgang, denn sie wissen, was gleich folgt, dass die Nazis dann ihre Hymne singen, das Horst-Wessel-Lied. Und in deren Reihen wollen sie nicht mitmarschieren...

Das schon durch Langemarck belastete Deutschlandlied scheint spätestens in dem Augenblick endgültig desavouiert, als Wehrmachtssoldaten singen „Von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt, stehen deutscher Männer Söhne gegen eine ganze Welt“ und den freiheitlichen Impuls des Liedes und seinen friedlichen Sinn Lügen strafen. Die Alliierten verbieten die deutsche Nationalhymne. Die Welt hat genug von martialischem Kampfgeschrei und der hymnischen Selbstherrlichkeit der Deutschen. Andererseits mehren sich die Stimmen, die auf das legitime Bedürfnis jeder Nation verweisen, ihren Grundwerten und ihrem Selbstverständnis in gemeinschaftlichem Gesang Ausdruck zu geben. Der Parlamentarische Rat mag sich mit der heiklen Frage nicht befassen und überlässt die strittige Materie dem späteren Gesetzgeber. Eine Handvoll nationalkonservativer Abgeordneter wird initiativ, scheitert aber im Bundestag mit dem Antrag, das Deutschlandlied in seiner ursprünglichen Form wieder einzuführen. Bundespräsident Theodor Heuss plädiert für eine neue Hymne. Und damit ist der legendäre Hymnenstreit zwischen Heuss und Konrad Adenauer vorprogrammiert. Denn der Kanzler, nicht weniger als sein Kontrahent durch die Jahre nach 1918 geprägt, sieht das Erbe Weimars ganz und gar nicht nur blutbeschmiert. Der frühere Kölner Oberbürgermeister will die demokratische Tradition fortsetzen. Und er hat ein besseres Gespür als der Landesvater für das, was die Mehrheit wünscht.

Bei einer politischen Veranstaltung im Berliner Titania-Palast im Frühjahr 1950 veranstaltet er ein hymnisches Plebiszit. Als er seine Rede über Deutschlands neue Rolle in Europa beendet hat, fordert er seine Landsleute auf, mit ihm die dritte Strophe des Deutschlandliedes zu singen, als ein „heiliges Gelöbnis, dass wir ein einiges Volk, ein freies und ein friedliches Volk sein wollen“. Überrascht erheben sich die mehr als eintausend Menschen im Saal und singen, erst zaghaft, dann aber mit ganzer Kraft „Einigkeit und Recht und Freiheit, für das deutsche Vaterland...“ Die Westberliner Stadtkommandanten bleiben sitzen, als ginge sie das Spektakel nichts an. Die zahlreich erschienenen SPD-Politiker aber verlassen unter Protest den Saal. Die SPD-Fraktion erklärt, man könne Deutschlands Schwierigkeiten „nicht mit Emblemen, Fahnen und Liedern überwinden“. Der Missbrauch symbolischer Politik durch die Nazis wirkt nach. Verärgert zeigt sich auch Theodor Heuss. Er hat bei Rudolf Alexander Schröder einen neuen Hymnentext in Auftrag gegeben und lässt durch sein Amt erklären, dass diese Frage zu seiner Prärogative gehöre und noch nicht entschieden sei. Im Herbst liegt der Entwurf vor. Der religiös orientierte Schriftsteller hat sich durch den 1. Korinther-Brief anregen lassen und gibt seiner Hymne an Deutschland eine nur sehr schwache politische Färbung: „Land des Glaubens, deutsches Land / Land der Väter und der Erben...“ Aber die Premiere missglückt. Kritisiert wird, dass die Hymne keinen Nationalstolz verströme, mehr einem Kirchenlied entspreche. Das Wort von „Theos Nachtlied“ macht die Runde. Und in einer Allensbach-Umfrage sind drei Viertel aller befragten Bundesbürger für das Deutschlandlied. Nur zehn Prozent wollen eine neue Hymne.

Damit ist der Hymnenstreit entschieden. Am 6. Mai 1952 wird der Briefwechsel zwischen Adenauer und Heuss im Bulletin des Bundespresse- und Informationsamtes veröffentlicht mit dem Hinweis, dass die weit überwiegende Mehrheit der Deutschen die Wiedereinführung des Deutschlandliedes wünsche, nur die dritte Strophe gesungen werden soll und die Bundesrepublik an die Weimarer Tradition anschließe. Bei den europäischen Nachbarn, die während des Krieges von Hitler-Deutschlands Wehrmacht besetzt waren, weckt die Einführung des Deutschlandliedes keine guten Erinnerungen. Der US-amerikanische Hochkommissar John McCloy findet das kluge und abschließende Wort, ausschlaggebend sei nicht, „was die Völker singen, sondern wie sie handeln.“ Aber eben da liegt das Problem: Sie müssen ja zumindest wissen, was überhaupt. Denn was sie singen sollen, kennen sie oft nicht, und was sie kennen, dürfen sie nicht mehr singen. Als das Allensbacher Institut 1962 den Deutschen die verfängliche Frage stellt: „Können Sie sagen, wie die ersten Worte heißen, mit denen unsere Nationalhymne anfängt?“ antwortet immerhin knapp die Hälfte der befragten Bundesbürger: „Deutschland, Deutschland über alles.“ Nur ein knappes Drittel der Bundesbürger sagt politisch korrekt: „Einigkeit und Recht und Freiheit“, während 20 Prozent den Text gar nicht kennen – oder sagen mögen. Unsicherheit und Unkenntnis im Umgang mit der kompromittierten Hymne bleiben. Die Vorbehalte auch.

Der Rundfunk löst das Problem auf seine Weise und verwandelt das Deutschlandlied mehr und mehr in ein Lied ohne Worte. Ausgerechnet in dem Jahr, in dem beide deutsche Teilstaaten selbstbewusst ihr jeweils vierzigjähriges Bestehen feiern und von nationaler Einheit kaum mehr die Rede ist, wird das Deutschlandlied schlagartig wieder populär. Als am 9. November 1989 bekannt wird, dass die DDR erstmals „Freizügigkeit“ für ihre Bürger angeordnet hat und die Mauer passierbar ist, erheben sich die Abgeordneten des Deutschen Bundestages und singen „Einigkeit und Recht und Freiheit“. Am darauffolgenden Abend wiederholt sich dieser Akt vor dem Schöneberger Rathaus mit Alt-Bundeskanzler Willy Brandt und Bundeskanzler Helmut Kohl. Und ein Jahr später, am 3. Oktober 1990, wird vor dem Reichstag zur Feier der deutschen Einheit wiederum das Deutschlandlied gesungen. Im August 1991 bestätigen Bundespräsident Richard von Weizsäcker und Bundeskanzler Kohl in einem Briefwechsel, dass allein die dritte Strophe deutsche Nationalhymne ist. Als nicht unerheblich für diesen Entscheid erweisen sich die zahlreichen gesellschaftlichen Willensäußerungen zugunsten der 3. Strophe des Deutschlandliedes. Zudem hat das Bundesverfassungsgericht im März 1990 in einer Verfassungsbeschwerde die dritte Strophe als Nationalhymne bestätigt und erklärt, dass nur diese als „staatliches Symbol geschützt“ sei. Ausdrücklich wird daran erinnert, dass am 17. Juni 1953 die protestierenden Arbeiter auf ihrem Marsch zum Brandenburger Tor das damals verbotene Deutschlandlied gesungen haben – und eben nicht die Becher-Eisler-Hymne.


Text: CC BY-SA 4.0

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Briefwechsel zwischen Bundeskanzler Konrad Adenauer und Bundespräsident Theodor Heuss[ ]

Bundesrepublik Deutschland

Der Bundeskanzler

Bonn, 29. 4. 52

An den

Bundespräsidenten der

Bundesrepublik Deutschland

Herrn Prof. Dr. Theodor Heuss

Bonn

Sehr geehrter Herr Bundespräsident!

Die Frage einer „National-Hymne“ ist in den vergangenen zwei Jahren wiederholt zwischen uns besprochen worden. Ich achtete, wenn auch mit Zweifel an dem Gelingen, Ihren Versuch, durch einen neuen Text und durch eine neue Melodie über die unliebsamen Zwischenfälle hinwegzukommen, die bei der Wiedergabe oder bei dem Absingen des „Deutschland-Liedes“ sich ereignet haben; es sollte vermieden bleiben, hier einen neuen Streit in unser Volk zu tragen.

Sie haben mir selber gelegentlich zum Ausdruck gebracht, daß Sie das Bemühen als gescheitert betrachten müssen. Die Gründe mögen jetzt unerörtert bleiben. Als das Kabinett Sie vor Monaten durch mich bitten ließ, sich für die dritte Strophe des „Deutschland-Liedes“ zu entscheiden, gab ich zu, daß Ihre damalige Gegenargumentation eine innere Berechtigung besaß.

Inzwischen ist nun die Frage dringend geworden, und ich muß den Wunsch der Bundesregierung darum pflichtgemäß wiederholen. Sie wissen selber um die Lage, in der bei amtlichen Veranstaltungen unsere ausländischen Vertretungen sich befinden. Ich will in diesem Augenblick die innerdeutschen Gefühlsmomente, deren Gewicht von uns beiden gleich hoch gewertet wird, gar nicht in Anschlag bringen. Es ist wesentlich der außenpolitische Realismus, der uns, Ihnen wie mir, nahelegen muß, die Entscheidung nicht weiter hinauszuzögern; ich möchte auch hoffen dürfen und glaube, dazu Grund zu haben, daß die innenpolitischen Vorbehalte, die sich auf den Mißbrauch des „Deutschland-Liedes“ durch die Vernichter des alten Deutschland beziehen, an Schärfe verloren haben – war es doch der Reichspräsident Friedrich Ebert, der das „Deutschland-Lied“ durch eine staatsmännische Entscheidung zur Nationalhymne erklärte.

Daher die erneute Bitte der Bundesregierung, das Hoffmann-Haydn’sche Lied als Nationalhymne anzuerkennen. Bei staatlichen Veranstaltungen soll die dritte Strophe gesungen werden.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr
gez.

Adenauer

Der Präsident

der Bundesrepublik Deutschland

Bonn/Berlin, 2. 5. 1952

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler!

Sie haben recht: ich wollte vermieden wissen, daß in öffentlichen Veranstaltungen mit einem vaterländischen Akzent, gleichviel wie ihre Ausdehnung oder wie ihr Rang sei, ein Mißklang ertöne, weil sehr, sehr viele Menschen unseres Volkes Haydns große Melodie nur' eben 'als Vorspann zu dem „dichterisch“ und musikalisch, minderwertigen Horst-Wessel-Lied im Gedächtnis haben, dessen banale Melodie den Marsch-Takt in ein Volksverderben abgab.

Doch das ist es nicht allein. Als mich die Frage nach einer Nationalhymne bewegte – und das liegt innerlich längst vor meiner Wahl zum Bundespräsidenten – glaubte ich, daß der tiefe Einschnitt in unserer Volks- und Staatengeschichte einer neuen Symbolgebung bedürftig sei, damit wir vor der geschichtlichen Tragik unseres Schicksals mit zugleich reinem und freiem Herzen, in klarer Nüchternheit des Erkennens der Lage bestehen werden. Ich weiß heute, daß ich mich täuschte. Ich habe den Traditionalismus und sein Beharrungsbedürfnis unterschätzt. Man hat mir wegen meines Planes manche herzhafte Zustimmung gegeben, und zwar aus schier allen heute wesentlichen politischen Gruppen, man hat mich bewegend, entrüstet, töricht, banal in zahllosen Briefen, Telegrammen, Resolution belehrt, daß man in der Not die Vergangenheit nicht verleugne usf. usf. Wenn mich jemand über geschichtliches Würdegefühl belehren wollte, habe ich das kühl auf die Seite geschoben. Denn ich bin stolz und selbstbewußt genug, zu meinen, daß einige meiner in der Vergangenheit liegenden literarischen und wissenschaftlichen Arbeiten der deutschen Würde bekömmlicher waren als die Leistung mancher „prominenter“ Protestler von heute, die besser schweigen.

Da ich kein Freund von pathetischen Dramatisierungen bin und mit mir selber im reinen bleiben will, muß ich nach meiner Natur auf eine „feierliche Proklamation“ verzichten. Wenn ich also der Bitte der Bundesregierung nachkomme, so geschieht das in der Anerkennung des Tatbestandes.

Ich möchte daran zwei Erwartungen und Wünsche knüpfen. In den letzten Jahren habe ich, zum Teil durch recht prominente Mitglieder aus den Reihen der CDU, der FDP, der SPD Versicherungen erhalten, wie richtig, wie falsch das sei, was ich versucht habe – es wäre ein Glück, wenn nun das Kapitel der Parteiauffassungen abgeschlossen wäre, das auch in einigen Landtagen abgehandelt wurde. Zum anderen: Man hatte mir nahegelegt, bei der Freigabe von Helgoland den erwarteten Akt der „Proklamation“ zu vollziehen, weil bekanntlich auf dieser Insel Hoffmann seine Verse gedichtet hat. Das ist nun so: Hoffmann von Fallersleben war ein Schwarz-Rot-Goldener, sogar leicht verärgert, daß nach 1870 sein Gedicht gar nicht in Aufnahme kam. Ich würde sehr froh sein, wenn alle, die sich jetzt in Briefen und Entschließungen und Artikeln so lebhaft zu ihm bekannt haben, auch die Folgerungen daraus weiter ziehen, und es wäre verdienstlich, Herr Bundeskanzler, wenn die Bundesregierung mit dafür sorgen könnte, daß diese Farben bei festlichen Anlässen, da man die Worte von Hoffmann von Fallersleben singen will und singen wird, nicht bloß an den Amtsgebäuden wehen, sondern von den Mitgliedern der Gruppen, die sich dafür in Beschlüssen erklärt haben, als das Symbol unseres Staates auch öffentlich bekannt würden.

Mit guten Grüßen

Ihr
gez. Theodor Heuss


Briefwechsel zwischen Bundespräsident von Weizsäcker und Bundeskanzler Dr. Kohl[ ]

Der Bundespräsident und der Bundeskanzler haben folgenden Briefwechsel zur Nationalhymne für die Bundesrepublik Deutschland geführt:

Der Bundespräsident

Bonn, den 19. August 1991

An den

Bundeskanzler der

Bundesrepublik Deutschland

Herrn Dr. Helmut Kohl

Bonn

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,

die staatliche Einheit der Deutschen wurde rechtlich durch den Einigungsvertrag und den Beitritt der ehemaligen DDR zur Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes vollzogen.

Seit dem 3. Oktober 1990 gilt auch die Nationalhymne der bisherigen Bundesrepublik für das vereinte deutsche Volk.

Das „Lied der Deutschen“, von Hoffmann von Fallersleben vor hundertfünfzig Jahren in lauteren Gedanken verfaßt, ist seither selbst der deutschen Geschichte ausgesetzt gewesen. Es wurde geachtet und bekämpft, als Zeichen der Zusammengehörigkeit und gemeinsamen Verantwortung verstanden, aber auch in nationalistischer Übersteigerung mißbraucht.

Als ein Dokument deutscher Geschichte bildet es in allen seinen Strophen eine Einheit.

Auf Grund des Briefwechsels zwischen Bundespräsident Heuss und Bundeskanzler Adenauer vom 29. April/2. Mai 1952 hat sich im Laufe der vergangenen Jahrzehnte die 3. Strophe des Liedes mit der Musik von Haydn als Hymne der Bundesrepublik Deutschland im Bewußtsein der Bevölkerung fest verankert.

Gerade in der Zeit der Teilung hat sie den tiefen Wunsch der Deutschen nach Rechtsstaatlichkeit und nach Einheit in Freiheit ausgedrückt.

Dieses Ziel haben sich unsere Landsleute in den Bundesländern Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Thüringen und im Ostteil von Berlin friedlich errungen.

Die 3. Strophe des Hoffmann-Haydn’schen Liedes hat sich als Symbol bewährt. Sie wird im In- und Ausland gespielt, gesungen und geachtet. Sie bringt die Werte verbindlich zum Ausdruck, denen wir uns als Deutsche, als Europäer und als Teil der Völkergemeinschaft verpflichtet fühlen.

Die 3. Strophe des Liedes der Deutschen von Hoffmann von Fallersleben mit der Melodie von Joseph Haydn ist die Nationalhymne für das deutsche Volk.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr
R.

Weizsäcker

Bundesrepublik Deutschland

Der Bundeskanzler

23. August 1991

An den

Bundespräsidenten der

Bundesrepublik Deutschland

Herrn Dr. Richard von Weizsäcker

Bonn

Sehr geehrter Herr Bundespräsident,

„Einigkeit und Recht und Freiheit“ – mit diesem Dreiklang gelang es uns, nach 1949 die erfolgreichste rechtsstaatliche Demokratie unserer Geschichte zu gestalten und den Wunsch nach nationaler Einheit wachzuhalten.

Der Wunsch aller Deutschen, die Einheit ihres Vaterlandes in Freiheit zu vollenden, kam im Deutschlandlied besonders eindringlich zum Ausdruck.

Heute, nach der Wiedervereinigung Deutschlands, verpflichtet uns auch das Deutschlandlied, für die Menschen in den neuen Bundesländern eine rechtsstaatliche Ordnung zu verwirklichen.

Der Wille der Deutschen zur Einheit in freier Selbstbestimmung ist die zentrale Aussage der 3. Strophe des Deutschlandlieds. Deshalb stimme ich Ihnen namens der Bundesregierung zu, daß sie Nationalhymne der Bundesrepublik Deutschland ist.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr
Helmut

Kohl

Hier nach: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Bulletin Nr. 89, 27. August 1991, S.713-714.


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Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Bulletin Nr. 89, 27. August 1991, S.713-714. Gemeinfrei (amtliches Werk).

Управление прессы и информации федерального правительства, Бюллетень № 89, 27 августа 1991 г., с. 713-714. Общественное достояние (официальный документ).

Elisabeth Fehrenbach, Über die Bedeutung der politischen Symbole im Nationalstaat. In: Historische Zeitschrift, 2012 (1971), S. 296–357.

Ulrich Günther, …über alles in der Welt? Studien zur Geschichte und Didaktik der deutschen Nationalhymne. Luchterhand, Neuwied 1966.

Hermann Kurzke, Hymnen und Lieder der Deutschen. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Mainz 1990, Online.

Peter Reichel, Glanz und Elend deutscher Selbstdarstellung: Nationalsymbole in Reich und Republik. Wallstein, Göttingen 2012, S. 68-96.

Bernt Ture von Zur Mühlen, Hoffmann von Fallersleben: Biographie. Wallstein, Göttingen 2010.


Fehrenbach, E. Über die Bedeutung der politischen Symbole im Nationalstaat [О значении политических символов в национальном государстве] // Historische Zeitschrift, 1971, Т. 2012, c. 296–357.

Günther, U. ...über alles in der Welt? Studien zur Geschichte und Didaktik der deutschen Nationalhymne [...на земле всего превыше? Исследования по истории и дидактике немецкого национального гимна]. Neuwied: Luchterhand, 1966.

Kurzke, H. Hymnen und Lieder der Deutschen [Гимны и песни немцев]. Mainz: Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, 1990, онлайн.

Reichel, P. Glanz und Elend deutscher Selbstdarstellung: Nationalsymbole in Reich und Republik [Великолепие и несчастье немецкой самопрезентации: национальные символы в империи и республике]. Göttingen: Wallstein, 2012.

Zur Mühlen, B. T. von Hoffmann von Fallersleben: Biographie [Гофман фон Фаллерслебен: Биография]. Göttingen: Wallstein, 2010.